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Das ist in der Ukraine während der Nacht passiert – Teil 111

EU droht Zoff um Beitrittsantrag der Ukraine – das Nachtupdate ohne Bilder

17.06.2022, 06:3117.06.2022, 06:32
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Einen Tag nach der Kiew-Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz und seinen Kollegen aus Italien, Frankreich und Rumänien kann die Ukraine am Freitag auf weitere Unterstützung für ihre Ambitionen auf einen EU-Beitritt hoffen. Die EU-Kommission in Brüssel will gegen Mittag ihre Empfehlung zum Umgang mit dem ukrainischen Antrag auf einen EU-Beitritt abgeben. Auch soll es Empfehlungen und Analysen zu den Beitrittsanträgen der Moldau und Georgiens geben.

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Deutschland will die Ukraine als EU-Kandidat

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprachen sich am Donnerstag in Kiew dafür aus, dass die Ukraine Beitrittskandidat wird. Deutschland und Frankreich argumentieren, dass der Kandidatenstatus die Aufnahmeentscheidung nicht vorwegnimmt und auch nicht mit einem Zeitrahmen verbunden ist. So ist die Türkei beispielsweise schon seit 1999 Beitrittskandidat.

Scholz sagte am Donnerstagabend im ZDF-«heute journal», der Weg der Ukraine in die EU sei «ein sehr voraussetzungsvoller», der auch «sehr lange Zeit» in Anspruch nehmen könne. Der Status als Beitrittskandidat bedeute aber, dass die Hoffnung auf dem Weg nach Europa für die Menschen der Ukraine konkret werde. Zum Zeithorizont sagte der SPD-Politiker, das könne niemand seriös beantworten. «Aber es lohnt sich, das ist doch die Botschaft.»

Als Voraussetzungen für einen EU-Beitritt nannte der Kanzler in ZDF und ARD Fortschritte etwa bei der Rechtsstaatlichkeit und der Korruptionsbekämpfung. Scholz und Macron waren am Donnerstag mit Italiens Ministerpräsidenten Mario Draghi und dem rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis nach Kiew gereist.

Selenskyj sieht «historischen Tag» für Ukraine

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach nach dem Treffen in seiner abendlichen Videoansprache von einem «historischen Tag» für sein Land. Noch nie seit ihrer Unabhängigkeit sei die Ukraine so dicht an die Europäische Union herangerückt. Dank des Mutes ukrainischer Männer und Frauen könne Europa eine neue Geschichte der Freiheit schreiben «und endlich die Grauzone zwischen der EU und Russland in Osteuropa beseitigen».

Die Ukraine hatte kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar einen Antrag auf Annahme in die EU gestellt. Die EU-Staaten beauftragten die EU-Kommission dann, sich damit zu befassen und eine Empfehlung abzugeben. Eine Entscheidung der EU-Staats- und Regierungschefs zum Beitrittsantrag der Ukraine könnte bereits beim nächsten Gipfeltreffen fallen, der am kommenden Donnerstag in Brüssel beginnt.

Schwere russische Angriffe in der Ostukraine

Die ukrainischen Truppen im Osten des Landes liegen nach Angaben ihrer Führung weiter unter schwerem russischen Feuer mit Artillerie und Mehrfachraketenwerfern. Der Generalstab nannte am Donnerstagabend vor allem die seit Tagen umkämpften Städte Sjewjerodonezk und Lyssytschansk und deren Umgebung. An zwei anderen Stellen der Front sei es dagegen gelungen, ein Vorrücken des Feindes abzuwehren.

Die Angaben waren zunächst nicht überprüfbar. Im Gebiet Charkiw hinderten russische Truppen mit Artilleriefeuer die Ukrainer daran, dichter auf die Grenze zwischen beiden Ländern vorzurücken, hiess es. An Frontabschnitten bei der Stadt Donezk und bei Saporischschja gebe es russische Entlastungsangriffe, um ukrainische Truppen zu binden.

Ukrainische Drohgebärden gegen russische Brücke auf die Krim

In ihrem Abwehrkampf gegen Russland sieht die Ukraine auch die wichtige russische Brücke auf die Halbinsel Krim als militärisches Ziel. Als eine Art Drohgebärde veröffentlichte der ukrainische Militärgeheimdienst am Donnerstag eine angebliche offizielle russische Baubeschreibung der Brücke mit Details der Konstruktion. Die Echtheit des knapp 300 Seiten langen Dokuments war nicht sofort zu überprüfen.

