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Ukraine

Was den erbitterten Kampf um Cherson entscheiden könnte

Was den erbitterten Kampf um Cherson entscheiden könnte

Die ukrainische Gegenoffensive stösst im Süden des Landes auf erbitterten russischen Widerstand. Entscheidend wird sein, ob die Ukrainer die Russen vom Nachschub abschneiden können.
03.09.2022, 12:3903.09.2022, 12:42
Kurt Pelda / ch media
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Rauchwolken an der Front zwischen Mikolajew und Cherson: Für Frontalangriffe fehlen den Ukrainern die nötigen militärischen Mittel.
Rauchwolken an der Front zwischen Mikolajew und Cherson: Für Frontalangriffe fehlen den Ukrainern die nötigen militärischen Mittel.Bild: keystone

Russische Medien und Blogger frohlocken. Sie behaupten, dass die am Montag begonnene Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte im Süden des Landes bereits gescheitert sei. Die Situation ist allerdings unklar, vor allem auch deshalb, weil Kiew an einer Informationssperre festhält. Damit kursieren in den Medien praktisch nur russische Einschätzungen.

Jedenfalls steht fest, dass die Ukraine ihre Absicht nie verheimlicht hat, die Provinzhauptstadt Cherson am westlichen Ufer des Dnjepr zurückzuerobern. Zu Beginn der Invasion hatten die Russen die strategisch wichtigen Brücken über den grossen Fluss im Handstreich genommen, wobei höchstwahrscheinlich Verrat auf ukrainischer Seite einiges zu diesem überraschend schnellen Vorstoss beigetragen hat. Beim weiteren Vorrücken auf die nicht weniger wichtige Stadt Mikolajew erlitten die Invasoren dann aber eine schwere Niederlage und mussten sich nach Cherson zurückziehen.

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Schwere Verluste auf beiden Seiten

Seit Monaten graben sich die Russen deshalb in der Umgebung der Stadt ein. Ausserdem haben sie in Erwartung der Offensive Truppen aus dem östlichen Donbass abgezogen und zur Verstärkung nach Cherson verlegt. Es wird geschätzt, dass nun etwa 20'000 bis 25'000 russische Soldaten am Westufer des Dnjepr stehen, darunter einige Eliteverbände. Wie viele Kräfte die Ukrainer für ihren Angriff bereitgestellt haben, ist dagegen nicht bekannt.

Einer der ganz wenigen westlichen Journalisten, die im Kriegsgebiet von Cherson unterwegs sind, ist der Schweizer Kameramann Stefan Graf. Allein an einem Tag hat er rund zwanzig getötete ukrainische Soldaten gesehen. Ihre Leichen wurde gerade von der Front evakuiert und dabei zum Teil in Containern zwischengelagert. An mindestens einem Frontabschnitt seien die Ukrainer aber um rund 15 Kilometer vorgerückt.

Im Gegensatz zu Artillerie und Kampfpanzern spielen die Luftwaffen beider Seiten eine untergeordnete Rolle. Allerdings haben es die Ukrainer inzwischen geschafft, amerikanische Anti-Radar-Waffen an ihren alten Kampfjets anzubringen und von dort abzufeuern. Damit schwächen sie die Radarüberwachung der russischen Flugabwehr, was den Einsatz eigener Flugzeuge, Drohnen und Mittelstreckenraketen begünstigt. Am Freitagabend wird Stefan Graf Zeuge eines ukrainischen Luftangriffs.

Zermürbungsstrategie

Für einen Frontalangriff auf die russischen Stellungen fehlen den Ukrainern die Mittel. Als eine der grössten Schwächen stellt sich einmal mehr der Mangel an Artilleriemunition heraus. Die grosse Frage ist aber, wie es damit auf der russischen Seite aussieht. Mit Präzisionsraketen haben die Ukrainer nämlich alle Brücken über den Dnjepr so schwer beschädigt, dass der russische Nachschub nur noch mit improvisierten Fähren über den 600 bis 1000 Meter breiten Fluss gebracht werden kann.

Ausserdem wird die von Russen besetzte Zone auf der Westseite des Dnjepr durch den Fluss Inhulez nochmals in zwei Teile geteilt. Die einzige Brücke über den Inhulez haben die Ukrainer ebenfalls durch Raketenschläge unbrauchbar gemacht. Nun konzentriert sich ihre Raketenartillerie auf die Warteräume vor den Landeplätzen der russischen Fähren. Die grosse Frage lautet nun: Wie lange können die Russen genügend Nachschub für ihre Soldaten und Waffen ans andere Ufer bringen?

Schon allein diese Überlegung zeigt, dass eine schnelle Entscheidung nicht zu erwarten ist. Auch bei den russischen Offensiven im östlichen Donbass wurde jeweils um einzelne Städte zum Teil wochenlang gekämpft.

Für die Ukrainer sprechen ihre offenen Nachschubwege: Sie können Munition, Waffen und Treibstoff ungehindert entweder von Odessa im Westen oder vom Nachschubzentrum Kriwij Rih im Norden an die Front bringen. Ausserdem scheinen viele ukrainische Einheiten nun auch Schützen- und Transportpanzer aus dem Westen erhalten zu haben, sodass die Infanterie nicht mehr ungeschützt neben angreifenden Kampfpanzern herlaufen muss. (aargauerzeitung.ch)

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42 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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stormcloud
03.09.2022 15:15registriert Juni 2021
Was für ein Gemetzel. Millionen auf der Flucht, so viele Tote auf beiden Seiten und ein zerstörtes Land.
Und das nur, weil ein ewiggestriger Schwachkopf von einer Wiederauferstehung der Sowjetunion träumt....
Und selbst die Kleinsten werden in Russland schon "auf Linie" gebracht.
Es ist zum Heulen.
Putin muss weg!
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Liebu
03.09.2022 13:36registriert Oktober 2020
Dasselbe Szenario wie die Kämpfer im Azovstalwerk in Mariupol durchgemacht haben. Sie haben trotzdem Wochenlang ausgehalten
Nur sind die Russen hier nicht vollständig vom Nachschub abgeschnitten. Es wird also eine lange und Opferreiche Schlacht.
Ich hoffe trotzdem, die Ukraine kann sich ihr Vaterland zurückholen und die Russen kehren endlich in ihres zurück.
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butlerparker
03.09.2022 13:28registriert März 2022
Die UKR kann+muss es schaffen, Kherson zurückzuerobern. Das ist alternativlos für sie.Falls dies geschieht, könnten die RUS dann (Wasserversorgung der Krim) RUS zu Verhandlungen zwingen. Falls nicht, könnte das schwere negative psychologische Auswirkungen auf die Bevölkerung+Armee (besonders auf die "nicht-Berufssoldaten" haben. Mir scheint allerdings, daß die Offensive sehr gut vorbereitet ist+es genug Reserven auf UKR Seite gibt. Jetzt MUSS der Westen einfach weitere schwere Waffen liefern,um diesen wichtigen Sieg zu ermöglichen. Auch im Kreml+RUS Bev. würde das nicht ohne Echo bleiben
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