So zynisch es angesichts des Blutbads im Norden Kosovos klingen mag: Politisch kommt das Gefecht zwischen dem serbischen Terrorkommando und der kosovarischen Polizei im Kloster Banjska gerade recht – und zwar beiden Seiten.
Sowohl Serben wie auch Kosovaren können nun den von der EU seit Jahrzehnten mit aller Mühsal orchestrierten Friedensprozess offiziell abbrechen und sich auf ihre unversöhnbaren Positionen zurückziehen. Keine der beiden Seiten muss weiterhin so tun, als bestünde in der Kosovo-Frage noch irgendein Interesse an einem diplomatischen Durchbruch.
Stattdessen können beide das übliche Schwarzer-Peter-Spiel fortführen und die ganze Schuld der Gegenseite zuschieben. Kosovos Premier Albin Kurti wehrt die seit der Brüsseler Vereinbarung von 2004 hängige Bildung des serbischen Gemeindeverbands im Norden Kosovos mit den Worten «Ich bin doch nicht blöd» ab. Serbiens Präsident Aleksandar Vucic sagt sinngemäss, eher würde seine rechte Hand verdorren, als dass er seine Unterschrift unter die staatliche Anerkennung von Kosovos Unabhängigkeit setzt.
Es ist offensichtlich: Solange Kurti und Vucic in ihren Ländern an der Macht sind, werden die Aussichten auf eine friedliche Lösung in der Kosovo-Frage auf null stehen. Stattdessen werden, wie in den vergangenen Jahren mit zunehmender Regelmässigkeit, gewalttätige Eskalationen hochkochen und dann unter massivem westlichem Druck wieder abflauen – bis zum nächsten Zwischenfall mit Toten und Verletzten.
Aleksandra Tomancic, Direktorin der demokratischen Förderinitiative European Fund for the Balkans, sieht inzwischen die ganze Verhandlungsscharade zwischen Pristina und Belgrad sogar als kontraproduktiv an: «Ein jahrelanger Dialogprozess führt nur zu noch mehr Frustration, noch mehr Misstrauen und letztlich zu Spannungen, wie wir sie jetzt gerade erleben», wird Tomancic im britischen «Guardian» zitiert.
Tatsächlich fällt es schwer, keinen direkten Zusammenhang zwischen dem diplomatischen Fiasko vom 14. September und der tödlichen Schiesserei vom Wochenende zu ziehen. Ein persönliches Treffen in Brüssel zwischen Kurti, Vucic und dem EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell sowie EU-Verhandlungsführer Miroslav Lajčák endete nicht nur ergebnislos, sondern offenbar auch unter persönlichen Anfeindungen.
Kurti behauptete anschliessend, er sei von Vucic persönlich beleidigt worden, ohne dass die EU-Vertreter dazwischen gegangen wären. Somit sei für ihn der Verhandlungsprozess «in einer Sackgasse» angelangt.
Vucic seinerseits führte im Interview mit dem rechtskonservativen US-Sender Newsmax genüsslich aus, wie er in Brüssel allen fünf von der EU gestellten Bedingungen vorbehaltlos zugestimmt hätte, während Kurti dessen einzige Vorgabe, die Bildung des serbischen Gemeindeverbands, rundweg ablehnte.
Borrell bestätigte anschliessend die serbische Sichtweise: «Leider war Ministerpräsident Kurti nach einem recht langen Gespräch nicht bereit, einen glaubwürdigen Prozess voranzubringen.» Sogar Albaniens Premierminister Edi Rama – durch die Zurechtweisung des russischen Botschafters als Vorsitzender des UNO-Sicherheitsrats in New York der Mann der Stunde - kritisierte Kurti für dessen «Kurzsichtigkeit».
Es habe Rama «sprachlos» gemacht, wie Kurti nach dem Brüsseler Treffen dem EU-Gesandten Lajčák vorwarf, mit Serbien unter einer Decke zu stecken. «Das war ein beispielloser Akt. Kurti begreift nicht, dass es eine strategische Vision braucht, um seine Ziele zu erreichen», sagte Rama im Interview mit dem albanischen Sender ABC News.
Damit schien sich nur zu bestätigen, was Pristina seit dem russischen Überfall auf die Ukraine zu beobachten glaubt: EU und Nato schwenken mehr und mehr auf die serbische Seite um, um Aleksandar Vucic von Putin zu entfremden und auf die Seite des Westens zu ziehen. Dem Kosovo fällt dabei die Rolle des Bauernopfers zu.
Doch nach dem Terrorangriff in Banjska sieht Pristina vor den Augen der Weltöffentlichkeit die Dinge wieder ins rechte Lot gerückt: Der Aggressor ist eindeutig Serbien; bestimmt sei das schwer bewaffnete Kommando auf persönliches Geheiss Vucics in den Norden Kosovos eingerückt, um die Sicherheitslage zu destabilisieren und die Stimmung nach der vermeintlichen Ruhe der vergangenen Monate wieder anzuheizen.
Für serbische Hardliner ist ebenso offensichtlich, dass es sich beim Kloster-Gefecht um eine kosovarische «False Flag»-Operation gehandelt hat. Diese habe nicht nur zum Ziel gehabt, die jüngsten diplomatischen Erfolge Serbiens zunichtezumachen, sondern auch die Aufrüstung von Kosovos Polizei hin zu einer eigenen Armee zu beschleunigen. Entsprechend kommentierten Serbiens Boulevardmedien am Montag die Vorgänge vom Wochenende mit fetten Lettern und der Schlagzeile «An Kurtis Händen klebt Blut».
An einer Medienkonferenz am Sonntagabend in Belgrad wies Vucic zwar sämtliche Verantwortung von sich, stimmte aber immerhin zu, dass es sich beim Terrorkommando um Serben gehandelt habe; und zwar solche, die «Kurtis Terror nicht länger ertragen wollen».
Die beiderseitigen Reaktionen auf die Schiesserei vom Wochenende beweisen letztlich aber auch, wie ausgeliefert sowohl Kurti als auch Vucic den nationalistischen Lagern in ihren Ländern sind, die keinerlei Verständigung zulassen wollen. Serbiens Präsident steht seit den beiden Amokläufen mit insgesamt 17 Toten im Mai und den seither nicht abreissenden Zivilprotesten gegen seine Regierung zusätzlich unter Druck.
Angesichts der politischen Konsequenzen verkommt es fast zur Nebensache, wer tatsächlich hinter der jüngsten Eskalation steckt. Für eine letzte Stabilität und die Garantie, dass es nicht zu offenen Kampfhandlungen zwischen Serbien und Kosovo kommt, stand auch zuvor schon nur noch die Nato-Präsenz mit ihrer Kfor-Truppe.
Spitzname
Die Naivität von der EU hat wohl keine Grenzen.
letoni