Seine scharfe Zunge hat Deniz Yücel auch in zwölf Monaten türkischer Haft nicht verloren. «Ich weiss immer noch nicht, warum ich vor einem Jahr verhaftet wurde, genauer, warum ich vor einem Jahr als Geisel genommen wurde.»
«Und ich weiss auch nicht, warum ich heute freigelassen wurde», sagt der 44-jährige Journalist in einer am Freitag verbreiteten Videobotschaft, nach seiner Landung in Berlin am späten Abend. Und setzt hinzu, eigentlich wisse er das doch ganz genau: «So wie meine Verhaftung nichts mit Recht und Gesetz (...) zu tun hat, hat auch meine Freilassung nichts mit all dem zu tun.»
... und das sagt Deniz: pic.twitter.com/bRCbCETs9x
— Freundeskreis #FreeDeniz (@FreeDenizYuecel) 16. Februar 2018
Die Türkei sei ein Willkürstaat, in dem viele nur im Gefängnis sässen, weil sie «eine oppositionelle Meinung zu diesem Regime haben», legt der «Welt»-Korrespondent nach. Sein Fazit: «Natürlich freue ich mich. Aber es bleibt etwas Bitteres zurück.»
Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei waren schon nach dem Putschversuch in der Türkei 2016 in eine schwere Krise gestürzt. Ankara verhängte den Ausnahmezustand, rief «Säuberungen» aus und inhaftierte seitdem mehr als 50'000 Menschen. Der grösste Streitpunkt mit Berlin war aber zuletzt die Verhaftung Yücels im Februar 2017.
Am Freitag wurde der Journalist plötzlich aus der Haft entlassen, seine Ehefrau Dilek Mayatürk Yücel schloss ihn noch am Gefängnistor in ihre Arme. Die beiden hatten im April 2017 im Gefängnis in Silivri westlich von Istanbul geheiratet.
Die Staatsanwaltschaft wirft Yücel weiter Terrorunterstützung und Volksverhetzung vor und fordert zwischen vier und 18 Jahren Haft. Yücel und die deutsche Regierung hatten die Vorwürfe als absurd zurückgewiesen.
Aussenminister Sigmar Gabriel sieht trotz der Freilassung Yücels noch Hürden auf dem Weg zu einer Normalisierung der schwer geschädigten Beziehungen zur Türkei. Aber er äussert auch Hoffnung auf eine Verbesserung.
«Wir müssen, glaube ich, dieses Momentum nutzen jetzt, alle Gesprächsformate wieder zu beleben mit der Türkei - wissend, dass das nicht einfach wird, wissend, dass das nicht von heute auf morgen zu ganzen einfachen Zeiten führt», sagte der SPD-Politiker am Samstag auf der Münchner Sicherheitskonferenz auf Nachfrage. «Ich kenne keine andere Methode, als gute Situationen zu nutzen, um die besseren anzusteuern.»
Bei den Gesprächen mit Ankara müsse es um schwierige Themen wie den Wiederaufbau einer unabhängigen Justiz, die Menschenrechte und die Pressefreiheit in der Türkei gehen, betonte er. Man werde da nicht sofort einer Meinung sein. «Aber ohne das Gespräch mit der türkischen Seite wüsste ich nicht, wie wir vorankommen sollen.»
Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim bemühte sich hingegen, die Bedeutung des Falls Yücel herunterzuspielen und die Beziehungen zu Deutschland als schon fast wieder normal darzustellen. «Einzelfälle wie der von Deniz Yücel sind nicht in der Lage, unsere Beziehungen zu stören oder gänzlich zu zerstören», sagte er am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz.
Der «Welt»-Chefredakteur Ulf Poschardt rief dazu auf, Yücel zunächst seine Ruhe zu lassen. «Wir bekommen Dutzende von Anfragen zu Deniz», schrieb Poschardt am Samstag bei Twitter. «Deniz geht es gut, er geniesst sein Leben in Freiheit, wir lassen ihn in Ruhe. Einverstanden?» Über Yücels Pläne für die kommenden Tage wurde zunächst nichts bekannt. (sda/dpa)