International
US-Wahlen 2024

Warum der Vergleich von Kamala Harris mit Hillary Clinton absurd ist

Zwischen Kamala Harris und Hillary Clinton gibt es deutliche Unterschiede.
Zwischen Kamala Harris und Hillary Clinton gibt es deutliche Unterschiede.bild: watson/keystone

Warum der Vergleich von Kamala Harris mit Hillary Clinton absurd ist

Hillary Clinton verlor 2016 die Präsidentschaftswahl gegen Donald Trump. Ihr Scheitern wird als Warnsignal für Kamala Harris angeführt, doch die beiden Frauen sind kaum vergleichbar.
04.09.2024, 18:11
Mehr «International»

Es war eines jener Erlebnisse, die man niemals vergisst. Am Wahlabend 2016 weilte ich in Manhattan. Ich war mir ziemlich sicher, dass Hillary Clinton zur ersten US-Präsidentin der Geschichte gewählt wird. Praktisch alle Umfragen und Prognosen deuteten auf diesen Ausgang der Präsidentschaftswahl hin. Dann kam es bekanntlich ganz anders.

Donald Trump warf alle Erwartungen über den Haufen und errang einen Sieg, mit dem er selbst nicht gerechnet hatte. Die Schockwellen dieser denkwürdigen Nacht wirken bis heute nach. Denn mit Kamala Harris versucht erneut eine Demokratin, als erste Frau ins Weisse Haus einzuziehen. Und der Gegner heisst wie vor acht Jahren Donald Trump.

Video: watson/Michael Shepherd

Bereits gibt es Stimmen, die vor einem ähnlichen Ausgang warnen. Sie verweisen darauf, dass die heute 76-jährige Clinton rund zwei Monate vor der Wahl in den Umfragen deutlicher in Führung lag als die 59-jährige Harris. Dabei ist Trump ein verurteilter Vergewaltiger, und er schreckt gegenüber Harris nicht vor vulgären und sexistischen Attacken zurück.

Klar im Vorteil

Der glanzvolle Parteikonvent in Chicago scheint Harris ebenfalls nicht den grossen Schub in den Umfragen beschert zu haben. Muss sie also befürchten, das gleiche Schicksal zu erleiden wie Hillary Clinton? Für eine solche Prognose ist es viel zu früh, und in mehreren wichtigen Punkten ist die Vizepräsidentin klar im Vorteil gegenüber der Ex-First-Lady.

Die Skandale

epaselect epa05173042 US Democratic Presidential candidate Hillary Clinton (R) with husband former US President Bill Clinton (L) celebrates her win in the Nevada caucus at Caesar's Palace Casino  ...
Bill und Hillary Clinton mussten sich mit einigen Skandalen herumschlagen.Bild: EPA/EPA

Hillary Clinton stieg nicht unbelastet in den Wahlkampf 2016. Sie schleppte einen Rucksack an Skandalen mit sich herum. Diese reichten zurück bis in die Zeit, als sie und Ehemann Bill das «First Couple» im Bundesstaat Arkansas waren. Dazu gehörte «Whitewatergate», eine Affäre um ein gescheitertes Immobilienprojekt, in das die Clintons involviert waren.

Der Suizid des Anwalts Vince Foster, der nach Bill Clintons Wahlsieg 1992 einen Job im Weissen Haus erhalten hatte, wurde Hillary angelastet. Rechte Kreise munkelten, sie habe mit Foster eine Affäre gehabt. Auch Bills Seitensprünge etwa mit der Praktikantin Monica Lewinsky färbten auf seine Ehefrau ab und wurden von Trump ausgeschlachtet.

Als Aussenministerin in Barack Obamas erster Amtszeit hatte Hillary Clinton zahlreiche E-Mails über einen privaten Server verschickt. Das FBI fand keine Hinweise für kriminelles Verhalten, doch als kurz vor der Wahl 2016 einige Mails auf einem Laptop auftauchten, wurde eine neue Untersuchung eingeleitet. Sie hat Clinton womöglich den Sieg gekostet.

Diese Skandale beschädigten Hillary Clintons Image und waren ein gefundenes Fressen für Donald Trump. Kamala Harris hingegen ist nicht ansatzweise eine ähnliche «Skandalnudel». Bislang jedenfalls gelang es den Republikanern nicht, irgendwelchen Schmutz aus ihrer Vergangenheit auszugraben, mit dem sie die Kalifornierin bewerfen könnten.

Mangels Skandalen greift man ihren Leistungsausweis als Vizepräsidentin an. Weil Joe Biden ihr die Migrationskrise an der Südgrenze aufgebürdet hatte, wird sie als «Grenzzarin» diffamiert. Doch seit die Asylregeln im Juni verschärft wurden, ist die Zahl der irregulären Grenzübertritte gesunken. Auch in den Umfragen hat das Thema an Brisanz eingebüsst.

Die Persönlichkeit

Democratic presidential nominee Vice President Kamala Harris arrives to board Air Force Two en route to campaign in Pennsylvania from Joint Base Andrews, Md., Sunday, Aug. 18, 2024. (Kevin Lamarque/Po ...
Hosenanzüge und Chucks: Kamala Harris setzt modische Akzente.Bild: keystone

Hillary Clinton trat als hochintelligente und bestens qualifizierte Kandidatin an. Doch bezüglich Charisma und Auftreten hatte sie Defizite. Oft wurde sie als kühl und distanziert beschrieben. Ihre Gesten wirkten einstudiert. Diese Punkte schadeten ihr bereits bei der verlorenen Vorwahl gegen Barack Obama 2008.

