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Die Trump-Show wird immer extremer – ich hab's selber erlebt

epa11092991 Former US President Donald J. Trump enters to applause at a campaign rally at SNHU Arena in Manchester, New Hampshire, USA, 20 January 2024. The New Hampshire primary is held on 23 January ...
Er ist in seinem Element: Ex-Präsident Donald Trump lässt sich am Samstag von Tausenden von Menschen in Manchester (New Hampshire) bejubeln.Bild: keystone

Die Trump-Show wird immer extremer – ich hab's selber erlebt

Donald Trump tingelt durchs Land, um in den Vorwahlen die Stimmen der republikanischen Wähler zu gewinnen. Unser US-Korrespondent war in New Hampshire hautnah dabei.
22.01.2024, 03:4822.01.2024, 03:48
Renzo Ruf, Manchester (New Hampshire) / ch media
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Es ist 21 Uhr, und auch Donald Trump scheint genug zu haben. Mehr als 100 Minuten lang hat der ehemalige Präsident an diesem Abend in einer gut gefüllten Arena in Manchester (New Hampshire) gesprochen. Nun macht er einige ungelenke Tanzbewegungen zu einem alten Schlager. Auch zeigt er auf mich und sagt «Thank you very much».

Oder vielleicht zeigt er auf jemanden, der sich direkt neben mir aufgebaut hat. In der ersten Reihe vor der Bühne, mit einigem Sicherheitsabstand, stehen an Trump-Wahlveranstaltungen die fanatischsten Anhängerinnen und Anhänger des republikanischen Präsidentschaftskandidaten.

Mike Boatman zum Beispiel. Der Mittfünfziger ist Teil einer informellen Gruppe, die sich «Front Row Joes» nennt und die seit 2016 von Trump-Veranstaltung zu Trump-Veranstaltung tingelt. Das ist seine 89. Kundgebung, und auch dieses Mal bleibt Mike Boatman bis ganz am Schluss.

Auf die Frage, warum er das auf sich nimmt, sagt Boatman: «Ich will dem nächsten Präsidenten zeigen, dass ich ihn unterstütze – nach all dem, was er in den vergangenen acht Jahren durchgemacht hat.» Zum Dank dafür erwähnt Trump die «Front Row Joes», die selbstgemachte Shirts tragen, jeweils während seinen Reden. Manchmal tanzt er gar für sie.

Er war bereits an 89 Trump-Veranstaltungen: Mike Boatman aus Evansville (Indiana).
Er war bereits an 89 Trump-Veranstaltungen: Mike Boatman aus Evansville (Indiana).Bild: renzo ruf

Und vielleicht erklärt diese Dynamik in aller Kürze, warum Trump immer weitermacht und auch an diesem bitterkalten Samstag wieder Tausende von Menschen dazu motivieren konnte, stundenlang auf ihn zu warten. Als ich gegen Mittag, sieben Stunden vor Beginn der Rede Trumps, vor dem Stadion in der Innenstadt von Manchester aufkreuze, befinden sich schon Dutzende von Menschen in der Schlange vor mir.

Hunderte von Menschen stehen in Temperaturen unter dem Gefrierpunkt am Samstag in der Schlange vor der SNHU Arena in Manchester (New Hampshire).
Hunderte von Menschen stehen in Temperaturen unter dem Gefrierpunkt am Samstag in der Schlange vor der SNHU Arena in Manchester (New Hampshire).Bild: Matt Rourke/AP

Im Jahr 2024 ist die gut choreografierte Trump-Show eine geschlossene Gesellschaft. Man ist unter sich, Teil eines Meeres von roten Mützen, auf denen zu lesen ist «Make America Great Again». Und Trump nutzt diese Konstellation geschickt aus, obwohl natürlich auch an diesem Abend Dutzende von Journalistinnen und Journalisten von etablierten Medienhäusern anwesend sind. Er weiss: Weil er derart lange spricht – eine typische Rede seiner Konkurrentin Nikki Haley dauert vielleicht 30 Minuten -, haben die Leitmedien längst aufgegeben, jedes seiner Worte zu dokumentieren.

Das ist fatal, wie der Augenschein vom Samstag zeigt. Denn der mittlerweile 77 Jahre alte Trump ist extremer als je zuvor. Und er macht mittlerweile kein Geheimnis mehr daraus. So überschüttet er in New Hampshire den ungarischen Ministerpräsidenten mit Lob, obwohl Viktor Orbán in der breiten US-Bevölkerung keine bekannte Figur ist. Trump sagt: «Es ist gut, wenn ein starker Mann das Land führt.» Dabei verwendet er einen Begriff («strong man»), den man auch mit «autoritärer Anführer» übersetzen kann.

Biden will angeblich den Dritten Weltkrieg anzetteln

Und so geht es munter weiter. Trump nennt seine Niederlage bei der Präsidentenwahl 2020 «bullshit» («Blödsinn»), weil er wohl nie akzeptieren wird, dass er von Joe Biden geschlagen wurde. Er beschimpft die anwesenden Journalisten erneut als «Volksfeinde» und kündigt in ominösen Worten an: «Wir müssen die freie Presse wieder in Ordnung bringen» – obwohl dies im direkten Widerspruch zur Meinungsfreiheit steht, die in der Verfassung verbrieft ist. Und er bezeichnet den amtierenden Präsidenten als Diktator, weil Biden angeblich die amerikanische Demokratie zerstören und den Dritten Weltkrieg herbeiführen wolle.

