Es ist ein eigenartiges Treffen: Der eine muss 9'000 Kilometer durchs eigene Land reisen, nur um den Diktator eines 100-fach kleineren Landes zu treffen. Der andere setzt sich mehrere Tage in seinen gepanzerten Spezialzug, weil er sich da sicherer als im Flieger fühlt.
Doch so merkwürdig das Drumherum dieses Russland-Nordkorea-Gipfels auch sein mag, in der Sache ist es durchaus ernst: Bei dem Treffen in Wladiwostok im fernen Osten Russlands soll es vor allem um ein Thema gehen: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die USA verdächtigen Russland, den Termin zu nutzen, um nordkoreanische Waffen und Munition zu kaufen. Es wäre ein internationaler Tabubruch, der den Krieg weiter eskalieren könnte.
Moskau und Pjöngjang dementieren den Vorwurf, doch Experten zufolge könnte der Deal bereits gelaufen sein. Denn schon im Vorfeld gab es mehrere diplomatische Kontakte sowie Hinweise, dass Nordkorea eine grössere Waffenlieferung nach Russland plant. Doch welche nordkoreanischen Waffen könnten Russland bei seiner Invasion überhaupt helfen? Was kann Putin Kim im Gegenzug anbieten? Und wie würde der Westen reagieren, sollte es zu diesem verhängnisvollen Deal kommen? Der Überblick zum Kim-Putin-Gipfel:
Nordkorea könnte etwa die ballistische Kurzstreckenrakete KN-23 an Russland liefern, sagt der südkoreanische Analyst und Journalist Ifang Bremer zu «ZDFheute». Die russische Armee könnte die Raketen ohne grössere Anpassung an die eigenen Waffensysteme im Ukraine-Krieg einsetzen.
Denkbar wäre zudem ein Munitionsnachschub für russische Artilleriegeschütze und Kampfpanzer, so Bremer: «152 bis 122 Millimeter-Geschosse für die Artillerie und 100 bis 150 Millimeter für die Panzer aus Sowjet-Zeiten, die Russland zurzeit immer noch in der Ukraine einsetzt.»
Auch Joseph Dempsey von der Denkfabrik International Institute for Strategic Studies (IISS) glaubt, ein Deal könnte sich vor allem auf den Nachschub an Artilleriemunition beziehen: «Nordkorea verfügt wahrscheinlich über die grössten Bestände an alten Artilleriegeschossen aus der Sowjetzeit, mit denen die durch den Ukraine-Konflikt erschöpften russischen Bestände aufgefüllt werden könnten», so Dempsey zur Nachrichtenagentur AFP.
Die moderneren nordkoreanischen Waffen seien hingegen für die russische Armee weniger geeignet, so Dempsey. Zudem sei unklar, ob diese in grösserer Stückzahl produziert werden können. Der US-Regierung zufolge lieferte Nordkorea im vergangenen Jahr bereits Raketenwerfer und Raketen für die russische Wagner-Söldnertruppe. Pjöngjang bestreitet das.
«Wenn Russland mehr hochentwickelte Waffen zu günstigeren Preisen von Nordkorea erhalten kann, gibt es keinen Grund, warum Moskau davon absehen würde», so der südkoreanische Verteidigungsexperte Yang Uk zur «Financial Times».
Im Vorfeld der Reise hatte Kim offenbar mächtig die Werbetrommel für seine Waffenindustrie gerührt: Im August besuchte er allein fünf Munitionsfabriken binnen einer Woche, zudem Hersteller von Drohnenmotoren und Raketen, berichtet die «Financial Times». Kim rief demnach zu einem nationalen Kraftakt auf: Ingenieure und Beamte seien angewiesen worden, die Waffenproduktion anzukurbeln, von Interkontinentalraketen über Marschflugkörper bis zu Sturmgewehren.
Die Werbetour durch die nationale Rüstungsindustrie wurde vom nordkoreanischen Staatsfernsehen landesweit übertragen, so die US-Zeitung. «Kim versucht, seine Waffenindustrie im Ausland bekannt zu machen», indem er potenziellen Kunden seine Produktionsanlagen vorführe, so der Verteidigungsexperte Yang Uk zur «Financial Times».
Die Botschaft an den Westen könnte zudem lauten: Nordkorea ist trotz der internationalen Sanktionen in der Lage, moderne High-Tech-Waffen zu entwickeln, und zwar in einem Massstab, dass das Land sogar für den Export produzieren kann. Das bewies das Regime bereits in den vergangenen Tagen, als es sein erstes nuklearwaffenfähiges U-Boot «Held Kim Kun Ok» präsentierte.
