Bei kaum einer Veranstaltung am Weltwirtschaftsforum war die Schweiz-Dichte im Publikum so gross wie am späten Dienstagabend, als CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz auftrat. Gesichtet wurden unter anderem die Nationalräte Gerhard Andrey (Grüne), Eric Nussbaumer (SP), Christian Wasserfallen (FDP) und Nicolo Paganini (Mitte), die Waadtländer Regierungsrätin Isabelle Moret (FDP), ETH-Ratspräsident Michael Hengartner, Investor Rainer-Marc Frey, «Weltwoche»-Verleger Roger Köppel und NZZ-Chefredaktor Eric Gujer.
Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der Schweiz und aktuell derjenige Staat in Europa mit der schwächsten Konjunktur. Da interessierte die Frage: Was ändert sich in Deutschland, wenn Friedrich Merz Kanzler werden sollte? Diese Wahrscheinlichkeit ist gross, denn wie Merz selbstbewusst sagte: «Wir führen klar in den Umfragen. Wir sind überzeugt, dass wir gewinnen werden.»
Die Wahlen finden am 23. Februar statt. Der Auftritt in Davos war nicht primär für Schweizer gedacht, sondern für die deutschen Medien, die für das Elektorat verlässlich protokollieren, was am WEF geäussert wird.
Auf Englisch klang das Versprechen, nicht mit der rechtsnationalen AfD eine Koalition einzugehen, noch deutlicher als auf deutsch. Das Wort «never», nie, kam Merz gleich mehrfach über die Lippen, als er auf eine mathematisch wohl mögliche Regierung mit der Alternative für Deutschland angesprochen wurde. «Ich werde das nie tun.» Merz verwies auf das Negativbeispiel Österreich, wo FPÖ-Mann Herbert Kickl mit der Regierungsbildung beauftragt wurde. «Es ist ein Desaster», so Merz. Rechtspopulisten einzubinden, könne nicht gelingen.
Sein Ziel sei es, mit guter Politik die AfD derart zu schwächen, dass sie bei den übernächsten Wahlen 2029 wieder aus dem Parlament fliege. Denn die Rechtsradikalen seien erst 2017 ins Parlament eingezogen, nach der Flüchtlingskrise. Dass dafür die damalige CDU-Kanzlerin Angela Merkel mitverantwortlich war, verschwieg Merz. Und WEF-Präsident Børge Brende, der den Kanzlerkandidaten interviewte, kam nicht auf die Idee, nachzuhaken.
Stattdessen konnte Merz dozieren, warum Rechtspopulisten überhaupt so stark geworden sind, nicht nur in Deutschland: Weil Regierungen Probleme wie illegale Migration nicht gelöst und Ängste wegen Jobverlust oder Kriminalität nicht ernst genug genommen hätten.
Hauptsächlich redete Merz aber über die Wirtschaft. Diese hinke seit Jahren ihrem Potenzial hinterher. «Der Industrie mangelt es an Wettbewerbsfähigkeit.» Noch sei es nicht zu spät, diese wieder zu beleben. Die produzierende Industrie trage noch immer ein Viertel zur gesamtdeutschen Wertschöpfung bei, und als Kanzler würde er jede seiner Entscheidungen danach ausrichten, ob sie helfe, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Zudem möchte Merz die Industrie mit Sofortmassnahmen bei den Energiekosten entlasten.
Während in der Ära Merkel die Unterschiede zwischen CDU und SPD immer kleiner wurden, zeigte sich in Davos ein starker Kontrast. Ein paar Stunden vor Merz war Kanzler Olaf Scholz im grossen Saal aufgetreten.
Scholz warb für gezielte Investitionen in Infrastruktur, Forschung und Unternehmen. Er schlug einen «Germany Bonus» vor: eine staatliche Beteiligung an Investitionen von 10 Prozent, um Innovationen in der deutschen Industrie zu fördern. Auch in die Energiewende und den Wohnungsbau müssten signifikante Mittel fliessen. Merz sagte demgegenüber, man müsse prüfen, die drei 2023 abgestellten Atomkraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen.
Und während Merz vor Schuldenwirtschaft warnte, sagte Scholz im Fernduell, Deutschland habe im internationalen Vergleich wenig Schulden. Es müsse darum die Schuldenbremse lockern. Genau an dieser Frage war die Ampel-Koalition zerbrochen, nachdem die FDP sich gegen mehr Schulden gestellt hatte.
Die FDP erwähnte Merz mit keinem Wort, als er auf mögliche Koalitionspartner angesprochen wurde. Offenbar glaubt er nicht, dass die Liberalen den Einzug ins Parlament schaffen. Merz hofft, mit der CDU so stark zu werden, dass er entweder mit Grünen oder mit der SPD koalieren kann – und nicht beide braucht. (aargauerzeitung.ch)