«Das käme fast einer Kapitulation gleich»
Die ukrainische Delegation reist erneut nach Miami zu Friedensverhandlungen mit der Trump-Administration. Zuvor lehnten die Russen in ihren Gesprächen mit den Amerikanern jegliche Kompromisse ab. Bringen die Gespräche überhaupt noch etwas?
Jeronim Perović: Die Ukraine braucht Frieden. Die Menschen sehnen sich nach Frieden. Der Krieg dauert nun schon fast vier Jahre. Deshalb sind alle Friedensbemühungen zu begrüssen. Solange Russland auf dem Schlachtfeld vorrückt und die Ressourcen hat, den Krieg weiterzuführen, sehe ich jedoch nicht, dass Moskau die Kriegshandlungen bald einstellen wird.
Welche Ziele verfolgen die verhandelnden Parteien?
Die Ziele sind nach wie vor unvereinbar. Russland hält an Maximalforderungen fest. Diese beinhalten, dass sich die ukrainischen Truppen aus den noch nicht von Russland eroberten Teilen des Donbass zurückziehen, dass die Ukraine nicht Nato-Mitglied und ihre Armee massiv verkleinert wird. Die ukrainische Führung hat die Illusion aufgegeben, zu den Grenzen von 1991 zurückzukehren. Aber auf die Forderungen Russlands kann keine ukrainische Regierung eingehen. Das käme der Aufgabe der Souveränität und damit fast schon einer Kapitulation gleich.
Unter welchen Bedingungen wäre ein Frieden überhaupt denkbar? Und welche Rolle spielen die USA?
Zunächst ist festzuhalten, dass die Ukraine auch nach fast vier Jahren Krieg dem russischen Militärdruck standhält. Russland konnte das Land nicht einfach überrollen. Solange die westliche Militärhilfe anhält, wird das auch nicht geschehen. Das Problem ist nur, dass die Ukraine derzeit nicht nur auf dem Schlachtfeld unter Druck steht, sondern auch vonseiten der USA. Mir scheint, dass Washington der Ukraine einen Frieden aufzwingen will, nur damit Donald Trump einen Erfolg verbuchen kann und amerikanische Unternehmen wieder Geschäfte mit Russland machen können. Die amerikanischen Unterhändler, die Anfang Dezember in Moskau mit Putin über Frieden verhandelten, waren Geschäftsleute, keine Regierungsmitglieder! Das spricht aus meiner Sicht Bände.
Putin hat Europa zudem mit Krieg gedroht. Wie ernst muss Europa diese Drohung nehmen?
Das ist eine massive rhetorische Eskalation. Vor dem Hintergrund der amerikanischen Friedensbemühungen stellt Putin nun Europa als diejenige Kraft dar, die Frieden verhindern möchte. Als ob die Europäer den Krieg wollen, Russland aber den Frieden sucht. Sollten die Amerikaner die Russen weiterhin in ihren Maximalforderungen gegenüber der Ukraine unterstützen und Druck auf Selenskyj ausüben, dann wird es für die Ukraine sehr schwer.
Wie gross ist die innenpolitische Unterstützung in Russland und der Ukraine für einen möglichen Deal?
In Russland hat die Bevölkerung nicht viel zu sagen. Viele spüren aber die Auswirkungen der Sanktionen. Die Steuern wurden erhöht, weil die Einnahmen aus dem Erdölgeschäft zurückgingen. Deshalb wären sicher viele froh, wenn der Krieg bald endete. Allerdings muss klar gesagt werden, dass viele Russen die Politik ihres Präsidenten durchaus unterstützen. Sollte der Krieg im Sinne Russlands enden, wird das Putin innenpolitisch Auftrieb verschaffen. Für die Ukraine sieht es düsterer aus: Wenn ein Frieden erzwungen wird, der als sehr nachteilig empfunden wird, kann das Land in eine schwere politische Krise stürzen. Deshalb muss Europa unbedingt die Hilfe an die Ukraine aufrechterhalten, militärisch, politisch und wirtschaftlich.
Welche Risiken bergen die Verhandlungen?
Das Problem ist derzeit, dass die Ukraine in einer schwachen Verhandlungsposition ist. Sie kann auf dem Schlachtfeld keine Erfolge vorweisen. Zudem ist die Regierung Selenskyj aufgrund eines grossen Korruptionsskandals auch innenpolitisch angeschlagen. Das grösste Risiko sehe ich somit darin, dass Washington in dieser Situation Kiew zu Kompromissen, insbesondere in territorialen Fragen zwingt. Russland dagegen dürfte trotz der Aggression sogar noch belohnt werden, indem die Eroberungen anerkannt werden und das Land wieder in die Weltwirtschaft integriert wird. Ob ein solcher Frieden dann auch nachhaltig ist, ist völlig unklar. Dafür bräuchte die Ukraine handfeste Sicherheitsgarantien. Und Kiew wird wohl nichts unterschreiben, solange nicht klar ist, welche konkreten Garantien das Land bekommt. (aargauerzeitung.ch)
