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Italien

Kleiner Junge auf Lampedusa berührt die Italiener

«Er weint nicht, er lächelt nicht und er spricht nicht»

Die Bilder Tausender Bootsmigranten auf der Mittelmeerinsel Lampedusa gehen um die Welt. Vor allem das Schicksal eines kleinen Jungen berührt derzeit die Italiener.
19.09.2023, 03:55
Anna-Lena Janzen / t-online
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Ein geflüchtetes Kind bei der Ankunft in Italien (Symbolbild): Laut der Hilfsorganisation Save the Children kommen immer mehr unbegleitete Minderjährige im Land an.
Ein geflüchtetes Kind bei der Ankunft in Italien (Symbolbild): Laut der Hilfsorganisation Save the Children kommen immer mehr unbegleitete Minderjährige im Land an.Bild: IMAGO/Ximena Borrazas

«Er weint nicht, er lächelt nicht und er spricht nicht»: So berichten italienische Medien über den kleinen Jungen, der am vergangenen Freitag allein auf einer Fähre am Pier von Favarolo auf Lampedusa ankam. Woher das Kind kommt, wie es heisst oder was es erlebt hat, ist unklar. Nicht einmal das Alter des Jungen kann bestätigt werden, aber er soll wohl etwa drei Jahre alt sein. Ein Schicksal, das in Italien gerade viele Menschen berührt.

Ganz allein war der Kleine nicht, als er auf der Mittelmeerinsel ankam. Ein Teenager hielt ihn an der Hand, als sie nach Italien einfuhren. Dieser erzählte den Behörden später, er habe den Jungen allein in der Wüste entdeckt. «Ich konnte ihn nicht allein in der Wüste sterben lassen, also nahm ich ihn mit und wir machten uns gemeinsam auf die Reise», wird der Migrant in italienischen Medien zitiert. «Aber er gehört nicht zu meiner Familie und ich weiss nicht, wie ich für ihn sorgen soll.» Das Kind habe während der gemeinsamen Zeit nie ein Wort mit seinem Begleiter gesprochen.

«Es ist, als würde er in seiner eigenen Welt leben»

Nun kümmern sich Freiwillige sowie Psychologen des Roten Kreuzes und der Hilfsorganisation Save the Children um den Jungen. Sie versuchen, ihn zum sprechen zu bringen, hatten aber bislang keinen Erfolg. «Es ist, als würde er in seiner eigenen Welt leben und sie nicht verlassen wollen», wurde ein Helfer im italienischen Fernsehen zitiert.

Giovanna Di Benedetto, Sprecherin von Save The Children, sagte zur italienischen Zeitung «Corriere della Sera»: «Wir wissen immer noch nichts über das Kind und es wird nicht einfach sein, seine Vergangenheit in einem so heiklen Kontext zu erfahren.» Der Junge sei kein Einzelfall, so Di Benedetto. «In den letzten Jahren haben wir einen stetigen Anstieg der Ankünfte unbegleiteter Minderjähriger verzeichnet, immer häufiger sind sie unter zehn Jahren.»

«Der Kleine steht unter starkem emotionalen Stress»

Das Jugendgericht in Palermo soll binnen weniger Stunden über das Schicksal des Jungen entscheiden. Das Ziel ist, ihn so schnell wie möglich aus dem Erstaufnahmelager «Imbriacola» herauszuholen. Sollten sich keine Angehörigen melden, dann ernennt das Gericht einen Vormund.

«Der Kleine steht unter starkem emotionalen Stress und kann sich nicht verbal ausdrücken», sagte Claudia Caramanna, die Staatsanwältin für Minderjährige in Palermo, dem italienischen Nachrichtensender Rai News 24. Bei Bedarf sei «auch eine dringende Intervention der Abteilung für Kinderneuropsychiatrie vorgesehen». Mehrere Familien aus Lampedusa haben sich den Medienberichten zufolge gemeldet und eine vorübergehende Betreuung des Jungen angeboten.

In den vergangenen Tagen landeten auf Lampedusa wieder mehrere Tausend Migranten mit Booten aus Nordafrika. Italien beschloss mit sofortiger Wirkung ein Bündel härterer Massnahmen zur Eindämmung irregulärer Migration übers Mittelmeer − auch eine Verschärfung der Abschiebehaft.

Allein am vergangenen Dienstag kamen auf der kleinen Insel zwischen Sizilien und Nordafrika mehr als 5'000 an – so viele wie noch nie an einem Tag. Tausende wurden dann auf Fähren und Polizeischiffen nach Sizilien oder aufs italienische Festland gebracht. Im Lager der Insel halten sich nach Angaben der Nachrichtenagentur Ansa noch etwa 1'300 Menschen auf.

Verwendete Quellen:

  • rainews.it: "Bambino trovato solo nel deserto, più famiglie lampedusane per l'affido" (italienisch)
  • corriere.it: "A Lampedusa è arrivato un bimbo di 3 anni. Solo nel deserto, è stato soccorso da un minorenne" (kostenpflichtig, italienisch)
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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68 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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MontanaRailLink
19.09.2023 07:29registriert April 2023
5000 an einem Tag, auf einer Insel - und die Auswirkungen des Klimawandels beginnen erst gerade, sich so richtig zu manifestieren.
Und hier wird im Herbst wahrscheinlich die Partei gewinnen, die lieber die Symptome statt die Ursachen bekämpft.
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ZH11
19.09.2023 09:18registriert November 2022
Schon tragisch diese Schicksale. Aber irgendeine sinnvolle Lösung hat bisher irgendwie niemand. Aufgrund von Ausbeutung und miserablen Lebensumständen, kommen viele Leute aus der ganzen Welt nach Europa. Getragen wird das ganze dann durch Spenden und Gelder vom Staat, während die Firmen und Politiker (europäisch und auch die in den Herkunftsländern), welche für das ganze Schlamassel verantwortlich sind weiter fröhlich Geld scheffeln. Das ganze ist ein Pulverfass und leider nur eine Frage der Zeit bis es knallt.
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Faffipause
19.09.2023 08:02registriert Januar 2021
@Kuenzi. Hier ist von einem 3 jährigen die Rede!! Es kann seine ID nicht festgestellt werden. Wie soll dann die Familie nachkommen?
Ein kleines Kind das nicht kommuniziert sollte zu denken geben!
Bei uns an der Schule war der Fischer Aschi. Der wurde auf seinem Hof gerade geprügelt. Das liess er alle spüren. Um traumatisierte Kinder zu erleben muss du also gar nicht so weit reisen…
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