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Mount-Everest-Besteigung: Gefahr gehört bei Sherpas zum Alltag

A mountain guide uses a radio at Camp 2 on the way to the summit of Mount Everest in Nepal, May 2, 2025. (AP Photo/Pasang Rinzee Sherpa)
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Ein Sherpa im Camp 2 des Mount Everest auf 6400 Metern über Meer. Bild: keystone

«Nach dem letzten Funkspruch stand mein Herz still» – der gefährliche Alltag der Sherpas

Sherpas, die Helfer und Retter der Mount-Everest-Besteiger. Sie sind in ihrem Alltag im Himalaya konstant grossen Gefahren ausgesetzt. Jetzt beginnen sie, ihre Sicht der Dinge zu erzählen.
02.06.2025, 19:5902.06.2025, 19:59
Nina Bürge
Nina Bürge
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Das Funkgerät im Base-Camp des Mount Everest, auf 5364 Metern, knistert. Der Leiter des Base-Camps, Dorchi Sherpa, presst das Gerät an sein Ohr, um einen weiteren Funkspruch nicht zu verpassen. Es ist der 22. Mai 2024, in der Frühbergsteigersaison im Himalaya herrscht Hochbetrieb.

Der abgehackte Funkspruch war die letzte verzweifelte Nachricht seines Sherpa-Kollegen Nawang Sherpa. Dieser führte einen kenianischen Bergsteiger auf den Gipfel des höchsten Berges der Welt.

«Als ich den letzten Funkspruch hörte, stand mein Herz still.»
Erzählt Dorchi Sherpa gegenüber BBC.

Der kenianische Bergsteiger, den Nawang Sherpa begleitete, wollte ohne zusätzlichen Sauerstoff den Gipfel erklimmen. Als die beiden Bergsteiger in der «Death Zone» ankamen, erreichte der Funkspruch schliesslich das Base-Camp. In der «Death-Zone» (8000 Meter) beginnt der menschliche Körper zu versagen. Jeder Atemzug liefert nicht mehr genügend Sauerstoff, um grundlegende Körperfunktionen aufrechtzuerhalten.

Mountaineers queue up below Camp 4 on the way to the summit of Mount Everest in Nepal, May 17, 2025. (AP Photo/Jenjen Lama)
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Bergsteiger kurz vor der «Death Zone», knapp unter 8000 Metern Höhe.Bild: keystone

«Der Kunde scheint sich unwohl zu fühlen», ertönte es durch das Funkgerät. Dorchi Sherpa antwortete seinem Kollegen, Nawang Sherpa, er solle ihm Sauerstoff geben und den Abstieg antreten. Dies erzählt er gegenüber BBC. Doch der kenianische Bergsteiger weigerte sich, den Sauerstoff anzunehmen. Zwei Stunden lang zogen sich die Diskussionen erfolglos hin. Der Kenianer wollte weder den Sauerstoff annehmen noch umkehren. Alleine hatte Nawang Sherpa aber nicht genügend Kraft, um ihn sicher wieder aus der «Death Zone» zu bringen. Die Diskussionen nahmen für beide Männer schliesslich ein tödliches Ende.

Der kenianische Bergsteiger starb an akutem Sauerstoffmangel. Sein Körper liegt immer noch am selben Ort, an dem der letzte Funkkontakt zu den zwei Bergsteigern stattgefunden hatte. Woran Nawang Sherpa verstorben ist, ist unklar. Seine Leiche konnte nie gefunden werden.

Die Tragödie, die sich an diesem Frühlingstag abspielte, beleuchtet die tödlichen Risiken, denen sich Sherpas tagtäglich aussetzen.

Sherpas im Mittelpunkt

Laut Sanu Sherpa, einem Bergführer, der als einziger alle 14 Achttausender-Gipfel zweimal bestiegen hat, ist der Tod von Nawang Sherpa kein Einzelschicksal.

Sanu Sherpa hat alle 14 Achttausender-Gipfel zweifach bestiegen.
Sanu Sherpa hat alle 14 Achttausender-Gipfel zweifach bestiegen.quelle: instagram/shaanudai

Er sagt gegenüber der BBC, dass Nawang nicht leichtsinnig war. Er habe genau das getan, wozu er ausgebildet wurde. Verantwortungsbewusst bis zum Schluss.

