«Karibu sana!», ruft Regina Mazinge zur Begrüssung, als sie aus ihrem kleinen Haus tritt. Aus einem Gehege hinter dem Haus ist Hühnergegacker zu hören. Mit einer einladenden Geste zeigt sie stolz auf ihren Garten. Hier, auf diesem Stück Land, hat sie sich eine Existenz aufgebaut. In einem Land, in dem Frauen ihren Weg oft nicht selbst wählen können.
Regina hat jung geheiratet – mit 19 Jahren. So wie es schon ihre Mutter und Grossmutter gemacht hatten. So wie es all ihre Freundinnen taten. Viermal wurde sie schwanger – und jedes Mal begab sie sich in Übereinstimmung mit dem ärztlichen Rat ins Krankenhaus, weil eine natürliche Entbindung zu riskant gewesen wäre. Aufgrund von Komplikationen während der Geburt musste sie sich chirurgischen Eingriffen unterziehen. Dies liess sie in den Augen ihres Mannes schwach erscheinen, da Kaiserschnitte damals in Tansania vielerorts verpönt waren. Als Folge der notwendigen Operation verlor Regina die Chance, wieder schwanger zu werden. Von ihren Kindern blieb ihr nur eine Tochter, die anderen drei starben kurz nach der Geburt. Von da an sprach ihr Mann ihr jeglichen Wert ab. Er schlug sie, misshandelte sie, sperrte sie im Haus ein – jahrelang. Regina laufen beim Erzählen Tränen über die Wangen.
In ihrer Not wandte sie sich an den Pastor der Gemeinde und bat ihn, sich scheiden lassen zu können. Er zögerte zunächst – auch Scheidungen sind in ihrer Kultur nicht gern gesehen. Dann sah er ihre Wunden und realisierte, dass ihr Mann sie regelmässig einsperrte. «Wenn ich nicht eingreife, werde ich eines Tages erfahren, dass diese Frau gestorben ist», soll er gemäss der Schilderung Reginas gesagt haben. Er gab ihr einen Brief, mit dem sie sich auf den Weg zum nächsten Gericht machte – acht Stunden Fussmarsch entfernt. Nach zehn Jahren Ehe durfte sie sich endlich von ihrem Mann scheiden lassen und kehrte mit ihrer Tochter in ihr Heimatdorf zurück.
Dort zog die heute 54-Jährige zu ihrer Mutter und pflegte diese, als sie schwer krank wurde, bis sie im Jahr 2000 verstarb. Die Mutter hatte ihr Land an Regina und ihre sechs Geschwister aufgeteilt. «Das Stück Land, das meine Mutter für mich vorgesehen hatte, war alles, was mir blieb. Aber dieser kleine Teil half mir.» Sie verkaufte ihn und nutzte den Ertrag, um anderswo ein Stück Land zu kaufen und ein kleines Geschäft zu starten – auf lokalen Märkten verkaufte sie Zwiebeln und andere Waren.
Es sollte ein Neuanfang werden. Doch auch in ihrem neuen Dorf Kikonge stiessen Regina Herausforderungen entgegen. Ein Mann, der im Dorf eine hohe Position innehatte, hatte ein Auge auf sie geworfen. Als er ihr einen Heiratsantrag machte, lehnte sie ab. Doch die Ablehnung zog unerwartete Konsequenzen nach sich. Der Mann setzte alles daran, ihr das Leben schwer zu machen. Mehrmals versuchte er als Dorfvorsteher, sie zu vertreiben oder Teile ihres Landes wegzunehmen. Einmal, um den Fussballplatz zu vergrössern, ein anderes Mal, um öffentliches Land geltend zu machen. Wehren konnte sie sich nicht, denn die genauen Masse ihres Landes waren nirgends dokumentiert.
Wäre das einem Mann auch passiert? Regina schüttelt den Kopf. «Nein. Sie sagten mir sogar: Wie kann eine Frau so viel Land besitzen? Da muss Korruption im Spiel sein.»
Reginas Schicksal ist kein Einzelfall. An der Spitze des ostafrikanischen Staates steht zwar mit Präsidentin Samia Suluhu Hassan eine Frau, die als relativ progressiv gilt. Ebenfalls belegt Tansania im letztjährigen Global Gender Gap Report einen vergleichsweise hohen Rang – Platz 54 von 146 untersuchten Ländern. Doch je weiter man sich von den urbanen Zentren entfernt, desto schwieriger sind die Lebensumstände für Frauen.
«Auf dem Land ist die Gesellschaft noch immer sehr patriarchal geprägt. Frauen, die ihre Meinung offen äussern oder mitentscheiden wollen, stossen oft auf Widerstand – sei es durch Skepsis oder offenen Ausschluss», erklärt Faraja Mwakibete, die für die Schweizer NGO Helvetas in Tansania arbeitet. Selbst auf dem Land aufgewachsen, kennt sie die Lebensrealitäten der Menschen dort gut. Sie beobachtet zwar einen positiven Wandel, etwa durch Social Media. Das ermögliche es Frauen, Missstände wie zum Beispiel Misshandlungen direkt publik zu machen. Doch die Überzeugung, dass Frauen nicht gleichwertig sind, sei immer noch tief in der Gesellschaft verankert.
Ein Bericht von UN Women und der African Development Bank bestätigt: In 32 Prozent der ländlichen Haushalte entscheidet der Vater allein über die Bildung der Kinder, ohne die Meinung der Mutter einzuholen. Bei wichtigen Anschaffungen wie Lebensmitteln, Kleidung oder landwirtschaftlichen Betriebsmitteln haben Männer oft das letzte Wort.
