Zwei Monate alter Leichnam reist von Berlin nach Wien und zurück
Wien hat eine besondere Beziehung zum Tod: Nirgendwo wird das Morbide so sehr gefeiert wie hier. Die Stadt strotzt vor prächtigen Friedhöfen, die Bestattungsrituale der Habsburger wirken noch immer nach, es gibt unzählige Volkslieder über die Verbundenheit Wiens mit der Vergänglichkeit – oder wie Georg Kreisler sang: «Der Tod, das muss ein Wiener sein.» So, wie die Liebe eine Französin sei.
Wieder einmal sehr schön zu sehen war dies am zweitletzten Montag im September 2025. Da wurde nämlich der Leichnam des ehemaligen Wiener Burgtheater-Intendanten Claus Peymann (88) im grossen Prunk-Treppenhaus des Burgtheaters aufgebahrt. Im Sarg zum Glück, denn Peymann, der zu diesem exorbitanten Anlass extra von Berlin nach Wien transportiert wurde, war schliesslich schon am 16. Juli verstorben. Also vor zwei Monaten und einer Woche.
Aber wieso? Weil die sogenannten Ehrenmitglieder des Burgtheaters, denen das Ritual auf der Treppe zuteil kommt, nicht während der Theaterferien (also etwa im Juli), sondern einzig während einer laufenden Spielzeit verabschiedet werden dürfen. Und wieso genau? Weil es immer schon so war und immer so sein wird.
Die grosse Abschiedszeremonie für Peymann – es gab Reden, Feuerschalen, Blumen und eine Fahrt ums ganze Burgtheater (früher echt wienerisch im von Pferden gezogenen Fiaker, heute leider nur noch im Leichenwagen) – ist nämlich seit dem 19. Jahrhundert unverändert.
Der Schweizer Stefan Bachmann, Peymanns Nach-Nach-Nach-Nach-Nachfolger am Burgtheater, erzählte in seiner Rede auf den wohl legendärsten Theater-Intendanten im deutschsprachigen Raum, wie Peymann ihm einst prophezeit habe, dass er in der Ära Bachmann sterben werde. «Die Saurier sterben schliesslich aus», habe Bachmann nach Peymanns Tod gedacht, «es wird nie mehr ihresgleichen geben. In der kleinen grossen Welt des Theaters war Peymann der König und der Narr zugleich.»
Peymann, der nach seiner Zeit am Burgtheater (1986 bis 1999) bis 2017 als Intendant am Berliner Ensemble arbeitete, hatte sich schon 2016 in einem Interview Gedanken um sein Ableben gemacht: «Die Schlüsselfrage wird ja: Wo werde ich begraben? Setzt sich Wien durch mit einem Ehrengrab, oder gehe ich doch auf den Dorotheenstädtischen Friedhof, wo Brecht liegt, Helene Weigel, Heiner Müller...? Manchmal träume ich, es wie die alten Könige zu machen: das Herz nach Wien, den Rest auf den Dorotheenstädtischen Friedhof ...»
700 Kilometer sind seine sterblichen Überreste nach Wien gereist, 700 Kilometer reisen sie nun nach Berlin zurück. Wo sie am 26. September tatsächlich auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof zur Ruhe gelegt werden.
(sme)