«Die Tragödie liegt darin, dass sein Tod die beruflich angemessene Entscheidung war.»
Die Sherpas
Der Begriff «Sherpa», der heute oft als Berufsbezeichnung für jeden Höhenführer im Himalaya verwendet wird, bezeichnet ursprünglich eine ethnische Gruppe aus dem östlichen Hochland Nepals.

Die Arbeit als Führer oder Träger am Mount Everest bietet den Sherpas eine einmalige Chance in einer der wirtschaftlich ärmsten Regionen der Welt. Doch der Job verlangt Bergführern extrem viel ab. Nun beginnen die Sherpas, dies selbst immer mehr zu hinterfragen.

Das Klettern als Lebensunterhalt

Dawa Sherpa, die erste Nepalesin, die alle 14 Achttausender bestiegen hat, weist im Interview mit BBC auf das gefährliche Missverständnis hin.

Dawa Sherpa hat es selbst miterlebt: Mahlzeiten in 8000 Metern Höhe zubereiten, den eigenen Sauerstoff zu rationieren, nur damit ihre Kunden weiter klettern können, ist höchst anspruchsvoll. «Sherpas gehen über ihre eigenen Grenzen hinaus, damit andere ihr Ziel erreichen», sagt die Nepalesin. Sie fügt an, dass wohlhabende Bergsteiger sich oft mehrere Sherpas buchen und erwarten, dass sie beim Abstieg körperlich von den Sherpas unterstützt werden, wenn sie erschöpft sind.

Wenn Sherpas über die Gefahren ihres Berufs sprechen, kommt auch immer wieder dasselbe Thema auf: die Unmöglichkeit, die gefährlichen Wünsche der Kunden abzulehnen, aus Angst, ihre Arbeit und ihr Einkommen zu verlieren.

«Sherpas klettern nicht wegen des Ruhms und der Ehre und auch nicht, um etwas zu erreichen. Sie klettern, weil es manchmal die einzige Quelle für ihren Lebensunterhalt ist.»
Nima Nuru Sherpa, Präsident der Nepal Mountaineering Association (NMA)quelle: BBC

Der Tourismusbehörde fehle es auch an den Ressourcen und an Fachwissen, um die Vorgänge in solch extremen Höhen zu überwachen, schreibt BBC. Nichtsdestotrotz seien viele der Sherpas auf das Gehalt angewiesen, um ihre Familien zu unterstützen.

Bergführer, die von der «International Federation of Mountain Guides Association» zertifiziert sind, können pro Besteigung bis zu 9000 US-Dollar verdienen. Dies ist deutlich mehr als der Durchschnittsgehalt in Nepal. Dieser beträgt ca. 1399 US-Dollar pro Jahr. Sherpas, die als Führer oder Träger arbeiten, betonen aber, dass – falls es zu einer Tragödie kommt – das finanzielle Sicherheitsnetz unzureichend bleibt.

Die Regierung von Nepal hat die obligatorische Lebensversicherung für Hochgebirgsarbeiter vor Kurzem auf 14'400 US-Dollar erhöht. Laut Reiseführern reicht dies aber bei weitem nicht aus, um abhängige Familien für ein ganzes Leben voller Einkommensverlust und Pflege zu entschädigen.

Auch die Familie von Nawang Sherpa hat nach seinem Tod die übliche Versicherungssumme erhalten. Und auch sein Arbeitgeber habe der Familie zusätzliche Mittel bereitgestellt und Unterstützung angeboten.

Als Reaktion auf die zunehmenden Sicherheitsbedenken bei Mount-Everest-Besteigern hat das Ministerium für Tourismus in diesem Frühjahr neue Vorschriften für die Klettersaison 2025 eingeführt. Bei allen Expeditionen zu Gipfeln über 8000 Metern muss nun ein Verhältnis von einem Bergführer zu zwei Bergsteigern eingehalten werden. Zusätzlich müssen alle Bergsteiger ein Kaugummi-grosses Reflektorgerät bei sich tragen. Dieses soll ermöglichen, dass Rettungsteams durch spezielle Radarwellen die verunglückten Bergsteiger schneller finden und retten können.

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