Russland betont weiterhin beharrlich, nicht in die Ukraine einmarschieren zu wollen. So hat Russlands Botschafter in Washington Befürchtungen des Westens vor einem baldigen Einmarsch russischer Soldaten in die Ukraine zurückgewiesen.
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«Es gibt keine Invasion, und es gibt auch keine solchen Pläne», sagte Anatoli Antonow dem US-Sender CBS am Sonntag. Russland wolle die diplomatischen Bemühungen zur Lösung aller offenen Fragen fortsetzen.
Die US-Regierung zieht dies allerdings in Zweifel. Denn Medienberichten zufolge liegen ihnen Geheimdienstinformationen vor, wonach Moskau seinem Militär an der Grenze zur Ukraine den Befehl gegeben haben soll, mit Einmarschplänen fortzufahren.
Diese Information von vergangener Woche soll US-Präsident Joe Biden am Freitag zu der Aussage veranlasst haben, dass Russlands Präsident Wladimir Putin die Entscheidung zum Angriff getroffen habe, wie die «New York Times» und der Sender CBS am Sonntag unter Berufung auf Beamte berichteten. Der Befehl bedeute aber nicht, dass eine Invasion sicher sei, da Putin seine Meinung immer noch ändern könne.
Inmitten aller Spannungen hat Russland ein Manöver mit Einsatz ballistischer Raketen abgehalten. Wladimir Putin habe die Übung am Samstag vom Kreml aus gestartet, sagte Sprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge in Moskau.
Auch der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko sei dabei gewesen. Er war bereits am Freitag zu Gesprächen in die russische Hauptstadt gereist.
Das russische Verteidigungsministerium hatte das Manöver am Freitag angekündigt. Es soll demnach im Voraus geplant gewesen sein. Ziel sei, die strategischen Nuklearwaffen auf ihre Zuverlässigkeit zu testen. Die Armee feuerte laut Kreml-Mitteilung ballistische Raketen und Marschflugkörper ab.
Im Konfliktgebiet Donbass im Osten der Ukraine haben die Verstösse gegen die Waffenruhe nach Einschätzung internationaler Beobachter weiter massiv zugenommen. In der Region, wo sich die vom Westen aufgerüsteten ukrainischen Regierungstruppen und die von Russland unterstützten Separatisten gegenüberstehen, registrierte die Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Hunderte Fälle von Beschuss. In der Region Luhansk seien 648 Verstösse gegen die Waffenruhe festgestellt worden, darunter 519 Explosionen, hiess es in einer am späten Freitagabend veröffentlichten Mitteilung der OSZE. Für die Region Donezk wurden 222 Verstösse gemeldet, darunter 135 Explosionen. Das war eine deutliche Zunahme im Vergleich der vergangenen Tage.
In der Nacht zum Samstag soll der Beschuss nach Darstellung der Separatisten fortgesetzt worden sein. Die Aufständischen in dem Gebiet Donezk teilten am Morgen mit, seit Mitternacht seien mehrere Dutzend Granaten auf ihr Gebiet abgefeuert worden. Auch die Separatisten im Gebiet Luhansk sprachen von mehreren Verstössen gegen den Waffenstillstand. Diese Angaben liessen sich nicht unabhängig überprüfen. Der Chef der Donezker Separatisten, Denis Puschilin, rief am Samstag zu einer «Generalmobilmachung» auf. Er habe ein entsprechendes Dekret unterzeichnet, schrieb er im Nachrichtenkanal Telegram. Er richte sich damit an Reservisten. «Ich appelliere an alle Männer der Republik, die in der Lage sind, eine Waffe in der Hand zu halten, sich für ihre Familien, ihre Kinder, ihre Frauen, ihre Mütter einzusetzen.»
Bei einem Beschuss eines Dorfes in der Ostukraine sind nach Angaben der von Russland unterstützten Separatisten zwei Zivilisten getötet worden. Der Zwischenfall habe sich in Pionorskoje im Gebiet Luhansk ereignet, sagte ein Sprecher am Sonntag der russischen Nachrichtenagentur Interfax. Die Leichen sollten demnach am Mittag aus den Trümmern geborgen werden. Die Separatisten beschuldigten die ukrainische Armee, für den Angriff verantwortlich zu sein. Fünf Wohnhäuser seien zerstört worden. Die Angaben liessen sich nicht unabhängig überprüfen. Die ukrainische Armee hatte am Samstag den Tod zweier Soldaten der Regierungstruppen gemeldet.