Diese Tirade mündet in den Worten, die glasklar zusammenfassen, warum Trump überhaupt noch einmal für das Präsidentenamt kandidieren will. «Unsere Feinde wollen mir meine Freiheit wegnehmen, weil ich es nie zulassen werde, dass sie euch eure Freiheit nehmen», sagt er seinen Anhängern – und präsentiert sich damit als moderner politischer Messias.

Das ist nicht unbedingt logisch, weil die zivil- und strafrechtlichen Rechtsprobleme, mit denen Trump kämpft, wenig zu tun haben mit dem Alltag eines Durchschnittsamerikaners. Auch ist es nicht nachvollziehbar, warum der Ex-Präsident erneut «totale Immunität» für sämtliche Bewohner des Weissen Hauses fordert, gleichzeitig aber behauptet, dass Biden ein Verbrecher ist.

Die Menschenmenge tobt dennoch. Die Anwesenden fühlen sich von Trump verstanden, auch weil er so ganz anders spricht als normale Politikerinnen und Politiker. «Er ist einfach lustig», sagt eine Frau, die neben mir steht und zwei Stunden angereist ist. Sie sagt das, als Trump auf der Bühne einräumt, dass er einigen Amtsträgern «den Hintern küsse», weil er in den Vorwahlen auf ihre Unterstützung angewiesen ist.

Ein Souvenir: Steve hat sich das Autogramm von Rudy Giuliani ergattert. Der ehemalige New Yorker Stadtpräsident schaute sich am Samstag die Trump-Kundgebung von der Ehrentribüne aus an.
Ein Souvenir: Steve hat sich das Autogramm von Rudy Giuliani ergattert. Der ehemalige New Yorker Stadtpräsident schaute sich am Samstag die Trump-Kundgebung von der Ehrentribüne aus an.Bild: renzo ruf

Aber, und auch das ist neu: Im Gegensatz zu 2016 oder 2020 schwappt die Stimmung in der Arena nie über. Zwar buhen die Menschen lautstark, als Trump seine politischen Konkurrenten beleidigt und beschimpft. Auch schreien sie die anwesenden Journalistinnen und Journalisten an, denen sie vor Beginn der Trump-Rede noch bereitwillig Interviews gegeben haben.

Aber die aggressive Energie, die an früheren Kundgebungen in der Luft lag und die jeweils dazu führte, dass die Anwesenden nach dem Ende seiner Darbietungen Kampfparolen schrien und Konfrontationen suchten – die baut sich an diesem Abend nicht auf. Vielmehr sind alle nett zueinander. Man kennt sich ja.

Das hat wohl auch damit zu tun, dass sämtliche Akteure in der Trump-Show mittlerweile eine Rolle spielen. Der Hauptdarsteller gibt den Möchtegerne-Diktator («aber nur am ersten Tag») und das Publikum will sich unterhalten lassen - von einem Mann, der Konventionen sprengt und sagt, was die meisten Anhängerinnen und Anhänger nur denken. Und weil das halbe Land dieses Spektakel nicht mehr mitverfolgen will, wird der Schock umso grösser sein, falls Trump im November für eine zweite Amtszeit gewählt würde. (aargauerzeitung.ch)

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62 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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[CH-Bürger]
22.01.2024 06:04registriert August 2018
wenn der ausschlaggebende Grund, jemanden zu wählen, lautet "Er ist einfach lustig", dann weisst Du, wo das Bildungsniveau Deines Landes liegt!
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Xsa
22.01.2024 06:46registriert Oktober 2021
Ich bin auch heute noch überzeugt, dass die "Trump Show" genau das ist: eine Show. Eine Satireshow. Irgendein Prank-Format, das vielleicht ein wenig ausser Kontrolle geraten ist, aber er lässt es weiter laufen, um zu schauen wie weit er gehen kann. Und dann, wann auch immer es genug ist, löst er es auf, ruft "Hä, reingefallen!" und Trump zieht sein Toupet ab, verbeugt sich und bedankt sich bei seinen "Zuschauern".
Denn das, was mit Trump abgeht, ist doch einfach nur Wahnsinn, purer Wahnsinn.
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Sälüzäme
22.01.2024 05:57registriert März 2020
Das seinen Anhängern die Widersprüche nicht auffallen ist selbstverständlich denn sonst hätte er keine.
Es auch beruhigend wenn viele Wiederholungstäter an seinen billigen Shows teilnehmen, sie hoben auch nach 100 Besuchen nur 1 Stimme sofern sie wählen gegen, dürfen oder können. Trump fühlt sich als der Grösste und seine Groupies als die Besten nur reicht dies nicht um Präsident zu werden. Mal sehen wer er als Vize aufstellen wird, darin besteht noch eine Gefahr dass er nochmals gewählt werden könnte sonst sehe ich eher keine Chance für den Mesias für Dummies.
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