Derzeit grassiert die grösste je dokumentierte Vogelgrippe in fast allen Teilen der Welt. Gemäss Zahlen der BBC sind der aktuellen Grippewelle, die bereits im Oktober 2021 begonnen hat, über 208 Millionen Vögel zum Opfer gefallen. Das H5N1-Virus ist hoch ansteckend und kann die inneren Organe von Vögeln bei einer Infektion schwer schädigen. Und das innert kürzester Zeit: Ein Ausbruch des Virus kann innerhalb von 48 Stunden 90 Prozent oder mehr eines Vogelfarmbestandes auslöschen.
Was Forschende beunruhigt: Es werden auch vermehrt Fälle bei Säugetieren nachgewiesen. Das birgt auch Gefahr für den Menschen.
Als auf einer Pelzfarm in Galizien im vergangenen Oktober plötzlich zahlreiche Tiere zu sterben begannen, wurde zunächst eine Infektion mit dem Coronavirus vermutet. Der Gedanke war naheliegend: Zu Beginn der Coronapandemie 2020 verbreitete sich das Virus wie ein Lauffeuer durch Nerzfarmen weltweit. Ein grosses Problem, da die Massentierhaltung dem Virus die Chance gibt, schneller zu mutieren. Um dies zu verhindern, wurden im Laufe der Pandemie Millionen von Nerzen getötet.
Die Nerze auf der Farm in Galizien waren allerdings nicht an Corona, sondern am Vogelgrippevirus H5N1 erkrankt, wie Tests ergaben. Das Resultat war letztendlich dasselbe: 50'000 Tiere mussten getötet werden. Bei Expertinnen und Experten schrillen die Alarmglocken.
«Das ist unglaublich besorgniserregend», erklärte Virologe Tom Peacock vom Imperial College in London gegenüber dem «Science»-Magazin. Er sehe einen klaren Mechanismus, wie eine Vogelgrippe-Pandemie starten könnte. Bei vier Tieren wurden bereits mehrere Mutationen gefunden. Eine davon trägt beispielsweise dazu bei, dass sich das H5N1-Virus besser in Säugetiergewebe verbreiten kann.
Noch ist unklar, was genau das bedeutet. Der Ausbruch könne auch ein Einzelfall bleiben, sagt Thomas Mettenleiter vom Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit gegenüber dem «Spiegel». Man wisse nicht, ob sich das Virus aus dem Nerzbestand weiter verbreitet habe und ob eine Tier-zu-Tier-Verbreitung bei anderen Säugetieren mit diesem Virus möglich sei.
Dass sich Säugetiere mit dem Vogelgrippevirus anstecken können, ist an sich aber nichts Neues: Kanadische und US-amerikanische Behörden haben das Virus im letzten Jahr bei einer Reihe von Tierarten, von Füchsen bis Bären, nachgewiesen. Diese Berichte hätten sich in den letzten 18 Monaten aber vermehrt, gibt Gregorio Torres, wissenschaftlicher Leiter der World Organisation for Animal Health (WOAH) gegenüber der BBC zu bedenken.
Entweder sei dies auf eine gute Überwachung zurückzuführen – was an sich ein gutes Zeichen wäre – oder ein Indikator für eine Veränderung im Virus.
Auch Robben gehören zu denjenigen Säugetieren, die vom Vogelgrippe-Virus betroffen sind. Robben, Füchse, Marder und andere wilde Säugetiere stecken sich allerdings nicht wie die Nerze untereinander an, sondern infizieren sich an Vogelkadavern oder am Kot kranker Vögel.
Besonders hart scheinen Robben in der kaspischen See getroffen worden zu sein. Die staatliche russische Universität in Dagestan berichtete, dass im frühen Dezember 700 tote Robben entdeckt worden seien. Tests hätten ergäben, dass die Robben mit dem Vogelgrippe-Virus infiziert gewesen seien. Ob die Tiere aber tatsächlich daran gestorben seien, müsse noch untersucht werden. Möglich ist es: Im Sommer davor waren Wildvögel auf einer nahegelegenen Insel vom hochansteckenden Typ H5N1 betroffen.
Auch in der Schweiz ist das Virus auf dem Vormarsch. In den letzten zwei Wochen gab es in der Schweiz fünf neue Fälle.
Diese Woche wurden zwei neue Fälle bei Wildvögeln im Kanton Zürich nachgewiesen. Zu zwei Fällen kam es in den letzten 14 Tagen bei Wildvogelkadavern in Basel-Stadt. Und am Montag teilte der kantonale Veterinärdienst von Luzern mit, letzte Woche sei in Sursee bei einer Mittelmeermöwe das hochansteckende Virus H5N1 entdeckt worden.
Im Dezember und Januar war die Vogelgrippe bereits bei einzelnen Wildvögeln festgestellt worden. Positiv getestet wurden zwei Schwäne im Tessin, je eine Möwe in den Kantonen Thurgau, Luzern, Zürich und Schaffhausen, ein Greifvogel im Kanton Zürich sowie ein Graureiher und ein Wildvogel in Basel. Fälle gab es auch im angrenzenden Ausland.
Die Gefahr einer möglichen Ansteckung bei Menschen ist gering, sagt Barbara Wieland, Direktorin des Instituts für Immunologie und Virologie, am Freitagmorgen in der Sendung «Heute Morgen» von Schweizer Radio SRF. Bei den bekannten Fällen der letzten zwei Jahre handle es sich um Menschen, die eng mit Vögeln zu tun gehabt hätten.
Insgesamt wurden zwischen 2003 und November 2022 nur 868 Vogelgrippe-Fälle bei Menschen dokumentiert. Diese gingen laut WHO allerdings häufig tödlich aus: Von den 868 infizierten Menschen starben 457, was einer Sterblichkeitsrate von 53 Prozent entspricht.
Die WHO entwarnt in ihrem Risikoanalyse-Bericht vom Januar dennoch. Das Virus besitze die Fähigkeit zur dauerhaften Übertragung auf den Menschen nicht. Die Wahrscheinlichkeit einer Ausbreitung von Mensch zu Mensch sei deshalb gering.
Kein Grund aber, sich zurückzulehnen, betont die WHO:
Auch Daniel Olson, Epidemiologe an der Universität von Colorado, warnt gegenüber der News-Seite Vox:
Die Bedrohung liegt im Moment also vor allem in der schnellen Ausbreitung und dem damit höheren Risiko einer Mutation.
Der Bund verlängerte am Donnerstag die Massnahmen für den Schutz vor der Vogelgrippe mindestens bis 15. März. Deren Hauptziel ist es laut dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), Kontakte zwischen Wildvögeln und Hausgeflügel zu vermeiden. Die Massnahmen gelten seit November, nachdem das Vogelgrippe-Virus in einem Betrieb bei Winterthur ZH nachgewiesen wurde.
Das Risiko, dass die Vogelgrippe in die Schweiz eingeschleppt wird, bleibt nach Angaben des BLV so lange hoch, bis die wild lebenden Wasservögel ihre Winterquartiere etwa Anfang März in der Schweiz verlassen haben. Der Bund empfiehlt zudem Hygienemassnahmen und beschränkten Zutritt zum Stall. Geflügelmärkte und -ausstellungen sind weiterhin verboten. Die Massnahmen gelten für Geflügelbetriebe ebenso wie für Hobby-Tierhaltungen.