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China: Wie die Wirtschaft an Deflation und Arbeitslosigkeit krankt

Chinas Wirtschaft gerät in immer ärgere Schieflage: die Probleme in 4 Punkten

Mit den jüngsten Zahlen enttäuscht das Land der Mitte noch mehr als angenommen. Ein Überblick über die vier gewichtigsten Probleme, die sich Chinas Wirtschaft derzeit stellen.
10.08.2023, 11:3910.08.2023, 12:27
Lara Knuchel
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Dass 2023, das Jahr des Hasen, kein gutes Jahr für die chinesische Wirtschaft sein wird, zeichnete sich schon länger ab. Doch die neusten Zahlen, welche diese Woche veröffentlicht wurden, zeigen ein immer düstereres Bild.

Am Dienstag wurde bekannt, dass die Exporte der zweitgrössten Volkswirtschaft im Juli so stark eingebrochen sind wie zuletzt nur in den ersten Pandemie-Monaten. Und am Mittwoch bestätigten sich nun die Befürchtungen, wonach China sich mit einer Deflation herumschlagen muss.

Zwar versucht die chinesische Regierung, den Konsum und damit die gesamte Wirtschaft wieder anzukurbeln, bislang zeigen ihre Bemühungen aber wenig Erfolg. Eine Übersicht über die grössten Baustellen:

Deflation

Es ist ein Begriff, der westlichen Ländern derzeit wie ein Fremdwort vorkommen dürfte: Deflation. Zum ersten Mal seit Anfang 2021 erlebt die chinesische Wirtschaft wieder sinkende Preise.

Der Konsumentenpreisindex ist im Juli gegenüber dem Vorjahr um 0,3 Prozent gesunken, wie aus den am Mittwoch veröffentlichten offiziellen Statistiken hervorgeht. Dies, nachdem er im Vormonat unverändert geblieben war. Und der Produzentenpreisindex, der die Preise von Waren direkt ab Werk misst, sank im selben Zeitraum gar um 4,4 Prozent.

Wo liegt der Unterschied zu westlichen Ländern, welche die steigenden Preise nur langsam in den Griff kriegen? Während Europa und die USA zu Pandemie-Zeiten umfassende Konjunkturmassnahmen einleiteten – die in der Folge zu steigenden Preisen beitrugen –, setzte China auf eine dreijährige Zero-Covid-Politik. Zwar versuchte die Regierung nach der Aufhebung dieser Zero-Covid-Politik mit Zinssenkungen und Steueranreizen für Firmen, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Die erhofften Effekte blieben bislang allerdings weitgehend aus.

epa10790164 A woman walks by in front of the shop window of a clothing store in Beijing, China, 08 August 2023. China's trade surplus dropped to 80.6 billion US dollar (73.36 billion Euro) in Jul ...
Eine Frau passiert einen Laden in Peking. In China sinken die Preise erstmals seit zweieinhalb Jahren. Ein Grund dafür: die durchzogene Konsumlaune. Bild: keystone

In den Augen der meisten Ökonomen ist eine Deflation problematischer als eine – wenn auch nicht allzu hohe – Inflation. Das liegt einerseits an den Erwartungen: Wenn Konsumentinnen und Konsumenten davon ausgehen, dass Produkte immer billiger werden, schieben sie ihren Konsum immer weiter auf. Das kann, andererseits, zu sinkenden Gewinnen, tieferen Löhnen oder Entlassungen bei Firmen führen. Eine Spirale, die, wenn sie an Fahrt gewinnt, nur schwer unter Kontrolle zu bringen ist.

Einbruch bei den Exporten

Zu Chinas Unglück können derzeit auch vom sonst so wichtigen Aussenhandel keine positiven Impulse erwartet werden. Im Gegenteil: Der Wert der Exporte, gemessen in US-Dollar, fiel im vergangenen Monat gegenüber dem Vorjahr um 14,5 Prozent. Es ist der stärkste Rückgang seit Februar 2020 und gleichzeitig der dritte Monat in Folge, in dem die Exporte zurückgehen.

Zwar muss man hier etwas relativieren: Die Zahlen werden mit Juli 2022 verglichen, als die Exporte aussergewöhnlich hoch und die Preise noch deutlich tiefer waren. Dennoch: Der Einbruch übersteigt die Erwartungen der Analystinnen und Analysten und ist ein weiteres Zeichen für die anhaltende Baisse in der globalen Nachfrage nach Konsumgütern.

