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Getreideabkommen mit Ukraine gescheitert: Erdoğan geht Putin in die Falle

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und der russische Präsident Wladimir Putin schütteln sich in Sochi, Russland, die Hand. Bild: keystone

Erdoğan geht Putin in die Falle

Kein Durchbruch: Wladimir Putin bleibt beim Getreideabkommen hart, Recep Tayyip Erdoğan muss aus Russland mit einer Niederlage im Gepäck abreisen. Ein schwerer Schlag für den türkischen Präsidenten.
05.09.2023, 08:44
Patrick Diekmann / t-online
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Für ihn dürfte das Ergebnis einer heftigen Ohrfeige gleichkommen. Mit grossen Erwartungen war der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan nach Russland gereist. Sein Ziel: Auf der weltpolitischen Bühne wollte er eine Einigung mit Wladimir Putin erreichen, um das abgelaufene Getreideabkommen für die Ukraine doch noch zu verlängern.

Das ging schief, die Gespräche sind gescheitert. Putin nutzte das Treffen in Sotschi, um sich an Erdoğan zu rächen und gleichzeitig den Druck auf den Westen zu erhöhen. Der türkische Präsident lief ihm dabei in die Falle.

Putin und Erdoğan waren nie Freunde und sie haben oft völlig gegensätzliche Interessen – etwa in den Kriegen in Syrien, Bergkarabach oder Libyen. Doch konnten sich Russland und die Türkei bisher immer irgendwie einigen, auch wenn teilweise sehr hart verhandelt wurde. Trotzdem muss die Türkei davon ausgegangen sein, dass eine Einigung möglich sei – Erdoğan wäre nicht nach Russland gereist, um eine diplomatische Niederlage zu kassieren.

Doch nun ist es dazu gekommen. Der türkische Präsident hat in Russland eine Bruchlandung hingelegt, nun könnte sogar seine Vermittlerrolle zwischen Russland und dem Westen zur Disposition stehen. Dabei droht nicht nur ein endgültiges Scheitern beim Aushandeln eines Getreideabkommens – sondern auch eine Eskalation im Schwarzen Meer.

Erdoğan mit guter Miene zum bösen Spiel

Das Getreideabkommen ist für die Türkei wichtig. Erdoğan investierte sehr viel politisches Kapital in den Deal, doch im Juli blockierte der Kreml eine Verlängerung, was die Beziehungen zwischen der Türkei und Russland zunehmend belastete. Als Reaktion darauf stimmte der türkische Präsident dem Nato-Betritt von Schweden zu und liess ukrainische Asow-Kämpfer aus russischer Kriegsgefangenschaft in ihr Heimatland zurückkehren – das wiederum war eine Ohrfeige für Putin.

Nun lässt der Kremlchef den türkischen Präsidenten im Regen stehen. Putin bekräftigte in Sotschi, dass er erst zum Getreideabkommen mit der Ukraine zurückkehren wolle, wenn alle russischen Forderungen erfüllt seien: Zuerst müssten die Beschränkungen für den Export von russischen Agrarprodukten aufgehoben werden. Der russische Präsident beklagte einmal mehr, dass die westlichen Sanktionen den Export von russischem Getreide, von Dünger und Agrartechnik behinderten.

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Bild: t-online

Das sind die bekannten Positionen, aber Erdoğan hätte nicht nach Russland reisen müssen, um diese Absage zu kassieren. Derartige Treffen werden eigentlich gut vorbereitet, zuletzt war der türkische Aussenminister Hakan Fidan am Donnerstag in Moskau.

Dass der Kreml Erdoğan in den Verhandlungen mit leeren Händen wieder abreisen lässt, wertet die türkische Führung wahrscheinlich als Demütigung. Trotzdem gab Erdoğan sich diplomatisch. «Wir glauben, dass die Initiative fortgesetzt werden sollte, indem die Mängel behoben werden», erklärte der 69-Jährige. Er sei zuversichtlich, dass bald eine Lösung gefunden werde.

Keine guten Vorzeichen für die Verhandlungen

Aber wie? Die Fronten im Ringen um das Getreideabkommen sind verhärtet. Vor den Verhandlungen in Sotschi schätzte die Sicherheitsexpertin Claudia Major die Chancen auf eine Wiederbelebung des ukrainischen Abkommens mit Russlands als gering ein. Angesichts erneuter russischer Angriffe auf ukrainische Getreidehäfen kurz vor einem Treffen zwischen Putin und Erdoğan scheine da «wenig Bereitschaft zu sein», sagte die Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) am Montag im ZDF-Morgenmagazin.

Schon vor ihrem Treffen in Sotschi sendete Putin ein klares Signal an die Türkei. Russland griff in der Nacht auf Montag einen wichtigen ukrainischen Exporthafen an. Bei der dreieinhalbstündigen Drohnenattacke auf den Donauhafen Ismajil in der südukrainischen Oblast Odessa wurden Lagerhäuser und Produktionsgebäude beschädigt, wie der Gouverneur der Region am Montag mitteilte.

Zudem hätten Trümmerteile abgeschossener Drohnen mehrere Gebäude der Hafeninfrastruktur in Brand gesetzt. Todesopfer oder Verletzte gab es nach ersten Erkenntnissen zwar nicht. Dennoch war der Angriff auch eine Spitze gegen die Türkei.

