«Wir müssen unsere Gefallenen holen. Wollt ihr mitkommen?» So begrüsst uns Iwan vor seinem improvisierten Hauptquartier. Seine Soldaten bereiten einen armeegrünen Pick-up vor, mit dem sie die Leichen von der Front wegbringen möchten. Für Iwan hat es dort keinen Platz, der zwei Meter grosse Hüne zwängt sich deshalb in unser Auto.
Die staubige Piste führt uns an Feldern entlang, die schon lange nicht mehr bestellt wurden. Eingegrenzt werden die Äcker von bewaldeten Streifen, deren Blätterdach guten Sichtschutz bietet. Beide Kriegsparteien nutzen die Waldgebiete für ihre Stellungen, Fahrzeuge und Geschütze.
Bei einem Waldstück biegen wir ab und halten in der Nähe eines Bunkers. Die Autos parken wir unter Bäumen. Ein Blick auf die Landkarte des Smartphones zeigt, dass wir weniger als 500 Meter von den nächsten russischen Schützengräben entfernt sind. Die Russen befinden sich im gegenüberliegenden Waldgebiet.
Im Unterstand riecht es säuerlich nach Schweiss. Hier nächtigen mindestens zehn Soldaten. Draussen ist ein Stromgenerator zu hören. Iwan verbindet sein Telefon mit dem Funknetz des Bunkers und erhält nach wenigen Sekunden aktuelle Bilder von der russischen Stellung. «Wir haben Aufklärungsdrohnen in der Luft und beobachten die Russen ständig», erzählt der 29-Jährige. «Wenn der Akku der Drohne leer ist, kommt sofort eine neue zum Einsatz.»
Die Software, welche die Ukrainer für das Zusammenführen von Drohnenbildern und die Übermittlung von Zielkoordinaten und anderen Informationen benützen, heisst «Kropiwa» (Brennnessel). Sie wurde vor Jahren von zivilen Tüftlern programmiert und seither stetig weiterentwickelt. Das System gibt Iwan und vielen anderen Truppenführern einen gewaltigen digitalen Vorsprung gegenüber den Russen, die zum Teil noch mit Papierkarten, Lineal und Bleistift operieren.
Weil der Kompaniekommandant kürzlich verwundet wurde, führt nun Iwan die Einheit als Stellvertreter. Die Kompanie gehört zum 225. Bataillon der Territorialverteidigung und besteht aus Freiwilligen, die vor dem Krieg alle Zivilisten waren. «Ich habe in Charkiw zwei Universitätsstudiengänge absolviert, wir sind keine professionellen Soldaten», erzählt der Hüne. «Aber wir haben in den letzten 14 Monaten viel gelernt.»
Auf Iwans Tablet verfolgen wir mit, wie die Aktion weiterverläuft. Die Drohnenbilder zeigen die Russen in ihrem Graben. Ein Uniformierter verbindet einen anderen. «Diese Russen gehören zur sogenannten Söldnereinheit «Veteranen», erzählt Iwan weiter. Die «Veteranen» haben die Stellung von Wagner-Söldnern übernommen, damit sich diese nun 15 Kilometer weiter südöstlich auf die letzten ukrainischen Bastionen in der Stadt Bachmut konzentrieren können.
Vom Waldstück mit dem Unterstand führt ein langer Graben bis unterhalb der russischen Stellung. Dort steht auch ein von den Russen abgeschossener ukrainischer Kampfpanzer. Zwei Geschütze beschiessen nun die «Veteranen» im Wald, aber die Geschosse verfehlen die russischen Stellungen. Immerhin bleiben die Söldner in ihren Unterständen und Löchern geduckt.
Jetzt rückt eine Gruppe Ukrainer durch den langen Graben vor und schiesst eine Minenschlange ab. Das ist eine Art mit Sprengstoff gefüllter Schlauch, der über ein Minenfeld geschossen wird und nach dem Aufprall am Boden explodiert. Durch die entstehende Gasse nähern sich die Ukrainer dem russischen Graben, ohne diesen aber direkt anzugreifen. Sie decken ihre Kameraden, die nun zum zerstörten Kampfpanzer laufen und dort einen der gefallenen Panzersoldaten finden. Mit einem langen Seil ziehen sie die Leiche in ihren Graben.
Kurz darauf beginnt die russische Artillerie, die Ukrainer zu beschiessen. Ihre Granaten sind präziser, und die Ukrainer müssen sich zurückziehen. Erst am nächsten Tag gelingt es dem 225. Bataillon, die Stellung zu stürmen. Dies zeigt ein Drohnenvideo, das uns Iwan später schickt. Diesmal treffen die ukrainischen Granaten die russischen Stellungen, und kurz darauf nähern sich die Angreifer und räuchern die Bunker aus. Auf dem Video ist auch zu sehen, wie sich mindestens ein russischer «Veteranen»-Söldner ergibt.
Die Aktion von Iwans Einheit ist wichtig, denn damit rücken die Ukrainer entlang einer grossen Autostrasse näher an Bachmut und die Salzminen des benachbarten Soledar heran. Die Wagner-Gruppe macht in der Stadt Bachmut selbst zwar weiter Fortschritte und ist kurz davor, die Ukrainer aus den letzten Gebäuden im Westen zu drängen. Doch die russischen Flanken bröckeln unter Angriffen wie jenen des 225. Bataillons zunehmend.
Der Kommandeur der ukrainischen Bodentruppen, Oleksander Sirskij, drückte es kürzlich so aus: Bachmut sei eine Mausefalle, in die russische Truppen wie die Ratten stürmten. Vieles deutet darauf hin, dass die Ukrainer mit dem Hauptstoss ihrer Frühlingsoffensive nur darauf warten, dass der Kreml noch mehr Truppen von anderen Frontabschnitten abzieht, um seinen Angriff auf Bachmut zum Erfolg zu bringen.
Die mit westlichen Kampf- und Schützenpanzern frisch ausgerüsteten Brigaden der Ukraine haben hier nicht in die Kämpfe eingegriffen. Sie warten wohl auf den richtigen Moment, um ganz woanders zuzuschlagen.
https://www.oryxspioenkop.com/2022/02/attack-on-europe-documenting-equipment.html
Aktionen wie diese sind enorm wichtig für die Gegenoffensive+schwächen RUS enorm