FILE - The Yangshan container port is seen in an aerial view in Shanghai, China on July 10, 2021. China?s exports tumbled in June, 2023, by 12.4% compared with a year earlier amid weaker global demand ...
Die Exporte sinken bereits seit mehreren Monaten: Container im Hafen von Schanghai. Bild: keystone

Schwächelnde Exporte versetzen der chinesischen Wirtschaft einen herben Schlag. Schliesslich war der Aussenhandel gerade zu Pandemie-Zeiten ein wichtiger Lichtblick – 2022 waren die Exporte für 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich.

Hinzu kommt, dass die USA, der wichtigste Handelspartner Chinas, immer stärker auf eine Entkopplung der beiden Volkswirtschaften drängt. Gut möglich, dass die Regierung Xi Jin Ping deshalb zurzeit auf Versöhnungskurs ist. Dazu passen Spekulationen, wonach Chinas Aussenminister abgesetzt wurde, weil er einen zu rigorosen anti-amerikanischen Kurs fuhr.

Gleichzeitig mit den Exporten fielen auch Chinas Importe um über zwölf Prozent – deutlich mehr als die von Analysten erwarteten fünf Prozent. Auch das ein Zeugnis dafür, dass die Menschen in China nicht gerade in Kauflaune sind. Angesichts der dürftigen Auftragslage und der schlechten Konjunkturaussichten haben Chinesinnen und Chinesen derzeit wenig Grund, ihr Geld auszugeben. Vielmehr will man sich absichern und sparen – nicht zuletzt, da das soziale Sicherungssystem in China eher schwach ist und die Menschen dazu angehalten werden, sich selbst zu versichern.

Immobilienkrise

Während Jahrzehnten waren grosse private Baufirmen die grossen Treiber hinter Chinas Urbanisierung: Zahlreiche gigantische Projekte liessen den Immobiliensektor so stark anwachsen, dass die gesamte Branche (inklusive der Dienstleistungen) mittlerweile 25 Prozent der Wirtschaftsleistung Chinas ausmacht. Das war von der Regierung, welche die Branche mit entsprechenden Regulierungen und Anreizen unterstützte und sogar Wachstumsziele vorgab, so gewollt.

epa10072389 Residential buildings in Beijing, China, 15 July 2022. China's investment in real estate development fell by 5.4 percent year-on-year in the first half of 2022, down to around 1,009.5 ...
In China gibt es mittlerweile zu viele Immobilien: Wohngebäude in Peking, China.Bild: EPA

Doch seit etwa zwei Jahren holt diese Politik die Regierung ein. Ende 2021 kollabierte der zweitgrösste Immobilienkonzern Chinas, Evergrande, und musste massive Restrukturierungen vornehmen. Er war nicht der einzige Konzern mit grossen Problemen. Der Grund: Die Immobilienbranche baute jahrelang auf Pump. Und da der Markt nach wie vor stark durch die Regierung gesteuert – und massgeblich finanziert – wird, sieht sich die Branche nun mit einem Überangebot konfrontiert. «Die kommunistischen Planer haben es zugelassen, dass am Bedarf vorbei gebaut wurde», formuliert es die NZZ. Das führte unter anderem dazu, dass zahlreiche Immobilien nicht fertig gebaut werden oder leer stehen, gleichzeitig können viele Konzerne ihren riesigen finanziellen Verpflichtungen nicht mehr oder nur mit Mühe und Not nachkommen.

Jetzt, da der Konsum generell nachlässt, scheint eine Erholung des Immobiliensektors in weite Ferne gerückt. Gemäss der «Financial Times» sinkt die Nachfrage nach Immobilien weiterhin kontinuierlich. Ein Analyst sagt gegenüber der Zeitung: «Das Finanzierungsmodell für chinesische Entwickler ist kaputt und es gibt nichts, was es ersetzen könnte. Letztendlich werden sie an den Punkt kommen, an dem sie nichts mehr verkaufen können und keine Einnahmen mehr haben.»

