«Jetzt wird die zweite Stufe gezündet», sagt Mark Pieth, emeritierter Basler Strafrechtsprofessor und Antikorruptionsexperte. Zusammen mit den Anwälten Stefan Wehrenberg (Zürich) und Rodney Dixon (London) forderte er am Freitag den Weltfussballverband FIFA von Gianni Infantino in Zürich öffentlich auf, bei der Vergabe der Fussball-WM 2034 an Saudi-Arabien die Menschenrechtslage im Wüstenstaat zu prüfen. «Wir sind hier, um die FIFA an die eigene Menschenrechtsdoktrin zu erinnern», sagte Pieth.
Dies im Hinblick auf die formelle Vergabe der WM 2034, die im Dezember am virtuellen FIFA-Kongress erfolgen soll. Faktisch steht Saudi-Arabien längst als Austragungsort fest, weil es keine andere Bewerbung gibt. FIFA-Boss Gianni Infantino habe hier mit langer Hand diskret gewirkt, sagen Beobachter.
Die Befürchtung vieler: Gerade weil die Saudis den Zuschlag schon auf sicher haben, brauchen sie auch in Sachen Menschenrechte keine grosse Rücksicht zu nehmen.
Auch darum der Druck der Gruppe Pieth auf Infantino. Stufe eins war ein 22 Seiten starkes Dokument, das die Anwälte im Mai 2024 an die FIFA schickten. Darin wird die desolate Menschenrechtslage im autoritären Staat des Kronprinzen und Premierministers Mohammed bin Salman skizziert. Und es werden minimale Bedingungen formuliert, die die FIFA in Bezug auf Menschenrechte an die Vergabe knüpfen müsste. Die Gruppe bot auch an, der FIFA bei der Erarbeitung eines Aktionsplans durch unabhängige Experten zu helfen. Die FIFA aber antwortete bis dato nicht auf die Eingabe vom Mai.
Zwar: Infantino liess sich, als die FIFA im Februar 2016 die Achtung der Menschenrechte in ihren Statuten verankerte, wie folgt zitieren: «Die FIFA ist entschlossen, ihre Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte wahrzunehmen und in diesem wichtigen Bereich unter den internationalen Sportorganisationen eine Führungsrolle einzunehmen.»
Aber dann kam die WM 2022 in Katar, und schon das Emirat besserte bei den Menschenrechten nicht wirklich nach, sondern betrieb Sportwashing in grossem Stil: nutzte die WM, um ihr Image aufzupolieren. Führte millionenschwere Spionagekampagnen gegen Kritiker durch.
Im Vergleich zur WM 2034 war das vielleicht nur Nasenwasser. Die Saudis sind mächtiger, werden als noch nervöser wahrgenommen, der Brutalo-Kronprinz bin Salman ist skrupelloser. «Die Saudis sind gefährlicher», sagte Pieth gestern.
Gerade Anwalt Rodney Dixon weiss, wovon er spricht. Er ist der Anwalt der türkischen Verlobten von Regimekritiker Jamal Khashoggi. Der Journalist der «Washington Post» wurde im Oktober 2018 im saudischen Konsulat von Istanbul gefoltert und buchstäblich geschlachtet. Indizien und Abhörergebnisse von Geheimdiensten lassen keine Zweifel daran, dass der Kronprinz bin Salman den Mord in Auftrag gab, um Dissidenten abzuschrecken.
Menschenrechtsverletzungen hätten in Saudi-Arabien zuletzt zugenommen, unter dem besonders skrupellosen Kronprinzen, sagen die Gruppe Pieth, aber auch Amnesty International oder Human Rights Watch. Die Saudis schränken etwa die Meinungsfreiheit zunehmend ein. Es gibt unzählige Beispiele. Zwei Frauen, die sich auf Twitter für Menschen- und Frauenrechte einsetzten, wurden von «Spezialgerichten» zu 34 respektive 45 Jahren Haft verurteilt. Wer aufmuckt oder das Regime kritisiert, wird willkürlich weggesperrt, oft misshandelt.
Im Laufe dieses Jahres liess Saudi-Arabien bereits etwa 200 Personen hinrichten, so Amnesty International. So viele wie seit 1990 nicht mehr. In gut 50 der Fälle wegen eines Drogendelikts.
Dixon sagte, dass der Ansatz, den er und seine Gruppe wähle, «nicht konfrontativ, sondern konstruktiv» sei. Keiner von ihnen sei naiv, «es ist nicht die Aufgabe der FIFA, die Welt zu ändern». Aber der Weltfussballverband habe sich in den Statuten selbst zur Einhaltung und Durchsetzung aller international anerkannten Menschenrechte verpflichtet. «Wir verlangen, dass die Probleme ehrlich angesprochen werden», sagt Dixon.
Auch der Zürcher Anwalt Stefan Wehrenberg hegt die Hoffnung, dass sich noch etwas bewegen lässt. Weil formell noch der Kongress im Dezember über die WM-Vergabe entscheiden muss, setzt er Hoffnung insbesondere in europäische Verbände. In Norwegen, Deutschland, aber auch die Schweiz. Dass sie aufstehen und am Kongress fordern werden, was in Statuten und Verfassung stehe: Dass bei Menschenrechten gewisse Mindeststandards einzuhalten seien, ansonsten ein anderer Austragungsort bestimmt werde.
Die FIFA antwortete nicht konkret auf eine Reihe von Fragen von CH Media, ob und wie sie auf Einhaltung der Menschenrechte in Saudi-Arabien pochen will. Das «gründliche Bewerbungsverfahren» laufe gleich wie bei den anderen WM-Vergaben, so ein Sprecher. Alles laufe transparent, auch die unabhängigen Bewertungen in Sachen Menschenrechte seien auf der Website verfügbar.
In Katar hat sich die Menschenrechtslage laut Experten nach der WM kaum verbessert. Immer noch unklar ist, ob die FIFA ihrer Verantwortung bei der Entschädigung für Wanderarbeiter genügend nachkam. Einen Bericht dazu hält die FIFA bisher unter Verschluss.
Ein FIFA-Sprecher gibt an, der Bericht werde derzeit von den Beteiligten geprüft und diskutiert, die Ergebnisse würden später veröffentlicht. Experten und Gewerkschaftsvertreter hätten aber anerkannt, dass es im Bereich der Arbeitsrechte grosse Fortschritte gegeben habe. (aargauerzeitung.ch/lyn)
Die Katar WM habe ich zusammen mit vielen Anderen nicht zur Kenntnis genommen.