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Mit den Nazis war in Chemnitz zu rechnen

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Mit den Nazis war in Chemnitz zu rechnen – nicht mit dem Versagen der Polizei

28.08.2018, 03:0228.08.2018, 07:04
Max Biederbeck / watson.de
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watson.de-Reporter Felix Huesmann war vor Ort und hat es direkt gefilmt. Da läuft ein rechtsradikaler Demonstrant am Montagabend in Chemnitz direkt an einem Polizisten vorbei und zeigt der Kamera und dem Beamten den Hitlergruss. Ins Gesicht. 

Und es passiert: nichts.

So läuft das offenbar in Deutschland 2018, wo der wütende Bürger die Strassen für sich beansprucht – und dabei ist nicht der Nazi selbst das Überraschende. Sondern die Polizisten vor ihm.

Das ist in Chemnitz ausserdem passiert:

  • Ganze Trauben von wütenden Männern bleiben vor einzelnen Wohnungen stehen, brüllen die Leute heraus.
  • Journalisten, auch der watson.de-Reporter, werden mit Gewalt bedroht.
  • Immer wieder gibt es auf Twitter Berichte über Angriffe von Nazi-Gruppen auf Passanten.
  • Dutzende Fotos und Videos zeigen verfassungsfeindliche Symbole und Gesten.
  • Das Ganze passiert einen Tag nachdem Menschen mit Migrationshintergrund Opfer von Gewalt rechter Mobs wurden. Dies wurde am Montag von der Polizei bestätigt.

Und dann twittert die Polizei Sachsen, dass sich doch der «überwiegende Teil» der Versammlung friedlich verhalte.

Das, noch einmal, bedeutet in Deutschland 2018 also friedlich. Man muss sich fragen: Was geht da in den Köpfern der Polizisten vor? Und wenn wirklich so wenig Beamte da waren, wie viele Gegendemonstranten in den Sozialen Medien monieren. Was denken sich die Einsatzleiter und die Planer im ihnen vorstehenden Ministerium?

Nein, das ist in keiner rechtlichen Argumentation «überwiegend friedlich»!

Ja, es gibt bewährte Taktiken bei der Polizei, um Demonstrationen zu deeskalieren. Sie kommen zur Anwendung, wenn etwa ein Wasserwerfer nicht direkt vor einem Demonstrationszug geparkt wird, sondern ein paar Strassen weiter. Selbiges gilt für den Einsatz von Hunderterschaften der Polizei und mit der Beobachtung von einzelnen gewalttätigen Demo-Teilnehmern.

Wenn ein Zug wie der in Chemnitz aber von seiner Grundausrichtung her gewalttätig und vor allem verfassungsfeindlich wird, dann muss die Polizei ihn auflösen. Das sieht das deutsche Grundgesetz so vor. In Berlin passiert das andauernd, zuletzt prominent am ersten Mai. Da wollte ein linker Demozug über ein Volksfest marschieren und die Polizei sagte: «Nein!»

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Und das ist richtig. Eine Demo muss aufgelöst werden, wenn sie gegen ihre Auflagen verstösst. Vor allem aber, wenn sie von ihrer Natur her die Öffentliche Sicherheit gefährdet. Das Zeigen verfassungswidriger Zeichen in Verbindung mit Gewalt, in Verbindung mit Steinen, Drohungen, ist ein solcher Verstoss.

Was da gerade in Chemnitz passiert ist und passiert, ist ein Skandal für den Rechtstaat, ein Skandal für die «Wehrhafte Demokratie», die Deutschland doch sein will. (watson.de)

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40 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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HerrLich
28.08.2018 04:54registriert Mai 2015
Natürlich wurde mit dem Versagen der Polizei gerechnet. Es war ja das Hauptthema der Berichterstattung des Watson.de Reps. Aber ich gebe euch recht; Im Osten gibt es echt viel zu tun. Eine verfahrene Situation bei unserem grossen Nachbar.
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Kalsarikännit
28.08.2018 07:48registriert Februar 2018
Die Demonstration war durchaus nicht überwiegend friedlich, die Polizei war schlicht überfordert. Aber dass sie in einer solchen Situation nicht gleich jeden festnehmen, der einen Hitlergrußzeigt, verstehe ich. Ich kann mir vorstellen, das hätte die Situation eskalieren lassen können, was zu diesem Zeitpunkt nicht im Interesse der Polizei gewesen sein kann.
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Bananensalat
28.08.2018 06:12registriert Dezember 2016
"Dies ist das Land, in dem so viele schweigen,
Wenn Verrückte auf die Straße gehen,
Um der ganzen Welt und sich selbst zu beweisen,
Dass die Deutschen wieder die Deutschen sind.
Diese Provokation, sie gilt mir und dir,
Denn auch du und ich, wir kommen von hier."

[...]

Die Toten Hosen, 1993

Liebe Nachbarn, schaut zu eurem Land, bevor ed zu spät ist.
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