Russland hat vieles, was das verarmte Nordkorea gut gebrauchen könnte. Der Westen hat gegen das Land wegen seines Atom- und Raketenprogramms harte Sanktionen verhängt, Pjöngjang hat nur eingeschränkten Zugang zu Importwaren. Neben Nahrungs- und Düngemitteln für die hungernde Bevölkerung sowie Gas und Öl könnte Nordkorea auch Interesse an Schlüsseltechnologien und «Produktionskapazitäten für die Weiterentwicklung der nordkoreanischen Rüstungsindustrie» haben, so der Militäranalyst Dempsey.
In einem UN-Bericht vom vergangenen Jahr ist von einem nordkoreanischen Diplomaten in Moskau die Rede, der Technologien für ballistische Raketen besorgt und zudem 3'000 Kilogramm Stahl für U-Boote zu beschaffen versucht habe. Putin könnte Kim weitere Raketentechnologie und wichtige Industriestoffe liefern.
Das Verhältnis zwischen beiden Ländern war in den letzten Jahrzehnten nicht immer eng. Moskau war seit der Gründung Nordkoreas vor 75 Jahren ein enger Verbündeter und jahrzehntelang ein wichtiger Unterstützer des isolierten Landes. Die Sowjetunion reduzierte jedoch den Geldfluss, als Nordkorea in den 80er Jahren begann, sich mit Südkorea zu versöhnen. Der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 traf Nordkorea hart, die bilateralen Beziehungen stagnierten.
Die lange Geschichte der Rüstungskooperation mit der Sowjetunion zeigt sich auch daran, dass viele nordkoreanische Raketen- und Waffensysteme stark den Waffen aus der Sowjetzeit ähneln oder diese sogar kopieren. So ähnelt die bereits erwähnte ballistische Kurzstreckenrakete KN-23 aus Nordkorea dem russischen Iskander-System, schreibt die «Financial Times». Iskander-Raketen kommen auch im Ukraine-Krieg zum Einsatz, etwa bei Terrorangriffen auf ukrainische Städte.
Erst in den 00er Jahren begannen die russisch-nordkoreanischen Beziehungen wieder aufzublühen: Ein erstes Gipfeltreffen fand im Jahr 2000 statt. Putin und der damalige Machthaber Kim Jong Il vertieften damals vor allem die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Kims Sohn Kim Jong Un stattete Russland schliesslich 2019 seinen ersten offiziellen Besuch ab. Seitdem festigen sich die Beziehungen beider Länder. Kim unterstützte von Anfang an Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, denen auch Moskau zugestimmt hat, verbieten Waffengeschäfte mit Pjöngjang. Die USA, Grossbritannien, Südkorea und Japan stellten klar, dass eine entsprechende Vereinbarung zwischen Russland und Nordkorea gegen diese Resolutionen verstossen würde. Washington hat beiden Ländern bereits mit weiteren Sanktionen gedroht, sollte es zu einem Rüstungsdeal kommen.
«Jedes Übertragen von Waffen von Nordkorea an Russland wäre eine Verletzung mehrerer Resolutionen des UN-Sicherheitsrats», sagte Matthew Miller, der Sprecher des US-Aussenministeriums, am Montag. Es sei ein «Zeichen der Schwäche Putins», dass er überhaupt mit Kim verhandeln müsse, so Miller und fügte spöttisch hinzu: «Ich würde es als 'um Hilfe betteln' bezeichnen – angesichts der Tatsache, dass er quer durch sein eigenes Land reisen muss, um einen internationalen Paria zu treffen und ihn um Unterstützung in einem Krieg zu bitten, von dem er geglaubt hatte, ihn im ersten Monat zu gewinnen.»
Um die Resolution des Sicherheitsrates zu umgehen und weitere Sanktionen zu vermeiden, werden Kim und Putin vermutlich einen Deal «hinter verschlossenen Türen schliessen», vermutet der Nordkorea-Experte Cheong vom Sejong-Institut. Sollten Nordkorea und Russland Waffenlieferungen in Gang setzen, sei es die «Verantwortung der internationalen Gemeinschaft», die beiden Staaten zur Rechenschaft zu ziehen, sagt Cheong.
(t-online, afp, dm)
Das einzig Positive daran ist nur, dass die Chinesen anscheinend nichts liefern wollen. Zumindest nicht offiziell...
Im Ernst: Wenn sich Russland mit Nordkorea, China und dem Iran verbündet, dann ist das eine Koalition von Potentaten ohne jeden Respekt vor Menschen- oder Völkerrecht.