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Israel soll Phosphor-Bomben über Gaza abwerfen – das wissen wir darüber

Phosphor Bomben Israel
Die israelische Armee setzte in Gaza mutmasslich weissen Phosphor ein.Bild: X/Humans Right Watch

Israel soll Phosphor-Bomben über Gaza abwerfen – das wissen wir darüber

Die israelischen Streitkräfte sollen Bomben, die weissen Phosphor enthalten, in Gaza und im Libanon einsetzen, wie es im Bericht einer Menschenrechtsorganisation heisst – dabei könnte es sich um ein Kriegsverbrechen handeln.
13.10.2023, 19:4114.10.2023, 13:21
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Darum geht es

Die israelische Armee soll Bomben, die weissen Phosphor enthalten, im Gazastreifen und im Libanon einsetzen. Dies berichtete Human Rights Watch. In mindestens zwei Fällen vom 10. und 11. Oktober konnte die Menschenrechtsorganisation entsprechendes Videomaterial verifizieren und mit Zeugen der Angriffe sprechen. So sollen einerseits über dem Hafen von Gaza-Stadt und andererseits in zwei ländlichen Gebieten im Grenzgebiet zu Libanon solche Bomben abgeworfen worden sein.

Dieses Video soll den Phosphor-Einsatz im israelisch-libanesischen Grenzgebiet zeigen:

Und dieses Video soll die Detonation einer Phosphor-Bombe über Gaza-Stadt zeigen:

Was ist weisser Phosphor und weshalb ist er so gefährlich?

Bomben, die mit weissem Phosphor versetzt sind, können eine verheerende Wirkung haben. Weisser Phosphor entzündet sich ab einer Temperatur von 30 Grad Celsius, sobald er mit Sauerstoff in Kontakt kommt und kann dann bis zu 1300 Grad heisse Flammen entwickeln. Entsprechend kommt es bei Kontakt zu schweren Verbrennungen, die auch tödlich sein können.

Nebst der extrem hohen Temperatur und der Tatsache, dass weisser Phosphor kaum gelöscht werden kann, wird bei der Verbrennung des Materials auch weisser Rauch abgegeben, welcher hochgradig toxisch ist. Bereits die Inhalation von kleinen Mengen kann für Menschen zu einem qualvollen Tod führen. Die giftigen Dämpfe führen innert weniger Tage zu schwerwiegenden Schäden an den Atemwegen und dem Stoffwechselsystem des Körpers.

Weisser Phosphor wird in der Regel nicht als Vernichtungswaffe eingesetzt, sondern zumeist für die Erzeugung von Rauch zur Markierung von Zielen oder um sichteinschränkenden Nebel zu erzeugen und den Feind zu behindern.

Deshalb könnte es sich um ein Kriegsverbrechen handeln

Israel wird aufgrund des Berichts von Human Rights Watch ein Kriegsverbrechen vorgeworfen. Allerdings gibt es zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht genug Informationen, die ein solches Urteil bereits zulassen würden, wie beispielsweise Brian Castner, Waffenexperte bei Amnesty International, gegenüber der Washington Post erklärte. «Wir müssen zuerst mehr über das beabsichtigte Ziel dieses Angriffs wissen», so Castner.

Aufgrund der Streuwirkung und da der Gaza-Streifen extrem dicht besiedelt ist, ist es beim Einsatz von Phosphor-Bomben kaum zu verhindern, dass auch Menschen und Objekte von den Attacken geschädigt werden, die eigentlich nicht getroffen werden sollten – Israel nähme dies durch den Einsatz der Bomben also mindestens billigend in Kauf.

Der Einsatz von weissem Phosphor gegen Zivilistinnen und Zivilisten ist verboten, wie in den Zusatzprotokollen der Genfer Konventionen ab 1977 vereinbart wurde. Die Genfer Konventionen sind Teil des Völkerrechts und halten fest, wie im Falle eines bewaffneten Konflikts Personen geschützt werden müssen, die nicht an den Kampfhandlungen teilnehmen.

Israel hat das betreffende Protokoll zwar selbst nicht unterzeichnet, der Einsatz von Phosphor-Bomben gegen Zivilpersonen ist allerdings eindeutig geächtet und gilt nach den Bestimmungen des Völkerrechts als Kriegsverbrechen. Der Einsatz von weissem Phosphor gegen militärische Einrichtungen ist zwar nicht verboten, aber ebenfalls umstritten.

Was sagt Israel dazu?

