Wenige Tage nach dem Sturz Assads versuchen Beamte der siegreichen Islamisten, den Staatsapparat in Damaskus zu übernehmen.
Am Dienstag begleitete die Financial Times Mohammad Yasser Ghazal, einen 36-jährigen Technokraten der neuen Rebellen-Regierung, in der syrischen Hauptstadt. Er wuchs in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf und arbeitete bis 2014 als Bauingenieur in Saudi-Arabien. Danach zog er nach Idlib in Syrien. Er trägt einen langen Bart und sieht sich als frommen Muslim.
Im Gouverneurssitz sind die Wände blank. Die Assad-Portraits, die dort hingen, dienen nun als Fussabtreter. Ausgewählte Beamte durchforsteten bereits die Büros.
Die neuen Autoritäten veranlassten, dass 30 Departementsvorsteher des Assad-Regimes zu einem Treffen erschienen, bei dem die «Financial Times» dabei war. Dabei wollten die Rebellen unbegabte Beamte aussortieren.
Ghazal verlangt beim Treffen von den Departementsvorstehern, ihre Aufgabenbereiche und Funktionen zu erläutern.
Die Regime-Beamten zitieren Regierungs-Richtlinien aus den 30er und 60er Jahren und können keine direkten Fragen zu ihren Aufgaben beantworten oder Auskunft darüber geben, wieso gewisse Entscheide gefällt wurden. Die Probleme hätten sich gestapelt und niemand habe sich als verantwortlich gesehen.
Der Vorsteher des PR-Departments sagt, zu ihren Aufgaben habe auch die «internationale Zusammenarbeit» gehört. Weiter habe es eine «Abteilung für Feierlichkeiten und Veranstaltungen» gegeben. Ghazal will es genauer wissen und fragt nach, was diese Abteilung genau getan habe. Die Antwort: «Flaggen.»
Darauf Ghazal: «Es gibt ein Departement für Flaggen?»
Derselbe Departementsvorsteher hat auch eine Übersetzungs-Abteilung. Zwei Mitarbeiter sprechen Englisch. Ghazal will wissen, ob es auch Übersetzer für Russisch und Persisch gebe, da Russland und die Islamische Republik Iran das Assad-Regime unterstützten und immer wieder Diplomaten nach Damaskus entsandten. Die Antwort des Regime-Beamten: «Nein.» Vertreter Russlands und Irans hätten jeweils ihre eigenen Dolmetscher mitgebracht.
Die zwei englischsprachigen Übersetzer waren in den vergangenen Jahren komplett nutzlos, da keine westlichen Diplomaten zu Besuch waren. Ghazal hakt nach: «Ihr hattet keine englischsprachigen Würdenträger zu Besuch?»
Ghazal schüttelt den Kopf und meint nur: «Ein lächerlicher Staat.» Er wird selbst bald viele Aufgaben des Gouverneurs übernehmen. Zuvor half er bereits beim Aufbau der oppositionellen Regierung in Idlib.
Die Regionalverwaltung von Damaskus hat einen differenzierten Aufgabenbereich, sie kümmert sich um die Bewilligung von Coiffeur-Salons genauso wie um Bauarbeiten, Tourismus und Elektrizität.
Die neuen Beamten verbrachten ihren ersten Tag vor allem damit, das Ausmass an Korruption in der Verwaltung einzuschätzen und Jobs zu streichen, die nur dazu da waren, öffentliche Gelder abzuzweigen.
Ghazal sieht die Ursache der Korruption darin, dass das monatliche Gehalt für Beamte vom Regime auf umgerechnet ca. 25 Franken pro Monat reduziert wurde. Syrien erlebte seit 2019 eine Wirtschaftskrise. Der aufgeblasene und ineffiziente Staat habe massiv zu seinem eigenen Fall beigetragen.
Die ehemaligen Regime-Angestellten sprechen weiter von der «Krise» und «den Ereignissen». Ghazal braucht einen Moment, um zu begreifen, dass es sich dabei um die Regime-Euphemismen für den Bürgerkrieg handelt.
Ghazal nennt die Vorgehensweise des Assad-Regimes «primitiv». In Idlib hat die Rebellen-Regierung in die Digitalisierung investiert. Eine ID bekomme man in fünf Minuten, während man in Damaskus mit Monaten und einer Bestechungszahlung rechnen müsse.
Die «Financial Times» bekam ihre Medien-Akkreditierung von der neuen Rebellen-Regierung bereits nach 15 Minuten, während das Assad-Regime westlichen Journalisten seit Jahren solche verweigert hatte.
Die Islamisten, die jetzt in Damaskus die Macht übernehmen, verwalteten zuvor bereits über Jahre das von den Rebellen gehaltene Gouvernement Idlib.
Sie planten die Reform der Behörden in Damaskus bereits vor der Machtübernahme. Doch es wartet viel Arbeit auf sie. Mehr als fünf Jahrzehnte Assad-Herrschaft sorgten für Korruption, Vetternwirtschaft und Zentralismus.
Laut Ghazal wird vorerst eine technokratische Regierung eingerichtet. Doch diese müsse international noch anerkannt werden und die Rebellengruppen ihre Einstufung als Terrororganisation verlieren. Die UNO, die USA und andere Staaten stufen die wichtigste Rebellengruppe, die islamistische HTS, als Terrororganisation ein. Die USA haben ein Kopfgeld von 10 Millionen Dollar auf ihren Anführer ausgesetzt.
Ghazal betont, die neue Regierung werde bei ihren Angestellten nicht darauf achten, welcher Religion sie angehören. Allein die Leistung solle zählen.