Denn noch am vergangenen Donnerstag sagte der türkische Aussenminister Hakan Fidan in Moskau: «Wir können eine Bombardierung von Häfen und Transportmitteln nicht hinnehmen.» Zugleich kündigte Russland unlängst an, jedes ukrainische Schiff im Schwarzen Meer ins Visier zu nehmen, egal ob es zivil oder militärisch genutzt wird.

Wenn die russische Marine eine Seeblockade für Getreideschiffe wirklich aufrechterhalten kann, sitzt Putin am längeren Hebel. Das hat er an diesem Montag demonstrativ bewiesen. Dabei hat er das Treffen mit Erdoğan genutzt, um den Westen mit einer Botschaft unter Druck zu setzen. Diese lautet: Ihr könntet erneut ein Getreideabkommen haben, aber dafür müsst ihr die Sanktionen gegen Russland beenden. Der Kremlchef hofft wahrscheinlich, dass diese Debatte die westlichen Unterstützer der Ukraine spalten wird.

Eskalation am Schwarzen Meer?

Erdoğan fiel darauf rein. Auch die Türkei verfolgt in dem Konflikt eigene Interessen, denn ihr Präsident fürchtet eine Eskalation im Schwarzen Meer. Russische Angriffe auf Getreideschiffe könnten am Ende dazu führen, dass die Nato weitere Kriegsschiffe in die Region entsendet. Das würde das Schwarze Meer weiter zum Pulverfass machen – ein Albtraum für die türkische Regierung.

Der Getreidedeal ist für Erdoğan auch eine Möglichkeit, dieses Szenario zu verhindern. Der türkische Präsident möchte sich weiterhin im Westen als Vermittler präsentieren und bestenfalls gleichzeitig mit der Ukraine und mit Russland enge diplomatische Beziehungen behalten – im wirtschaftlichen Interesse der Türkei. Doch es ist völlig unklar, ob Putin dabei in Zukunft noch einmal mitspielen wird.

Turkish President Recep Tayyip Erdogan leaves a hall after his talks with Russian President Vladimir Putin at Russia's Black Sea resort of Sochi, Russia, Monday, Sept. 4, 2023. (Mikhail Klimentye ...
Erdoğan nach seinen Gesprächen mit Putin am 4. September.Bild: keystone

Der russische Präsident fühlte sich in diesem Jahr wahrscheinlich gleich mehrfach vor den Kopf gestossen: Erdoğan empfing im Juli den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in der Türkei und stellte der Ukraine einen Nato-Beitritt in Aussicht. Absprachen mit Russland über den Umgang mit ukrainischen Kriegsgefangenen, die Russland aus Mariupol in die Türkei bringen liess, hielt er nicht ein.

Ausserdem machte der türkische Präsident kein Geheimnis daraus, was er vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hält: Er sprach sich mehrfach dafür aus, die Souveränität der Ukraine zu wahren. Erdoğan beliefert die Ukraine mit schweren Waffen und vor allem mit Drohnen und er liess Putin im Juli 2022 bei einem Treffen in Usbekistan auf offener Bühne warten. Es sind Signale, die in Moskau verstanden werden, weil Putin für gewöhnlich derjenige ist, der sie im Umgang mit anderen Staatschefs sendet.

Putin ist bekannt dafür, derartige Dinge nicht zu vergessen – auch deshalb scheint sein Verhältnis zu Erdoğan aktuell unterkühlt zu sein.

Zu Gesprächen gezwungen

Eine Verbesserung in ihren Beziehungen wäre für beide Staaten wichtig, denn die Türkei und Russland brauchen einander. Moskau nutzt das Nato-Mitgliedsland am Bosporus, um westliche Sanktionen zu umgehen, braucht es als künftiges Drehkreuz für russisches Gas – die türkische Regierung hat sich nicht an westlichen Sanktionen beteiligt.

Ankara hingegen profitiert wirtschaftlich davon. Russische Unternehmen bauen das erste Atomkraftwerk des Landes mit und die Türkei erhält günstige Rohstoffe aus Russland. Zudem setzt Erdoğan auf den Einfluss Russlands auf die syrische Führung, um syrische Flüchtlinge aus der Türkei nach Syrien abschieben zu können. Denn auch aufgrund der Wirtschaftskrise in der Türkei wird dies von der türkischen Bevölkerung als drängendes Problem empfunden, um das sich die Regierung kümmern muss.

Und das ist nur die Spitze des Eisbergs: Im Prinzip sind Erdoğan und Putin durch die zahlreichen Konflikte am Mittelmeer und in Eurasien dazu gezwungen, miteinander zu reden. Doch eines ist klar: Dieses Treffen in Sotschi hat künftige Gespräche zwischen beiden Staatschefs nicht einfacher gemacht.

Denn auch Erdoğan ist dafür bekannt, nicht zu vergessen.

(Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters)

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75 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Zeit_Genosse
05.09.2023 09:27registriert Februar 2014
Es war einmal mehr Selbstüberschätzung von Erdogan und Hoffnung auf Aufmerksamkeit. Es zeigt aber auch, dass Putin nur zu seinen Bedingungen „verhaneln“ will, was auch eine Selbstüberschätzung ist. Die Typen sind sich nicht unähnlich.
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Martin Baumgartner
05.09.2023 09:25registriert Juni 2022
Man sollte sich nicht erst Freunde suchen wenn man sie braucht. Das war keine gute Idee von Putin. In Ankara wird man ihm das nicht vergessen.
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Scrat
05.09.2023 11:02registriert Januar 2016
Wann merkt es auch der Hinterletzte, dass mit einem egozentrischen, jähzornigen Kriegsverbrecher keine Verhandlungen möglich sind?
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