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Boeing-CEO Dave Calhoun tritt zurück

Boeing CEO Dave Calhoun speaks briefly with reporters after a meeting in the office of Sen. Mark Warner, D-Va., at the Capitol in Washington, Wednesday, Jan. 24, 2024. Part of the Boeing 737 MAX 9 fle ...
Dave Calhoun.Bild: keystone

Boeing-CEO tritt zurück – «umfassende Umstrukturierung des Managements»

Boeing-CEO, Dave Calhoun, wird Ende 2024 zurücktreten, wie das «Wall Street Journal» am Montag mitteilte. Der Rücktritt sei Teil einer umfassenden Umstrukturierung des Managements des angeschlagenen Luft- und Raumfahrtriesen.
25.03.2024, 14:1725.03.2024, 16:53
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Der kriselnde Flugzeugbauer Boeing leitet wenige Wochen nach einem Beinahe-Unglück einen Wechsel an der Konzernspitze ein. Konzernchef Dave Calhoun gebe den Posten Ende des Jahres ab, teilte der US-Konkurrent des Flugzeugherstellers Airbus am Montag mit.

In der jüngsten Vergangenheit hatten eine Reihe von Qualitäts- und Herstellungsmängeln beim Flugzeughersteller für Aufsehen gesorgt. In der Folge hatten zuletzt diverse Fluggesellschaften und Aufsichtsbehörden verstärkt Veränderungen im Unternehmen gefordert.

Neben Calhoun treten auch Verwaltungsratschef Larry Kellner und der Chef der Verkehrsflugzeugsparte, Stan Deal, ab. Während Kellner bei der diesjährigen Generalversammlung nicht mehr zur Wahl antritt, übergibt Deal seinen Posten mit sofortiger Wirkung an Stephanie Pope. Die Managerin hatte bei Boeing Anfang des Jahres die Leitung des Tagesgeschäfts übernommen. Bei der Bekanntgabe ihres Aufstiegs im Dezember wurde sie schon als mögliche Nachfolgerin Calhouns gehandelt.

Calhoun wechselte Anfang 2020 auf den Chefposten, nachdem sein Vorgänger Dennis Muilenburg infolge seines stark kritisierten Krisenmanagements nach den Abstürzen zweier 737-Max-Jets den Hut genommen hatte. Calhoun betonte nun, dass sein eigener Abschied seine persönliche Entscheidung gewesen sei. Er habe den Verwaltungsrat informiert, dass 2024 sein letztes Jahr als Konzernchef sein werde.

5. Januar war ein «Wendepunkt»

Insbesondere nach einem Unfall am 5. Januar, bei dem ein Rumpfteil bei einer Notlandungstüre wenige Minuten nach dem Start einer Boeing 737 Max 9 herausgerissen wurde, verschärften sich die Probleme bei Boeing dramatisch.

«Wie Sie alle wissen, war der Unfall des Alaska Airlines Fluges 1282 ein Wendepunkt für Boeing», schrieb Boeing-CEO Calhoun am Montag an die Mitarbeitenden. «Wir müssen weiterhin mit Demut und vollständiger Transparenz auf diesen Unfall reagieren. Ausserdem müssen wir auf allen Ebenen unseres Unternehmens ein umfassendes Engagement für Sicherheit und Qualität verankern.»

Zudem schrieb Calhoun:

«Die Augen der Welt sind auf uns gerichtet, und ich weiss, dass wir aus diesem Moment als besseres Unternehmen hervorgehen werden, aufbauend auf all den Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren beim Wiederaufbau von Boeing gesammelt haben.»

Calhoun hatte Investoren, Kunden von Fluggesellschaften und der Öffentlichkeit seit Monaten versprochen, dass Boeing daran arbeitet, seine Qualitätsprobleme in den Griff zu bekommen.

Vernichtender Bericht und toter Whistleblower

Die US-Luftfahrtbehörde FAA hatte Ende Februar nach einer monatelangen Untersuchung Mängel bei der Qualitätssicherung von Boeing angeprangert. In der Verkehrsflugzeug-Sparte fand eine FAA-Kommission etwa keinen einheitlichen und klaren Weg für die Mitarbeitenden, über Qualitätsmängel zu berichten.

