Endlich macht sich Europa weniger erpressbar
Die Europäische Union hat sich seit Tag eins des russischen Überfalls unmissverständlich auf die Seite der Ukraine gestellt. Und gleichzeitig flossen in diesen bald vier Kriegsjahren gewaltige Summen nach Russland, bis heute sind es Monat für Monat 1,5 Milliarden Euro.
Die Europäer haben also Putins Kriegskasse gefüllt, während sie gleichzeitig die angegriffene Ukraine mit vielen Milliarden unterstützen. Das ist – gelinde gesagt – ein schmerzhafter Widerspruch.
Nun hat die EU ihn aufgelöst. Spätestens ab 2027 darf kein Gas aus Russland mehr nach Europa importiert werden. Das hat die EU jetzt per Gesetz geregelt. Endlich, muss man sagen, denn es hat viel zu lange gedauert.
Ziel: Nicht der eigenen Wirtschaft schaden
Wer einem Aggressor, den er aus gutem Grund bekämpft, gleichzeitig Geld überweist, hat ein Glaubwürdigkeitsproblem; er wird nicht wirklich ernst genommen. US-Präsident Donald Trump kritisierte in der Vergangenheit die europäischen Gas- und Ölimporte aus Russland. Warum, so stellte er sinngemäss die Frage, soll ich mit Russland hart umspringen, wenn ihr Europäer dort einkauft?
Nun muss man fairerweise sagen, dass die Abhängigkeit Europas von russischen Gaslieferungen sehr gross war, das gilt besonders für Deutschland. Die Gasimporte sofort nach Überfall Russlands auf null zu bringen, wäre allzu schmerzhaft und in den einzelnen Mitgliedsstaaten kaum vermittelbar gewesen.
Die EU verhängte zwar sehr schnell nach Beginn des Krieges das erste Sanktionspaket – heute sind wir beim 19. angelangt –, aber die Leitlinie war: Was immer wir unternehmen, es muss Russland mehr schaden als uns. Das diente nicht nur dem Schutz der eigenen Wirtschaft, sondern war auch der Versuch, Zeit zu gewinnen.
Falsche Hoffnungen
Niemand konnte bei Beginn des Krieges ja voraussagen, wie lange er dauern würde. Sicher aber war, dass man die eigenen Gasimporte nicht von heute auf morgen umstellen konnte. Diversifizieren braucht Zeit. Ausserdem dürften viele insgeheim gehofft haben, dass man in absehbarer Zeit mit Russland wieder in geschäftliche Beziehungen treten könnte.
Diese Vorstellung hat sich als Illusion entpuppt. Putin führt den Krieg bis zum heutigen Tag gnadenlos weiter und rückt von seinem Ziel nicht ab, er will die Ukraine unterwerfen.
Bei diesem Mann weiter Gas kaufen?! Das kann keiner mehr verstehen.
Und es ist auch klar geworden, dass Putin nur ernsthaft verhandeln wird, wenn der Preis für seinen Krieg weiter in die Höhe getrieben wird.
Deswegen hat sich die EU nun durchgerungen und verbietet spätestens ab 2027 alle Gasimporte aus Russland, sei es LNG-Gas oder über Pipelines geliefertes Gas. Das fällt ihr heute leichter, weil sie inzwischen andere Gaslieferanten aufgetan hat. Sie bezieht heute erhebliche Mengen LNG-Gas aus den USA, was Donald Trump freuen dürfte. Auch bei den Ölimporten hat die EU in den letzten Jahren diversifiziert. Vor dem Krieg bezog sie 27 Prozent ihres Rohölbedarfs aus Russland, heute sind es nur mehr zwei Prozent.
Auch der Widerstand der ungarischen und der slowakischen Regierungen konnte das jetzt beschlossene Gesetz nicht aufhalten. Beide Regierungen sind russlandfreundlich, und beide Länder sind bis heute in erheblichem Masse von Gas- und Ölimporten aus Russland abhängig.
Kein Gas mehr aus Russland – das ist ein Schritt in die Richtung der viel beschworenen europäischen Souveränität. Europa macht sich mit dieser Entscheidung weniger erpressbar. In einer Welt wie dieser von fremder Macht abhängig zu sein, ob sie Russland, China oder USA heisst – das ist einfach keine gute Idee.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.