Israel hielt sich am Freitag vorerst bedeckt bezüglich des mutmasslichen Phosphor-Einsatzes. Auf eine Anfrage der «Washington Post» bei der israelischen Armee, hiess es zuerst vage, man sei «derzeit nicht über den Einsatz von Waffen mit weissem Phosphor in Gaza informiert». Am späteren Nachmittag folgte dann allerdings ein klares Dementi der Armee. Die Anschuldigung seien «eindeutig falsch». Israels Militär verwende diese Waffen nicht.

Des Weiteren hat Israel die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen am Freitag aufgefordert, bis Mitternacht das nördliche Gebiet zu verlassen und sich Richtung Süden zu begeben. Dafür wurden Tausende Flugblätter über dem Gebiet abgeworfen. Betroffen wären von der Evakuierung über eine Million Menschen. Israels Aufruf kann als Anzeichen einer bevorstehenden grossflächigen Bombardierung oder einer Bodenoffensive verstanden werden.

Die Vereinten Nationen (UN) stemmen sich gegen den Aufruf Israels und forderten das Land umgehend auf, diesen zurückzunehmen. Die Evakuierung von über einer Million Menschen in solch kurzer Zeit hätte verheerende humanitäre Folgen, so die UN.

Israels Armeesprecher Daniel Hagari erklärte, dass man «alles tun werde, um sensible Ziele, wie Krankenhäuser, bei Luftangriffen nicht zu treffen». Berichten zufolge soll die palästinensische Hamas Zivilisten daran hindern, dem Evakuierungsaufruf Folge zu leisten.

Wo Phosphor-Bomben sonst zum Einsatz kamen

Der Einsatz von Phosphor-Bomben hat eine lange Tradition. Die Briten setzten sie bereits in den beiden Weltkriegen ein, die USA nutzten Phosphor im Vietnam-Krieg ebenso wie im Kampf gegen Aufständische im Irak-Krieg anfangs der 2000er-Jahre. Erst 2009 haben die USA das entsprechende Zusatzprotokoll der Genfer Konventionen ebenfalls unterschrieben.

Auch Israel hat in der Vergangenheit bereits Phosphor eingesetzt. So beispielsweise im Libanon 2006 und auch bei Konflikten mit der Hamas im Gazastreifen in den Jahren 2008 und 2009. Auch die türkische Armee soll schon Phosphor bei Luftangriffen gegen kurdische Rebellen eingesetzt haben.

Jüngst setzte Russland im Ukraine-Krieg Phosphor-Bomben ein. Bei der Belagerung des ukrainischen Stahlwerks Asowstal in Mariupol griff Wladimir Putins Armee mutmasslich auf Phosphor-Bomben zurück, ebenso gibt es Berichte über den Einsatz in der aktuell wieder umkämpften Ortschaft Awdijiwka, in Wuhledar, Bachmut oder auch in Cherson.

Videos mit falschem Kontext auf Social Media

Nach der Publikation des Berichts von Human Rights Watch kursierten online zahlreiche Videos von mutmasslichen Phosphor-Angriffen Israels auf Gaza-Stadt. Allerdings handelte es sich dabei mehrfach um Fakes oder um Bilder aus anderen Konflikten, die nun Israel zugeschoben werden.

Von mehreren unabhängigen Quellen bestätigt, sind bisher nur die zwei eingangs erwähnten Phosphor-Einsätze in Gaza-Stadt und im libanesisch-israelischen Grenzgebiet.

Hier einer der Fake-Posts – das Video stammt vom März und aus der ukrainischen Stadt Wuhledar, als Russland die Stadt mit Brandmunition angegriffen hatte.

Mehr zu Fake News im aktuellen Israel-Palästina-Konflikt:

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128 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Venvidvici
13.10.2023 19:52registriert März 2020
Nichts, was die HAMAS getan hat, lässt sich rechtfertigen.. Genauso wenig der Einsatz von Phosphorbomben über einem so eng besiedelten Gebiet wia Gaza..
Dass Israel reagiert, ist absolut verständlich, doch die Mittel sind entscheidend!
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Thomas Melone
13.10.2023 20:38registriert Mai 2014
Jetzt kommt dieses alttestamentarische Auge-um-Auge-Zeugs. Der Mensch ist offenbar in den letzten 2000 Jahren nicht wirklich schlauer geworden.
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Maurmer
13.10.2023 19:53registriert Juni 2021
Spielt es eine Rolle?
Wurde IL respektive die Verantwortlichen Militärs 2006, 2008 oder 2009 zur Verantwortung gezogen? Die Antwort ist nein, genauso wenig wie für die Morde an Journalisten (heute wurde ein Konvoi internationaler Presse im Südlibanon bombardiert), Annexionen aushungern der besetzten Gebiete…

Die Liste der Kriegsverbrechen ist lang, geahndet wurden sie nie!
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