Kurz darauf sorgte die Nachricht vom Tod eines Boeing-Whistleblowers für grosse Aufmerksamkeit: Der 62-jährige John Barnett sei wegen einer selbst zugefügten Wunde am 9. März verstorben, die Polizei ermittelt noch. Boeing liess vermelden, man sei betrübt wegen des Todes des ehemaligen Angestellten. Barnett arbeitete 32 Jahre lang für Boeing, bis er 2017 aus gesundheitlichen Gründen pensioniert wurde. Ab 2010 überwachte er die Qualität der Produktion des 787 Dreamliner, eines Langstreckenflugzeugs. Nur wenige Tage vor seinem Tod sagte er noch in einem Whistleblower-Prozess gegen den Konzern aus.

Boeing hinkt Airbus hinterher

Der Mittelstreckenjet 737 Max ist die Neuauflage der seit den Sechzigerjahren gebauten 737 und das mit Abstand meistgefragte Modell des Herstellers. Schon 2019 geriet Boeing mit dem Typ in die schwerste Krise seiner Geschichte. Nach den Abstürzen zweier Jets, bei denen insgesamt 346 Menschen ums Leben kamen, erliessen Behörden in aller Welt Flugverbote. Erst nach technischen Verbesserungen wurde das Modell nach mehr als 20 Monaten schrittweise wieder für den Flugverkehr freigegeben.

Den Hersteller kostete das Desaster Milliardensummen. Auf einen Schlag verlor Boeing 2019 seine Position als weltgrösster Flugzeughersteller an Airbus und hinkt seitdem hinterher. Inzwischen schrieb der US-Konzern fünf Jahre in Folge rote Zahlen. Die Folgen des jüngsten Zwischenfalls und die behördlichen Auflagen kosten Boeing weitere Milliarden, wie Finanzchef Brian West vor wenigen Tagen erklärte.

Calhoun will den Konzern den Angaben zufolge weiter durch das Jahr führen, um die Stabilisierung des Unternehmens und seine Positionierung für die Zukunft abzuschliessen. «Wir müssen weiterhin mit Demut und vollständiger Transparenz auf diesen Unfall reagieren», schrieb der Manager an die Mitarbeiter. «Ausserdem müssen wir auf allen Ebenen unseres Unternehmens ein umfassendes Engagement für Sicherheit und Qualität verankern.»

Bei den jüngsten Untersuchungen bestand Boeing laut der «New York Times» von 89 Überprüfungen einzelner Prozesse nur 56. Insgesamt seien 97 Verstösse festgestellt worden, berichtete die Zeitung Mitte März unter Berufung auf eine interne Präsentation. Wie schwerwiegend die Probleme waren, blieb unklar. Die FAA teilte bisher lediglich mit, sie habe mehrfach Verstösse gefunden.

Nachfolge noch unklar

Wer Calhouns Nachfolge an der Spitze des Luftfahrt- und Rüstungskonzerns übernimmt, steht noch nicht fest. Den Auswahlprozess soll der neue Verwaltungsratschef Steve Mollenkopf leiten. Der frühere Chef des Chipherstellers Qualcomm gehört dem Gremium seit dem Jahr 2020 an.

Die Boeing-Aktie stieg am Montag nach Calhouns Ankündigung im vorbörslichen Handel um mehr als 3 Prozent.(lak/yam)

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13 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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mstuedel
25.03.2024 14:20registriert Februar 2019
Der Fisch hat vom Kopf her gestunken, und ein Abtritt der alten Garde ist sicher ein erster Schritt. Es braucht aber noch ein paar mehr, um das verlorene Vertrauen in Boeing Flugzeuge zurückzugewinnen. Zuerst muss das Unternehmen die Qualitätskontrolle wieder in den Griff kriegen, was nicht ohne Effizienzeinbussen und Abkehr von der Shareholder Value Maxime gelingen wird. Anstatt in Aktienrückkäufe muss Boeing ausserdem in R&D investieren. Sie brauchen dringend ein Nachfolgemodell für die B-737, da führt kein Weg daran vorbei.
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