Völlig überraschend hat am Donnerstag ein Gericht in New York die historische Verurteilung des ehemaligen Filmmoguls Harvey Weinstein wegen Sexualverbrechen aus dem Jahr 2020 aufgehoben. Die Juristen am Berufungsgericht der US-Ostküstenmetropole widerriefen damit am Donnerstag einen der aufsehenerregendsten Rechtssprüche der vergangenen Jahre. Der Fall hatte damals die MeToo-Bewegung massgeblich mit ausgelöst.
Grund für die Aufhebung ist laut den Richtern ein Verfahrensfehler: Die Anklage stützte sich damals im Prozess auch auf Zeugenaussagen, die nicht Teil der Anklage waren. Der Vorsitzende Richter bescheinigte dem damaligen Richter James Burke schwere Verfahrensfehler. Die Entscheidung der sieben Richter fiel mit 4:3 denkbar knapp aus. Der zuständige Richter schrieb in der Entscheidung:
In der Entscheidung zur Aufhebung des Urteils von 2020 wird die Zulassung der zusätzlichen Zeuginnen als schwerwiegender «Fehler» bezeichnet: «Die einzigen Beweise gegen den Angeklagten waren die Aussagen der Klägerinnen, und das Ergebnis der Gerichtsentscheidungen bestand einerseits darin, ihre Glaubwürdigkeit zu stärken und den Charakter des Angeklagten vor den Geschworenen zu schmälern.»
Die Staatsanwaltschaft wollte mithilfe der weiteren Zeuginnen zeigen, dass die Taten Weinsteins einem wiederkehrenden Muster folgten. In dem aufsehenerregenden Prozess ging es im Kern um zwei Vorwürfe: Weinstein soll 2006 die Produktionsassistentin Mimi Haleyi zum Oralsex gezwungen und die heutige Friseurin Jessica Mann 2013 vergewaltigt haben.
Nach Angaben der «New York Times» muss nun Manhattans Bezirksstaatsanwalt Alvin Bragg entscheiden, ob er ein neues Verfahren gegen Weinstein einleitet. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft sagte gegenüber dem Magazin «The Daily Beast», man werde «alles in unserer Macht Stehende tun, um diesen Fall erneut zu verhandeln». Weinstein sitzt in einem Gefängnis im Bundesstaat New York.
Neben Strafprozessen wird Weinstein auch mit Zivilklagen konfrontiert. Im vorigen Oktober reichte die britische Schauspielerin Julia Ormond (59, «Sabrina») wegen angeblicher Sexualverbrechen eine Klage in New York ein. Darin behauptet sie, Weinstein habe sie 1995 bei einem geschäftlichen Treffen belästigt und unter anderem zum Oralsex gezwungen. Die Klage richtet sich auch gegen die Walt Disney Company, Miramax und die Talentagentur Creative Artists Agency (CAA). Die Filmstudios und ihre Agenten bei CAA hätten damals von Weinsteins wiederholten Übergriffen auf Frauen gewusst, macht Ormond geltend. Sie hätten es aber versäumt, sie zu warnen und vor ihm zu schützen.
«Variety» zufolge sagte Ormond in einem Telefon-Interview, dass sie nun mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit trete, weil sie glaube, dass «systemischer Wandel» immer noch benötigt werde. Dazu müssten auch jene, die Fehlverhalten ermöglichen, zur Rechenschaft gezogen werden. In ihrer Klage verlangt die Schauspielerin Schadenersatz in nicht genannter Höhe.
Weinsteins Masche war es, den übereinstimmenden Aussagen der Frauen zufolge, junge Schauspielerinnen unter der Vorgabe, er halte sie für talentiert und wolle ihnen bei ihrer Karriere helfen, in Hotelzimmer zu locken. Dort verlangte er dann demnach sexuelle Handlungen von ihnen. Der Staatsanwaltschaft zufolge nutzte Weinstein dabei seine herausragende Machtposition in Hollywood aus, um sich die Frauen gefügig zu machen. Als Produzent von Filmen wie «Pulp Fiction» oder «Gangs of New York» war er sehr erfolgreich, für «Shakespeare in Love» gewann Weinstein auch einen Oscar.
Weinstein war bei dem Prozess in New York stets mit einem Rollator zum Gericht gekommen, was von Kritikerinnen und Kritikern als Versuch seiner Verteidigung gewertet wurde, ihn als schwach und wenig angsteinflössend darzustellen. Weinstein hatte als Geschäftsführer seiner Filmfirma Miramax den Ruf, ein äusserst kraftvolles und lautes, mitunter auch aggressives Auftreten zu haben.
Er wurde schliesslich 2020 zu 23 Jahren Haft wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung verurteilt. In einem zweiten Strafprozess in Los Angeles, in dem es ebenfalls um Sexualverbrechen ging, kamen im Jahr 2023 weitere 16 Jahre Gefängnis dazu.
Mehr als 80 Frauen hatten Weinstein sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Die Anschuldigungen gegen den Produzenten, im Herbst 2017 von der «New York Times» und dem Magazin «New Yorker» veröffentlicht, waren der Anfang der MeToo-Bewegung.
Überall auf der Welt erkannten viele Frauen und auch einige Männer ihre eigenen Geschichten in denen der mutmasslichen Weinstein-Opfer wieder – sie begannen, diese Geschichten unter dem Schlagwort «Me too» («Ich auch») zu sammeln. Die MeToo-Bewegung hatte das Urteil gegen Weinstein gefeiert – aber auch kritisiert, dass er nicht in allen Anklagepunkten für schuldig befunden wurde.
Die MeToo-Bewegung wird als Treiber der globalen Gleichstellung von Frauen und Männer gesehen. Durch die internationale Debatte und die Verurteilung Weinsteins, der von vielen als Prototyp des übergriffigen Mannes gesehen wurde, wurden viele ungerechte und sexistische Verhaltensweisen in Gesellschaften hinterfragt. Schauspielerin Ashley Judd, die 2017 über Weinstein in dem Artikel der «New York Times» ausgepackt hatte, sprach bezüglich der Entscheidung des Berufungsgerichtes davon, dass diese «unfair gegenüber den Opfern» sei. «Wir leben immer noch in unserer Wahrheit. Und wir wissen, was passiert ist.» (lak/hah/sda/dpa)
Auch ein Scheusal wie ein Weinstein hat Rechte, zB ein Recht auf ein faires Verfahren gemäss geltenden Gesetzen. Wenn es Verfahrensfehler gab, ist dem Rechnung zu tragen.
Man nennt sowas Rechtsstaat, das ist kein Wunschkonzert, auch wenn‘s euch nicht passt.