Männer sind nicht nur das Oberhaupt der Familien, sondern auch der Dörfer. Und: Wie vielerorts auf der Welt ist die Einstellung in den Dörfern meist konservativer als in den Städten. Als Dorfälteste haben Männer oft Macht über ganze Gemeinschaften – und damit über soziale Normen. In dieser Ordnung bleibt für tansanische Frauen, die ein selbstbestimmtes Leben führen wollen, wenig Platz. Wer sich nicht an die sozialen Normen hält, riskiert nicht nur gesellschaftliche Ächtung, sondern auch, Opfer von Gewalt zu werden.
In vielen Dörfern gibt es inzwischen offizielle Anlaufstellen, bei denen Frauen Gewalt oder Diskriminierung melden können. Oft sind es Dorfvorsteher, speziell geschulte Gemeindemitglieder – sogenannte «Paralegals» – oder auch die Gender-Desks der Polizei und lokale Gemeindeentwicklungsbüros. Sie alle sollen als erste Ansprechpersonen dienen und machen etwa in Gemeindeversammlungen auf Missstände aufmerksam. Doch nicht alle Verantwortlichen sind dafür sensibilisiert – und nicht immer fällt es den Betroffenen leicht, sich Hilfe zu holen, wie Helvetas-Mitarbeiterin Mwakibete erklärt.
«In unserer Gesellschaft leben wir mit unseren Verwandten, meist in Grossfamilien. Das bedeutet, dass Frauen, die geschlechtsspezifische Gewalt erfahren, sich oft nicht an offizielle Stellen wenden können, sondern etwa beim Schwiegervater um Hilfe bitten müssen», erzählt Mwakibete. NGOs spielten hier eine entscheidende Rolle, da sie informelle Meldekanäle schaffen und Betroffene unterstützen – etwas, das die Regierung allein nicht leisten könne.
Für Regina änderte sich die Situation, als Helvetas gemeinsam mit den Dorfverantwortlichen von Kikonge begann, ein System zur Dokumentation von Landbesitz aufzubauen. Die Organisation arbeitete mit den lokalen Behörden zusammen, um das Bewusstsein für das Recht von Frauen auf Landbesitz zu schärfen, und entwickelte gemeinsam mit ihnen einen detaillierten Landnutzungsplan. Erst durch diese klare Erfassung der Flächen wurde es möglich, dass Bewohnerinnen und Bewohner offizielle Landzertifikate beantragen konnten – ein entscheidender Schritt, um ihr Eigentum rechtlich abzusichern und sich gegen Willkür zu wehren. Regina liess sich als Erstes auf die Liste eintragen und nahm ihr Zertifikat im Januar 2025 entgegen. Seitdem kann sie ihr Land nicht nur besser schützen, sondern auch für sich nutzen, ohne ständig um dessen Verlust zu fürchten. Etwa jetzt, da das Dorf plant, eine Strasse quer über ihr Grundstück zu bauen. Derzeit verhandelt sie darüber, wie viel sie für das Stück Boden und die drei darauf stehenden Mangobäume als Entschädigung erhalten soll.
Regina hat aus ihrem Land mehr gemacht als nur einen Wohnort. Sie hat einen «Food Forest» angelegt, einen Waldgarten mit Früchten, Gemüse und Heilpflanzen wie Niembäumen. In Schulungen von Helvetas lernte sie, welche Pflanzen sich gegenseitig unterstützen, welche den Boden schützen. Während früher auf ihrem Grundstück nur wasserintensive Eukalyptusbäume wuchsen, ist ihr Garten heute ein eigenes, kleines Ökosystem. Eines, das ihr nicht nur Nahrung, sondern auch ein Einkommen sichert.
«Anfangs habe ich Bäume einfach wahllos gepflanzt und sie von selbst wachsen lassen. Aber nachdem ich gelernt habe, sie zunächst in Setzlingsbeuteln zu ziehen, ist alles viel einfacher geworden. Jetzt gehen die Bäume nicht mehr ein, wenn ich sie an einen anderen Ort verpflanze.» Zwischen Bananenstauden, Mango- und Papayabäumen baut sie Gemüse an und vertreibt es auf dem Markt. Die Setzlinge in ihrer Baumschule verkauft sie an Bäuerinnen und Bauern.
Doch nicht nur das: Mittlerweile gibt die 54-Jährige auch ihr breites Wissen zu regenerativer Landwirtschaft – solcher also, die den Boden und die Pflanzen nachhaltig schützen und fruchtbar halten soll – weiter. Denn im Gegensatz zu früher sähen die Dorfbewohner sie heute als Vorbild an, erzählt sie. «Sie sind stolz auf mich und gratulieren mir, dass ich diese schwierigen Bedingungen überwunden habe. Sie würdigen auch, dass ich die Gegend positiv verändert und in einen gut erhaltenen, lebenswerten Ort verwandelt habe», sagt sie und lächelt.
Ihr Blick wandert über ihr Land. Sie weiss, dass sie es verteidigen muss. Doch jetzt hat sie etwas, das sie früher nicht hatte: die Mittel, sich zu wehren. Und eine Gemeinschaft, die hinter ihr steht.
Die Reise nach Tansania wurde durch die Schweizer Hilfsorganisation Helvetas ermöglicht.