Pussy-Riot-Aktivistin Marija Aljochina rührt Lanz zu Tränen
Ein Pussy-Riot-Mitglied und Sahra Wagenknecht in einer Sendung – dass sich hier beim Russland-Bild gegensätzliche Sichtweisen auftun würden, war zu erwarten. Dabei blieb Marija Aljochina, trotz klarer Kritik an Wagenknecht, betont ruhig. Zwischen der BSW-Chefin und Moderator Markus Lanz wurde es hingegen deutlich hitziger.
Gäste:
- Sahra Wagenknecht, Politikerin (BSW)
- Maria Aljochina, Menschenrechtsaktivistin und Mitglied von Pussy Riot
- Kerstin Münstermann, Leiterin des Parlamentsbüros der Rheinischen Post
- Carlo Masala, Politikwissenschaftler und Militärexperte
Gleich zu Beginn der Sendung gerieten Sahra Wagenknecht und Markus Lanz aneinander. Die BSW-Chefin warf den öffentlich-rechtlichen Sendern vor, ihre Partei systematisch aus Talkshows herauszuhalten. Ihrer Ansicht nach sei das BSW gezielt von der öffentlichen Debatte ausgeschlossen worden, weil bestimmte Meinungen dort nicht willkommen seien.
Lanz hielt dagegen und wurde sarkastisch. «Oh, jetzt sind wir ja richtig hart im Kulturkampf drin», kommentierte er, «haben Sie noch einen? Hauen Sie mal raus.»
Wagenknecht legte nach und warf der etablierten Politik eine bewusste Einschränkung des Meinungsspektrums vor. Es gebe in Deutschland eine «harte Blockbildung» unter dem Etikett «die Demokraten», die abweichende Haltungen systematisch ausschliesse. Sie sprach von einer neuen Cancel Culture: Wer aus ihrer Sicht nicht in das vorherrschende Meinungsschema passe, werde aus der öffentlichen Debatte verdrängt.
Lanz widersprach – und lenkte das Gespräch rasch auf aussenpolitische Fragen. Dabei ging es zunächst um vermeintlich russische Drohnen, die in letzter Zeit immer wieder im europäischen Luftraum auftauchten. Wagenknecht äusserte Zweifel an der Urheberschaft und warnte davor, dass Deutschland in eine Art Hysterie hineingeredet werde – mit Vorfällen, die, so die Politikerin, möglicherweise gar nicht von Russland ausgingen. «Ich möchte nicht, dass wir in einen Krieg mit Russland hineingeredet werden», konstatierte Wagenknecht.
Maria Aljochina: «Ich habe nie Sicherheit gesucht»
Die russische Menschenrechtsaktivistin Maria Aljochina widersprach Wagenknecht ruhig, aber entschieden. Die frühere Pussy-Riot-Aktivistin warf der BSW-Chefin vor, Narrative zu bedienen, «die in Russland von den Propagandasendern zu hören sind». An Wagenknecht gerichtet fragte sie: «Ich weiss nicht, ob Sie in Russland gewesen sind – und wenn Sie dort waren, wann Sie da waren.»
Aljochina warnte davor, Putins Expansionspläne zu unterschätzen. Ein Blick in die Geschichte zeige, dass auch ein Teil Berlins einst zum sowjetischen Einflussgebiet gehört habe. «Warum glauben Sie, dass er Sie nicht attackieren will?», fragte sie. Sollte Putin die Ukraine einnehmen, werde er dort rekrutieren – und danach Deutschland angreifen.
Dann berichtete sie von ihren eigenen Erfahrungen mit dem russischen Repressionsapparat: Sie sei mehrfach festgenommen, zu 15-tägigen Arreststrafen verurteilt und schliesslich für zwei Jahre in ein Straflager geschickt worden. Ihre Ausreise sei ihr untersagt gewesen. Russland, betonte sie, habe diesen Krieg begonnen.
Moderator Markus Lanz zeigte sich tief bewegt von Aljochinas Geschichte – und kämpfte mit den Tränen. «Mich berührt das sehr, was Sie gerade sagen», sagte er. Er habe junge Frauen in Sankt Petersburg getroffen, die wie Aljochina gegen das System kämpften. «Wenn man sich die Bilder von damals anschaut, dann kriegt man ein Gefühl dafür, wie unglaublich mutig diese russischen Oppositionellen – zu denen Sie auch gehören – sind.»
Den Satz des Abends, den auch Lanz unterstrich, sagte Aljochina auf die Frage, ob sie Angst habe:
Wagenknecht: «Ein Trend, der gefährlich ist»
Wie Wagenknecht die Erzählungen Alijoschas fände, fragte Lanz. Wagenknecht reagierte: «Natürlich entsetzlich. Ich meine, es gibt sehr viele Länder auf dieser Welt, in denen würde ich persönlich nicht gern leben wollen, weil es starke Repressionen, Unterdrückung, keine Rechtsstaatlichkeit gibt.» Demokratie und Freiheit müssten geschützt werden – insbesondere in Deutschland. «Wir müssen alles dafür tun, dass in unserem Land Demokratie und Freiheit gewahrt bleiben und wir nicht auch immer repressiver werden.»
Doch lange blieb sie nicht bei Russland. Stattdessen lenkte sie den Blick auf politische Entwicklungen in Deutschland: Hausdurchsuchungen wegen missliebiger Posts, ein zunehmender gesellschaftlicher Druck, der laut Wagenknecht bedenklich sei. «Das sind alles keine russischen Verhältnisse. Ich will das überhaupt nicht vergleichen, aber es ist ein Trend, der gefährlich ist.»
Auf den Vorwurf, sie klinge mit ihrer Argumentation wie ein russischer Propagandasender, reagierte sie ausweichend: «Ehrlich gesagt, ich weiss nicht, worauf sich das bezog.» Es sei gängige Praxis in Deutschland, Meinungen zu diskreditieren, behauptete sie, indem man sie mit Putin oder der AfD in Verbindung bringe. Mit Blick auf Russland stellte sie klar: «Ich war das letzte Mal 1988 dort – das war noch die Sowjetunion.»
Masala: «Wie bestimmte Propaganda-Narrative einfach fruchten»
Die Journalistin Kerstin Münstermann widersprach Wagenknechts Darstellung entschieden. Die Behauptung, dass in Deutschland Meinungsäusserungen unterdrückt würden, sei nicht haltbar. «Das stimmt doch einfach nicht», hielt sie der BSW-Chefin entgegen. In Deutschland herrsche im Gegenteil ein sehr breites Meinungsspektrum – «mittlerweile auf dem rechten und auf dem linken Flügel».
Zum Ende der Sendung rückte Moderator Markus Lanz noch einmal die ideologischen Fronten in den Mittelpunkt. Er fragte Politikwissenschaftler Carlo Masala, ob nicht der Kulturkampf – also der «Krieg um Narrative, um Erzählungen, ums Framing» – mindestens ebenso gefährlich sei wie der reale Krieg in der Ukraine.
Masala bestätigte diese These: «Hier diskutieren wir Dinge, die wir seit dreieinhalb Jahren diskutieren. Und das zeigt ja sozusagen, wie bestimmte Propaganda-Narrative einfach fruchten, wie sie sich einfach in den Köpfen festsetzen und wie sie immer wieder kommen.»