Arbeitslosigkeit

Sie dürfen nicht zu hohe Ziele haben und bei der Arbeit nicht wählerisch sein, wird den jungen Leuten in China derzeit eingetrichtert. Der Hintergrund: Die Jugendarbeitslosigkeit in städtischen Gebieten ist auf eine Rekordrate von über 21 Prozent geklettert.

epa10755186 (03/31) Graduates throw their trencher caps after the degree awarding ceremony at Renmin University in Beijing, China, 26 June 2023. China?s young job seekers are faced with record high yo ...
Chinas junge Arbeitssuchende sehen sich mit einer rekordverdächtigen Jugendarbeitslosigkeit konfrontiert. Besonders besorgniserregend ist das Problem in Grossstädten wie Peking und Schanghai, wo im Jahr 2023 eine neue Rekordzahl von 11,6 Millionen Studierende ihren Abschluss machen und auf einem bereits überfüllten Markt Arbeit suchen werden.Bild: keystone

Die Gründe für diese Verdoppelung innerhalb von zwei Jahren können so zusammengefasst werden: Einerseits gibt es einen sichtbaren «Mismatch» zwischen Angebot und Nachfrage. Während Chinas Regierung eine höhere Bildungsquote forcierte, bildeten sich die entsprechenden Jobs für Hochqualifizierte nicht mit derselben Geschwindigkeit. Die Folge: Zu viele Jobs für Niedrigqualifizierte, zu viele Chinesinnen und Chinesen mit hohen Abschlüssen.

Darüber hinaus haben das harte Durchgreifen der Regierung und die verschärfte Aufsicht bei Technologiefirmen wie zum Beispiel Alibaba eine gesamte Branche gedämpft, wie die «New York Times» schreibt. Es sind Bereiche, in die junge Menschen strömten, um Arbeit zu finden.

Und nicht zuletzt ist auch die bisher unbekannt hohe Arbeitslosigkeit eine Folge der Konjunkturlage: Seit der Pandemie sträuben sich private Firmen gegen die Schaffung von mehr Jobs. Zwar erhoffte man sich eine schnelle Besserung nach der Öffnung, aufgrund der enttäuschenden Wachstumszahlen im zweiten Quartal sah sich aber auch hier die Regierung gezwungen, nachzuhelfen. So veröffentlichte Peking einen 31-Punkte-Plan, der die Firmen dazu animieren sollte, Arbeitsplätze zu schaffen.

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quelle: shutterstock / peter galleghan
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46 Kommentare
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Pummelfee
10.08.2023 12:36registriert Mai 2020
Der Ukrainekrieg hat uns gelehrt, das wir besser unabhängiger von diktatorisch geführten Staaten werden sollten. Das trifft jetzt natürlich auch China, das sich ja bislang nicht dazu durchringen konnte, den Krieg zu verurteilen. Auch die Pandemie hat uns gezeigt, was es bedeutet keine Waren mehr zu erhalten, weil China in einem Dauerlockdown war. Da wurden halt andere Wege gesucht und gefunden und beibehalten.
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Allkreis
10.08.2023 12:06registriert Januar 2020
In einer Wirtschaftszeitung habe ich gelesen, dass die Exportmenge gleich geblieben ist. Der Rückgang also fallenden Preisen (in $) geschuldet ist. Wäre irgendwie schon wichtig, das auseinanderzuhalten (Menge, Preis in Renminbi, Preis in $) um sich ein besseres Bild zu machen. Von einem SRF Korrespondenten habe ich gehört, die Chinesen seien pessimistisch und sparen lieber als Geld auszugeben. Das könnte die Deflation erklären. Die Statistiker sagen Chinas BIP wächst noch. Irgendwie habe ich gerade Mühe mir eine Meinung zu bilden.
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Geri Gagarin
10.08.2023 12:11registriert Februar 2023
Hier sieht man gut wie wir Sklaven unseres Wirtschaftssystems sind.

Um nachhaltig auf unserem Planeten zu leben sollten wir hauptsächlich aufhören immer mehr und mehr "schei...." zu konsumieren. Das führt aber zwangsläufig dazu, dass viele welche dieses Zeugs produzieren keinen Job mehr haben.

Paradoxerweise führen auch Probleme mit Demographie und sinkendem Befölkerungswachstum dazu, dass die welche einen Job haben länger arbeiten sollten.

Schlussendlich ist es uns gar nicht möglich weniger zu Konsumieren weil dadurch alles aus den Fugen gerät... Keine change das Rad zu stoppen.
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