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Chinas Geburtenrate auf Rekordtief gefallen – das sind die Gründe

Jung und Alt in Peking. Peking / China , 22.09.2006. MODEL RELEASE vorhanden , MODEL RELEASED Peking China PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xUtexGrabowskyx

Young and Old in Beijing Beijin ...
Jung und Alt in Peking – das Verhältnis wird immer unausgeglichener.Bild: imago stock

Chinas Geburtenrate auf Rekordtief gefallen – das sind die Gründe und die Folgen

In China wurden noch nie so wenige Kinder geboren wie im vergangenen Jahr. Die Geburtenrate im «Reich der Mitte» ist auf 1,09 gesunken. Ohne funktionierende Gegenmassnahmen wird die Bevölkerungszahl in den nächsten 50 Jahren auf unter eine Milliarde schrumpfen.
21.08.2023, 19:36
Philipp Reich
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In China ist die Geburtenrate im vergangenen Jahr auf ein Rekordtief gefallen. Wie die chinesische Zeitung «National Business Daily» letzte Woche unter Berufung auf Zahlen vom chinesischen Zentrum für Bevölkerungs- und Entwicklungsforschung berichtete, lag sie 2022 bei nur noch 1,09. Eine Frau bekommt also im Schnitt nur knapp mehr als ein Kind.

China hat damit die niedrigste Geburtenrate in allen Staaten mit einer Bevölkerung von mehr als 100 Millionen. Selbst in der Schweiz liegt sie höher: Hier bekommt eine Frau im Schnitt 1,38 Kinder. Um eine stabile Bevölkerung zu halten, braucht ein Land eine Geburtenrate von 2,1.

Massnahmen fruchten (noch) nicht

Anfang des Jahres wurde bekannt, dass die chinesische Bevölkerung erstmals seit 60 Jahren wieder schrumpft. Ende Dezember hatte das «Reich der Mitte» noch 1,411 Milliarden Einwohner und damit rund 850'000 weniger als ein Jahr zuvor. Erstmals in der Geschichte der Volksrepublik lag die Zahl der Geburten unter 10 Millionen. Nur 9,56 Millionen Babys wurden geboren, während 10,41 Millionen Menschen starben. Wenige Wochen später wurde China zudem von Indien als bevölkerungsreichstes Land der Welt überholt.

Ernsthaft besorgt über Chinas raschen Bevölkerungsrückgang und die stetig alternde Bevölkerung, versucht die Regierung in Peking nun, das Ruder herumzureissen. Mit einer Reihe von Massnahmen wird versucht, die Bevölkerung dazu zu bewegen, mehr Kinder zu bekommen – etwa mit besserer Kinderbetreuung, finanziellen Anreizen, Mutterschafts- und Elternurlaub und sogar Liebesferien für Studierende. Präsident Xi Jinping höchstpersönlich leitete im Mai ein Treffen zur Untersuchung der Problematik.

Wie sich die Rangliste der bevölkerungsreichsten Länder verändert:

Noch hat allerdings keine Massnahme gefruchtet, denn der aktuelle Mangel an Nachwuchs hat eine Reihe von Ursachen. China hat lange Zeit die sogenannte Ein-Kind-Politik verfolgt, deren Folgen bis heute nachwirken. Als die Regel 2016 aufgehoben wurde, führte das nur kurzzeitig zu einem leichten Anstieg der Geburten. Auch dass seit 2021 sogar drei Kinder pro Familie erlaubt sind, sorgte nicht für einen Baby-Boom. Nur ein Kind zu haben, ist in China heute die soziale Norm. Zwei Generationen haben es nie anders erlebt, sodass dieses Modell tief in der Gesellschaft verankert ist.

Von der Krise zur Katastrophe?

Daneben sehen Experten die hohen Kosten für Wohnraum, Bildung und Gesundheitsversorgung in China sowie die schwindende Bereitschaft zur Heirat als wesentliche Gründe für die beunruhigende Entwicklung. Die Corona-Pandemie und hohe Arbeitslosigkeit gerade unter jungen Menschen schufen weitere Unsicherheiten, die den Trend noch beschleunigt haben dürften.

Die Folgen der Bevölkerungskrise für die zweitgrösste Volkswirtschaft sind enorm. Schon länger müssen immer weniger Werktätige immer mehr alte Leute versorgen. Jeder fünfte Chinese ist heute älter als 60 Jahre. Unterstützten 2020 fünf Beschäftigte zwischen 20 und 64 Jahren einen älteren Menschen über 65 Jahre, werden es 2050 nur noch 1,5 Arbeitnehmer sein. «Ohne soziales Netz, ohne die Sicherheit der Familie wird sich eine Rentenkrise zu einer humanitären Katastrophe entwickeln», warnt der unabhängige chinesische Demografie-Forscher Yi Fuxian.

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Dass die Erwerbsbevölkerung stetig schrumpft, hat auch Auswirkungen auf die chinesische Wirtschaft. Das kapitalgetriebene Wachstum stösst langsam an seine Grenzen. Laut einer Studie der Denkfabrik Bruegel hat China schon heute eine der höchsten Investitionsquoten der Welt, und die Renditen sinken seit Jahren. Da bleibt nur, Kapital und Arbeit effizienter zu nutzen. Doch schon im Jahrzehnt nach der Finanzkrise war das Produktivitätswachstum in China nur noch halb so hoch wie in den Zeiten des zweistelligen Wirtschaftswachstums während der Nullerjahre.

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quelle: x90035 / carlos barria
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86 Kommentare
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Simplicissimus
21.08.2023 19:53registriert Januar 2015
Nigeria vs China. Das Wachstum macht mit irgendwie mehr Sorgen als der Bevölkerungsrückgang.
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ingmarbergman
21.08.2023 20:24registriert August 2017
China wird alt werden bevor es reich wird..

Viel mehr Angst sollte uns aber Indien machen. Mit der gruseligen Suppe aus Ultranationalismus und Religion, welche Modi kocht, wird da noch extrem viel Leid entstehen.
Und falls Modi (oder seine Nachfolger) auf die dumme (aber bekannte) Idee kommen sollte, und innenpolitische Probleme mit aussenpolitischen Eskapaten zu begegnen, dann gute Nacht.
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jyperion
21.08.2023 20:51registriert März 2015
Warum wird das eigentlich bei China immer als dieses riesen Problem dargestellt, aber im Bezug auf die Schweiz und Europa kaum mit demselben Nachdruck thematisiert?
Klar, laut den Prognosen wird das bei uns nicht ganz so dramatisch, aber wird trotzdem massive Folgen auf das Land haben.
Setzen wir einfach auf Zuwanderung als Lösung für alles?
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