Tags zuvor hatte der ukrainische General Dmytro Martschenko gesagt, wenn die Ukraine die dafür notwendigen Waffen erhalte, sei die Zerstörung der Brücke «Ziel Nr. 1». Schliesslich rolle der russische Nachschub über die Brücke auf die Krim und von dort weiter in den Süden der Ukraine. Die mit Milliardenaufwand gebaute, 18 Kilometer Brücke über die Meerenge von Kertsch verbindet seit 2018 das russische Festland und die vier Jahre zuvor annektierte Halbinsel.

In Moskau betonte Kremlsprecher Peskow am Donnerstag, dass alle Vorkehrungen für die Sicherheit der Krim getroffen seien. Der Kreml kenne die neuen Drohungen aus Kiew gegen die Brücke. Aus Moskau hatte es schon vorher Drohungen gegeben, im Fall eines Angriffs auf das Bauwerk die ukrainische Hauptstadt Kiew zu bombardieren.

Was wird aus anderen Beitrittskandidaten?

Verbunden mit der Frage des Kandidaten-Status für die Ukraine ist der Umgang mit anderen Staaten, die auf eine konkrete EU-Beitrittsperspektive hoffen. So erklärte Österreichs Kanzler Nehammer unmittelbar vor der Empfehlung der EU-Kommission, dass sein Land dem Kandidaten-Status für die Ukraine nur zustimmen wolle, wenn mit Bosnien-Herzegowina genauso verfahren werde. «Wir müssen sicherstellen, dass dieselben Massstäbe angewandt werden wie auch bei anderen Beitrittsbewerbern aus dem Westbalkan. Vor diesem Hintergrund wäre es für mich etwa nicht vorstellbar, der Ukraine einen Kandidatenstatus zu gewähren und zugleich Länder wie Bosnien-Herzegowina weiterhin aussen vor zu halten», sagte Nehammer der «Welt».

Es müsse sichergestellt sein, dass die EU im Fall der Ukraine «dieselben Massstäbe» anwende wie auch bei anderen Beitrittsbewerbern aus dem Westbalkan. «Es darf keine Doppelstandards oder gar Beitrittsbewerber erster und zweiter Klasse geben», sagte er.

Der Westbalkan-Staat Bosnien-Herzegowina hatte bereits Anfang 2016 einen Beitrittsantrag gestellt und gilt seit Jahren lediglich als «potenzieller Beitrittskandidat». Nehammer betonte, es sei unbestritten, dass die Ukraine «Teil der europäischen Familie» sei.

Rumäniens Staatschef Iohannis will den Kandidaten-Status auch für Moldau und Georgien. «Der Ukraine, der Republik Moldau und Georgien nächste Woche beim Europäischen Rat einen EU-Kandidatenstatus zu garantieren, ist wesentlich dafür, ein starkes und dauerhaftes Schild um unsere Werte herum zu bauen», sagte er in Kiew.

Das wird heute wichtig

In St. Petersburg findet das Internationale Wirtschaftsforum statt, zu dem in diesem Jahr wegen des Krieges viel weniger ausländische Gäste gekommen sind. Trotzdem will der russische Präsident Wladimir Putin diese Bühne nutzen und erläutern, wie er die Rohstoffgrossmacht trotz der Sanktionen weiterentwickeln will.

Die EU-Kommission in Brüssel will gegen Mittag ihre Empfehlung zum Umgang mit dem ukrainischen Antrag auf einen EU-Beitritt abgeben. Auch soll es Empfehlungen und Analysen zu den Beitrittsanträgen der Moldau und Georgiens geben.

Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus der Nacht wird sich die Behörde unter der Leitung von Ursula von der Leyen voraussichtlich dafür aussprechen, der Ukraine und der Moldau den Status als EU-Beitrittskandidaten zu geben. Zugleich dürfte nach Angaben aus Kommissionskreisen klar gemacht werden, dass weitere Fortschritte im Beitrittsprozess an konkrete Bedingungen geknüpft werden sollten. Bei der Ukraine geht es demnach um Fortschritte bei Rechtsstaatlichkeit und im Kampf gegen Korruption.

Das ebenfalls einen EU-Beitritt anstrebende Georgien soll nach Angaben aus Kommissionskreisen hingegen erst nach der Erfüllung von Auflagen den Kandidaten-Status bekommen. Das Land würde demnach wie derzeit Bosnien-Herzegowina und das Kosovo vorerst nur ein potenzieller Beitrittskandidat sein.

Auf Grundlage der Empfehlung der EU-Kommission müssen die EU-Staaten entscheiden, wie es weitergeht. Die Ansichten der Regierungen zum Thema gehen bislang weit auseinander. So halten Länder wie Portugal und die Niederlande die Vergabe des Kandidaten-Status an die drei Staaten im östlichen Europa nach Angaben von Diplomaten für verfrüht und rein symbolisch. (sda/dpa)

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