Trumps Kampf gegen die eigene Bevölkerung
Es ist eigentlich Tradition in den USA, das Militär von zivilrechtlichen Anliegen zu trennen. Bereits die Gründerväter fürchteten, dass eine zentralisierte Befehlsmacht über alle Truppen die Freiheit der Zivilbevölkerung und die Demokratie einschränken würde. In der Verfassung ist daher festgehalten, dass Gouverneurinnen und Gouverneure die Autorität über die Sicherheit in ihren Bundesstaaten haben – und somit auch über die Nationalgarde.
Dazu kommt der «Posse Comitatus Act» von 1878, der es dem Präsidenten grundsätzlich verbietet, dass das Militär und somit auch die Nationalgarde in der zivilen Strafverfolgung eingesetzt wird.
Nationalgarde gegen die Zivilbevölkerung
Anfang Juni 2025 brechen in Los Angeles Massenproteste aus – als Reaktion auf eine Reihe von Festnahmen durch Agenten der Einwanderungsbehörde (ICE). Den Festgenommenen wird «illegale Einwanderung und Aufenthalt in den USA» vorgeworfen. In den darauffolgenden Tagen kommt es bei den ICE-Razzien zu Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und der Polizei.
Als Antwort darauf entsendet US-Präsident Donald Trump 2000 Truppen der Nationalgarde nach Los Angeles – um den zivilen Ungehorsam niederzuschlagen. Zu beachten ist dabei, dass die Mobilisierung entgegen dem Wunsch des kalifornischen Gouverneurs Gavin Newsom geschieht. Es ist das erste Mal in über 60 Jahren, dass ein Präsident die Nationalgarde ohne die Einwilligung eines Bundesstaates dorthin entsendet.
Mit dem Einsatz in Los Angeles scheint Trump einen Damm gebrochen zu haben. Seit Juni wurde die Nationalgarde bereits in drei weiteren US-Städten eingesetzt: Washington D.C., Memphis und Chicago.
Dazu kommen fortwährende Drohungen des US-Präsidenten, die Nationalgarde auch in andere Städte wie Baltimore, Oakland oder New York zu entsenden. Auffällig: Alle diese Städte sind demokratisch regiert. Der republikanische Gouverneur des Bundesstaates Louisiana, Jeff Landry, geht sogar einen Schritt weiter und fordert die Trump-Regierung aktiv dazu auf, bis zu 1000 Nationalgardisten in die Städte Shreveport, Baton Rouge und vor allem New Orleans zu senden, um dort «gegen die Kriminalität» vorzugehen.
Mit der vorsätzlichen Begründung, die Polizei sowie ICE-Agenten unterstützen zu wollen und dabei gegen «Gesetzlosigkeit» in den Städten vorzugehen, wurden seit Juni rund 7000 Mitglieder der Nationalgarde in Amerikas Städten eingesetzt. Doch dieser Prozess verlief nicht ohne Gegenwehr.
Illegaler Einsatz
Verschiedene Bundesstaaten haben den Einsatz der Nationalgarde vor Gericht angefochten. So spricht sich der Gouverneur von Illinois, JB Pritzker, seit Wochen gegen den Einsatz der Nationalgarde in Chicago aus. Dennoch sind Berichten zufolge rund 300 Mitglieder der texanischen Nationalgarde seit Anfang Woche 90 Kilometer vor Chicagos Innenstadt stationiert.
Anfang September entschied ein Richter in Kalifornien, dass der Einsatz der Nationalgarde in Los Angeles im vergangenen Juni gegen den «Posse Comitatus Act», der den Einsatz des Militärs in zivilrechtlichen Anliegen verbietet, verstossen habe. Der Bundesrichter Charles R. Breyer erklärte, dass Bundesbeamte gegen den Act verstossen hätten, indem sie die Nationalgarde «ausdrücklich dazu aufgefordert» hätten, sich an «polizeilichen Aktivitäten» zu beteiligen. «Diese Anweisungen waren falsch», schrieb der Richter weiter.
Aktuell wird in Oregon der Einsatz Nationalgarde durch die zuständige Richterin Karin Immergut blockiert. Die durch Trump eingesetzte Richterin entschied am Samstag zugunsten des Bundesstaates und der Stadt Portland und erliess eine einstweilige Verfügung, die den Versuch der Trump-Regierung blockiert, die Nationalgarde von Oregon unter ihr Kommando zu stellen.
Doch die Frage verbleibt, wie lange die Entscheidungshoheit der Bundesstaaten bestehen bleibt. Trump sucht seit Monaten nach Wegen, diese Macht unter sich zu konzentrieren.
Die Drohung «Insurrection Act»
Mit dem Antritt seiner zweiten Amtszeit versprach Trump, die Nationalgarde zur Durchsetzung seiner restriktiven Migrationspolitik einzusetzen. Um dies aber tatsächlich und ohne Befugnis der Bundesstaaten zu bewerkstelligen, muss der US-Präsident vom sogenannten «Insurrection Act» (Aufstandsgesetz) Gebrauch machen. Dieser befugt den Präsidenten, die Nationalgarde und die Armee zur Bekämpfung von Aufständen einzusetzen.
Trump drohte bereits 2020, während den landesweiten Protesten gegen Polizeigewalt nach der Ermordung von George Floyd durch Polizeibeamte, vom «Insurrection Act» Gebrauch zu machen. Nun drohte Trump Anfang dieser Woche erneut damit, die Gewaltenteilung aufzuheben: «Wir haben den Insurrection Act aus einem bestimmten Grund. Wenn Menschen getötet würden und die Gerichte uns aufhielten – oder Gouverneure oder Bürgermeister uns aufhielten –, ja, dann würde ich das tun.»
Dass es sich dabei nicht nur um leere Worte handeln könnte, unterstreichen auch die Aussagen Trumps vor 300 versammelten Generälen letzte Woche, wonach das Militär amerikanische Städte wie San Francisco, Chicago oder New York als «Trainingsgelände für den Krieg» benutzen sollten.
Das Label «Insurrection»
Donald Trump und seine Berater verwenden zunehmend das Wort «Insurrection» zu Deutsch «Aufstand», wenn sie über Anti-ICE-Proteste sprechen. So sagte der US-Präsident am Montag an einer Pressekonferenz im Weissen Haus, die Demonstrationen in Portland seien «ein wirklich krimineller Aufstand».
Stephen Miller, einer der nächsten Berater des US-Präsidenten, bezeichnete die Entscheidung der Richterin in Oregon, die den Einsatz der Nationalgarde in Portland vorerst gestoppt hat, als «rechtlichen Aufstand» und warnte auf Social Media von einer «wachsenden Bewegung des linksextremen Terrorismus».
Ende September erklärte der US-Präsident «die Antifa» zur Terrororganisation. Der Präsident eröffnet sich damit immer mehr Wege, Protestierende einzuschüchtern und eine «Insurrection» heraufzubeschwören, um die Nationalgarde in Zukunft auch direkt gegen die «staatsinternen Terroristen» einsetzen zu können.