Kamala Harris ist ebenfalls nicht sonderlich charismatisch und eloquent. Doch sie wirkt deutlich sympathischer und zugänglicher als ihre «Vorvorgängerin». Wie diese trägt sie bevorzugt Hosenanzüge, doch gleichzeitig hat sie Mut zum unkonventionellen Look. Mit Converse-Turnschuhen jedenfalls hätte sich Hillary Clinton kaum gezeigt.

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt. Hillary Clinton hat ihre Rolle als mögliche erste Frau im Oval Office und das Durchstossen der «gläsernen Decke» penetrant hervorgehoben. Kamala Harris hingegen betont weder ihr Geschlecht noch ihren multiethnischen Background. Nach Ansicht von Beobachtern ist dies die bessere Strategie gegen Donald Trump.

Das Kernthema

epa11582435 Local and national leaders gather during the launch of the Harris-Walz 'The Fighting for Reproductive Freedom' Bus Tour, in Boynton Beach, Florida, USA, 03 September 2024. Accord ...
Am Dienstag begann eine Bustour der Harris/Walz-Kampagne zum Kampf für reproduktive Rechte. Bild: keystone

Ein Problem für Hillary Clinton war, dass sie vor acht Jahren kein zugkräftiges Thema hatte. Kamala Harris hat es besser, dank des Abtreibungsurteils des Obersten Gerichtshofs vor zwei Jahren. Der Unmut darüber hat sich seither kaum gelegt. In der jüngsten Umfrage der «New York Times» hat es bei vielen Frauen die Wirtschaft als Topthema abgelöst.

Harris hat die Abtreibungsfrage schon als Vizepräsidentin intensiv «bearbeitet», was ihr als Kandidatin zugutekommt. Donald Trump hingegen tut sich schwer damit. Kürzlich kritisierte er das in seiner Wahlheimat Florida geltende Abtreibungsverbot ab der sechsten Schwangerschaftswoche und schlug vor, der Staat solle künstliche Befruchtungen bezahlen.

Damit erregte er den Zorn der «Pro Life»-Community. Sie verlangt totale Abtreibungsverbote und hält nur die natürliche Zeugung für gottgewollt. Trump steckt in der Klemme, denn im November wird in zehn Bundesstaaten abgestimmt, ob Abtreibungen in der Verfassung verankert werden. Dazu gehören wichtige Swing States wie Arizona und Nevada.

Kamala Harris ist in mancher Hinsicht besser aufgestellt als Hillary Clinton 2016. Dennoch bleibt das Rennen in den Umfragen knapp (sofern man diesen trauen kann). Sie ist nun einmal Joe Bidens Vizepräsidentin und kann oder will sich nur bedingt von dessen unpopulärer Politik distanzieren. Im Vergleich mit ihm aber hat sie stark zugelegt.

Noch deutlicher ist der Anstieg beim Enthusiasmus der demokratischen Wählerschaft, der um einiges höher ist als bei Hillary Clinton vor acht Jahren. Dieser Aspekt ist wichtig bei der Mobilisierung, gerade in den Swing States. Mit dem Ende der Sommerferien diese Woche werden in einzelnen Staaten bereits die Unterlagen für die Briefwahl verschickt.

Schliesslich kommt hinzu, dass viele Amerikanerinnen und Amerikaner noch immer nicht genau wissen, wer Kamala Harris ist und wofür sie steht. Hillary Clinton hingegen war 2016 als ehemalige First Lady und Aussenministerin eine allseits bekannte Grösse. Umso wichtiger wird für Harris die erste Fernsehdebatte mit Donald Trump am nächsten Dienstag.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
The Unstoppable Kamala Harris
1 / 34
The Unstoppable Kamala Harris
Ist sie etwa auf direktem Weg ins Weisse Haus? Ins Oval Office? Die Air Force One? Hier begleiten wir Kamala Harris von ihren ersten Schritten bis heute.
quelle: via x
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Hillary Clinton bedankt sich bei allen «Activist Bitches»
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
60 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Amadeus
04.09.2024 19:15registriert September 2015
Interessanter Artikel. Auch im Hinblick darauf, dass man offenbar bei Trump bei weitem nicht die gleich hohen Ansprüche hat bzgl Intelligenz, Erfahrung, Auftreten, etc.
10010
Melden
Zum Kommentar
avatar
Swen Goldpreis
04.09.2024 19:04registriert April 2019
Ich finde Harris sowohl charmant wie auch eloquent - und das nicht nur im Vergleich zu ihrem dümmlich-blubbernden und charakterlich widerwärtigen Herausforderer. (Und sie sieht auch besser aus als Trump... :) )
9115
Melden
Zum Kommentar
avatar
Auster N
04.09.2024 19:42registriert Januar 2022
Kamala Harris und die Demokraten haben eine ehrliche und gute Chance diese Wahlen zu gewinnen, aber bitte lasst Hilary draussen. Das geht sehr gut auch ohne eine Hilary. Trump demontiert sich ja selber jeden Tag etwas mehr.
748
Melden
Zum Kommentar
60
Sie hielten sie für Bandenmitglieder: Soldaten schiessen auf Migranten in Mexiko – 6 Tote
Soldaten haben in Südmexiko auf eine Gruppe von Migranten geschossen, die vermutlich mit Schleppern in Lastwagen unterwegs waren.

Dabei kamen sechs Menschen ums Leben und zwölf weitere wurden verletzt, wie das Verteidigungsministerium mitteilte. Die Menschen sollen für Bandenmitglieder gehalten worden sein.

Zur Story