In den festgefahrenen Konflikt mit Russland kommt Bewegung: Zur Deeskalation ist ein Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Joe Biden und Kremlchef Wladimir Putin geplant. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron habe den beiden am Sonntag ein solches Treffen und anschliessend ein weiteres mit allen Beteiligten vorgeschlagen, hiess es aus dem Élyséepalast in Paris. US-Präsident Biden habe «im Prinzip» einem Treffen mit Putin zugestimmt, teilte das Weisse Haus mit. Bedingung sei allerdings, dass Russland vorher nicht in die Ukraine einmarschiere.
Nach einem ersten Gespräch mit Putin am Sonntag Vormittag hatte Macron zunächst mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefoniert. Dieser betonte die Dialogbereitschaft seines Landes im Konflikt mit Russland. Wie es am Samstagabend hiess, habe Selenskyj in dem Gespräch ausserdem zugesichert, nicht auf Provokationen moskautreuer Separatisten in der Ostukraine zu reagieren. Er habe sich entschieden geäussert, eine Eskalation verhindern zu wollen. Im Anschluss beriet Macron sich telefonisch mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), US-Präsident Joe Biden sowie dem britischen Präsidenten Boris Johnson.
Aufgrund der zugespitzten Lage in der Ostukraine beruft die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) für Montag eine Sondersitzung ein. Das sagte der polnische Vize-Aussenminister Pawel Jablonski nach Angaben der Agentur PAP am Sonntag. Polen nimmt derzeit den OSZE-Vorsitz wahr. Die OSZE versucht seit Langem, in dem Konflikt zu vermitteln. Russland hat dies bisher aber strikt abgelehnt und zuletzt an einigen Sitzungen gar nicht mehr teilgenommen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Drohung des Westens unterstrichen, dass Russland im Fall eines Angriffs auf die Ukraine «massive Konsequenzen» zu erwarten hat. Zum angedachten Sanktionspaket sagte sie am Sonntag in einem Interview der ARD-Sendung «Anne Will»: «Die Finanzsanktionen bedeuten für den Kreml, dass wenn sie militärische Aggressionen gegen die Ukraine fahren, Russland im Prinzip abgeschnitten wird von den internationalen Finanzmärkten.»
Litauen und Lettland fordern angesichts des verschärften Ukraine-Konflikts sofortige Sanktionen des Westens gegen Russland und eine Stärkung der Nato-Ostflanke. Dass die russischen Truppen entgegen den bisherigen Versicherungen Moskaus in Belarus verbleiben, sei ein «Game-Changer für die Sicherheit der an Belarus angrenzenden Nato-Staaten», schrieb der litauische Aussenminister Gabrielius Landsbergis am Sonntag auf Twitter. «Nato-Verstärkungen und EU-Sanktionen sind angebracht.»
Die Regierungen von Deutschland, Österreich und Frankreich haben ihre Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, die Ukraine zu verlassen. Die offizielle Schweiz hat am Samstagabend nachgezogen: Schweizer Staatsangehörigen in den Regionen Donetsk und Luhansk in der Ukraine wird empfohlen, diese Regionen mit eigenen Mitteln vorübergehend zu verlassen.
Stellungnahme der Schweiz zu Entwicklungen in der #Ukraine pic.twitter.com/VESTnJloh2
— EDA - DFAE (@EDA_DFAE) February 19, 2022
Zuvor wurde lediglich von «touristischen und anderen nicht dringenden Reisen» sowie Reisen in «gewissen Teilen generell» abgeraten.
Am Sonntag ist das vorläufig letzte Swiss-Flugzeug aus der Ukraine in die Schweiz geflogen. Die Maschine aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew landete am Nachmittag in Zürich.
Wie andere europäische Airlines verzichtet die Swiss aus Sicherheitsgründen ab Montag vorerst bis einschliesslich am 28. Februar auf Flüge in die Ukraine. «Die Sicherheit der Fluggäste und Besatzungsmitglieder hat zu jeder Zeit oberste Priorität», begründete ein Unternehmenssprecher die Massnahme. Die ukrainische Fluggesellschaft Uia verkehrte derweil weiterhin zwischen Kiew und Genf. (saw/sda/dpa)