Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr an David Baker, Demis Hassabis und John M. Jumper aus den USA und Grossbritannien für ihre Forschung mit lebenden Proteinen. Das teilte das Karolinska-Institut am Mittwoch in Stockholm mit. Damit stehen alle diesjährigen Preisträger für wissenschaftliche Nobelpreise fest, alle sieben sind Männer.
Der Chemie-Nobelpreis geht zu einer Hälfte an die Briten Hassabis und Jumper. Die beiden hätten ein KI-Modell entwickelt, um ein jahrzehntealtes Problem zu lösen: die Vorhersage der Strukturen von Proteinen, hiess es weiter. Jumper zählt zu den wenigen Chemie-Nobelpreisträgern, die bereits vor ihrem 40. Lebensjahr mit der Auszeichnung geehrt werden. Der bislang jüngste Preisträger war im Jahr 1935 der damals 35-jährige Frédéric Joliot.
Hassabis ist der Chef der auf KI spezialisierten Google-Tochterfirma DeepMind. Jumper ist dort Seniorwissenschaftler. Er wurde kürzlich vom Time Magazine zu den 100 einflussreichsten Menschen in der KI-Welt gezählt. Hassabis hatte erst am Vortag seinem «guten Freund» Geoffrey Hinton via X zu dessen Physik-Nobelpreis gratuliert: «Unglaublich verdient.» Hintons Arbeit habe die Grundlagen für die moderne KI geleistet.
Massive congratulations to my good friend and former Google colleague @geoffreyhinton on winning the Nobel Prize in Physics (with John Hopfield)! Incredibly well deserved, Geoff laid the foundations for the deep learning revolution that underpins the modern AI field. https://t.co/rV205XvTcO
— Demis Hassabis (@demishassabis) October 8, 2024
Hassabis und Jumper wurden konkret für die Entwicklung von «AlphaFold2» geehrt: Das KI-Programm von DeepMind nutzt neuronale Netzwerke, um die dreidimensionale Struktur von Proteinen anhand ihrer Aminosäurenabfolge genau vorherzusagen. «AlphaFold2» schneidet dabei fast genauso gut ab wie die Röntgenkristallografie, die fünf Jahrzehnte lang das gängige, aber aufwändige Werkzeug für die Erstellung von Bildern verschiedener Proteine war.
Die andere Hälfte des Preises erhielt David Baker aus den USA für rechnergestütztes Proteindesign. Die Schaffung neuer Proteine – etwa mit besonderen Funktionen – blieb lange Zeit nur ein Wunschziel chemischer Forschung. Genau solche Proteine können mit der unter David Bakers Leitung entwickelten Software «Rosetta» konstruiert werden – laut Nobelpreis-Komitee «ein Paukenschlag für die Forscher, die sich mit Proteindesign befassten».
Proteine mit neuen Funktionen zu erzeugen, könne zu «neuen Nanomaterialien, zielgerichteten Pharmazeutika, einer schnelleren Entwicklung von Impfstoffen, kleinsten Sensoren und einer umweltfreundlicheren chemischen Industrie führen – um nur einige Anwendungen zu nennen, die zum grössten Nutzen der Menschheit sind».
Proteine sind die Bausteine des Lebens und gewöhnlich zusammengesetzt aus 20 verschiedenen Aminosäuren. Diese sind in unterschiedlicher Zusammensetzung zu langen Ketten aneinandergereiht, die die dreidimensionale Struktur bestimmen. Und diese beeinflusst wiederum die Funktion.
Baker hatte «Rosetta» Ende der 1990er Jahre entwickelt. Die Software konnte eine Proteinstruktur anhand ihrer Zusammensetzung vorhersagen – und umgekehrt anhand einer gewünschten Proteinstruktur die dafür notwendige Zusammensetzung ermitteln. Bakers Team entwarf zum Beispiel ein Gen für eine Abfolge von 93 Aminosäuren und schleuste es in Bakterien ein, die daraufhin tatsächlich dieses Protein produzierten.
Baker, Hassabis und Jumper sind die Nachfolger der in den USA tätigen Forscher Moungi Bawendi, Louis Brus und Alexei Ekimov, die im vergangenen Jahr für die Entdeckung und Entwicklung von sogenannten Quantenpunkten mit dem Chemie-Nobelpreis geehrt wurden.
Im Gegensatz zum Vorjahr gab es bei der diesjährigen Auszeichnung kein Malheur der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften. Damals standen die Namen von Bawendi, Brus und Ekimov bereits rund vier Stunden vor der offiziellen Bekanntgabe versehentlich in einer Mitteilung, die am Morgen an schwedische Medien verschickt worden war.
Alle sieben Preisträger der diesjährigen wissenschaftlichen Nobelpreise sind Männer. Die meisten forschten in den USA. Am Montag waren die Nobelpreisträger für Medizin verkündet worden: Die US-Amerikaner Victor Ambros und Gary Ruvkun werden für die Entdeckung der microRNA und ihre Rolle bei der Genregulierung geehrt. Den Physik-Nobelpreis hatten am Dienstag zwei Wegbereiter Künstlicher Intelligenz zugesprochen bekommen: John Hopfield ebenfalls aus den USA und Geoffrey Hinton aus Kanada.
Seit 2023 beträgt das Preisgeld pro Kategorie 11 Millionen schwedische Kronen, das entspricht rund 910'000 Franken. Geht die Auszeichnung in einer Kategorie an zwei oder drei Preisträger zugleich, dann teilen sie sich diese Summe.
Vor sieben Jahren ging der Chemie-Preis zuletzt an die Schweiz. Der Waadtländer Biophysiker Jacques Dubochet erhielt gemeinsam mit dem Briten Richard Henderson und dem Deutsch-Amerikaner Joachim Frank den Nobelpreis für die von ihnen entwickelte Kryoelektronenmikroskopie.
Am Donnerstag wird der Träger oder die Trägerin des Literatur-Nobelpreises verkündet. Am Freitag folgt die Bekanntgabe für den Friedens-Nobelpreis. Der Reigen endet am kommenden Montag mit dem von der schwedischen Reichsbank gestifteten Wirtschafts-Nobelpreis. Es ist die einzige Auszeichnung, die nicht auf das Testament des Preisstifters und Dynamit-Erfinders Alfred Nobel zurückgeht.
Die Vergabe aller Auszeichnungen findet am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel. (rbu/sda/dpa)