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Mafia hat Gebiet bei Neapel mit Abfall verseucht – EGMR greift ein

Die Mafia hat ein Gebiet bei Neapel mit Abfällen verseucht – der EGMR macht Italien Beine

Jahrzehntelang hat die Mafia illegal bei Neapel toxische Abfälle entsorgt. Missbildungen bei Tieren und Krebstote bewegten die italienischen Behörden nicht. Ein Urteil des EGMR soll dies nun ändern.
19.02.2025, 19:0019.02.2025, 19:06
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Marzia Cacciopoli ist Italienerin. Zusammen mit 40 anderen klagte sie gegen ihren eigenen Staat.

Vor etwas über zehn Jahren hat sie ihren Sohn an den Krebs verloren. Sie wohnten im sogenannten «Todesdreieck» bei Neapel, wo die Mafia jahrzehntelang illegal Giftmüll entsorgte.

Die Chronologie:

1980er – die Anfänge

Das dreckige Business soll in den 80er Jahren seinen Anfang genommen haben. Firmen aus dem industriell starken Norden Italiens, aber auch aus Deutschland, bezahlten die Camorra für die Entsorgung ihrer gesundheitsgefährdenden Abfälle – für einen Bruchteil des Preises einer legalen Entsorgung.

Späte 1990er – Enthüllungen

Carmine Schiavone war selbst ein Mitglied der Mafia, wandte sich jedoch 1997 an die Journalistin Marilena Natale. Sie enthüllten gemeinsam, dass die Camorra im grossen Stil giftigen Abfall im sogenannten «Todesdreieck» nordöstlich von Neapel entsorgte. Die lokale Polizei und Politiker wussten davon.

Etwa zur gleichen Zeit werden auch erste Folgen sichtbar. Nutztiere in der Region kommen mit Missbildungen zur Welt. Ausserdem kommt es zu einem auffälligen Anstieg an Krebsdiagnosen – gerade bei Kindern werden seltene Arten diagnostiziert.

2003 – Marzia Caccioppoli zieht in die Region

Marzia Caccioppoli zieht mit ihrem neugeborenen Sohn Antonio nach Casalnuovo di Napoli, mitten in das «Todesdreieck». Sie möchte eigentlich aufs Land ziehen in der Hoffnung, dass ihr Sohn mit sauberer Luft aufwachsen würde. Dies berichtet der Guardian.

Was sie damals noch nicht weiss: Die Gegend ist bereits massiv verseucht.

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Die Camorra hat jahrzehntelang im Nordwesten Neapels illegal Giftmüll entsorgt. (Symbolbild)Bild: Shutterstock

2012/2013 – Antonio wird krank

Antonio ist neun Jahre alt, als seine Mutter Spasmen in seinem Bein bemerkt. Es geht nicht lange bis zur Diagnose: Glioblastom – der aggressive Hirntumor kommt eigentlich eher bei älteren Personen vor.

Im Juni 2013 stirbt Antonio mit nur zehn Jahren.

Ende 2013 – Italien reagiert

Die öffentliche Empörung lässt der italienischen Regierung keine andere Wahl: Sie erlässt ein erstes Dekret im Zusammenhang mit dem verseuchten Gebiet. In der Folge soll geklärt werden, wie gross das betroffene Gebiet ist – ausserdem soll die Dekontaminierung beginnen.

2021 – Schuld bewiesen

Das Höhere Institut für Gesundheitswesen (ISS) bestätigt, dass ein Zusammenhang zwischen der Umweltverschmutzung im «Todesdreieck» und der hohen Zahl an Krebsdiagnosen besteht.

2023 – Neuer Bericht

Das ISS veröffentlicht einen neuen Bericht, aus dem hervorgeht, dass die Mortalitätsrate in dem betroffenen Gebiet neun Prozent höher ist als im Rest der Region Kampanien. Das Risiko, an einem bösartigen Tumor oder an Atembeschwerden zu sterben, sei signifikant höher.

EGMR greift ein

41 Klägerinnen und Kläger – darunter auch Marzia Caccioppoli, klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen den italienischen Staat.

Das Gericht urteilt Ende Januar 2025, dass mehrere italienische Regierungen versäumt hätten, gegen die Krise vorzugehen. Damit haben sie laut EGMR den Bewohnerinnen und Bewohnern des verseuchten Gebiets das Recht auf Leben (Art. 2 EMRK) verweigert.

Der EGMR gibt Italien zwei Jahre, um eine Strategie auszuarbeiten, wie gegen die Umweltverschmutzung vorgegangen werden soll. Dazu gehört, dass eine unabhängige Stelle geschaffen werden soll, die das Ganze überwacht. Auch eine Informationsplattform für die Bevölkerung soll etabliert werden. Zudem soll der italienische Staat den Beschwerdeführern innert drei Monaten je 20'000 Euro für die Deckung der Gerichtskosten bezahlen.

Die Regierung Meloni hat noch nicht auf das Urteil reagiert, doch der italienische Umweltminister hat staatliche Versäumnisse anerkannt und vorgeschlagen, einen Bevollmächtigten einzusetzen.

Die Behörden in Kampanien haben auch noch nicht auf das Urteil reagiert. Ein Beamter liess jedoch verlauten, die toxischen Abfälle seien «ein Ding der Vergangenheit».

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18 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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stookie
19.02.2025 19:55registriert Oktober 2014
«ein Ding der Vergangenheit».
Hach der herrliche Politikersprech.
Was interessiert mich mein geschwätz von gestern…
Das waren die anderen…
Wir müssen vorwärts schauen…
Sind doch nur 9% höhere raten…
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slnstrm
19.02.2025 19:12registriert August 2023
Das Umland um Neapel ist eine Sondermülldeponie. Das ist kein Geheimnis. Das wusste ich schon in den 90ern.
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