Nach ESC-Entscheid für Israel: Warum der Boykott halbherzig ist
Israel darf auch nächstes Jahr am Eurovision Song Contest teilnehmen, das hat die Europäische Rundfunkunion EBU und Veranstalterin des ESC am Donnerstag mitgeteilt. Wie im Vorfeld angekündigt, boykottieren Spanien und die Niederlande als Folge des Entscheids den ESC und werden 2026 nicht teilnehmen. Ihnen schlossen sich am Freitag auch Irland und Slowenien an. Insgesamt vier Länder kündigten damit bisher ihren Rückzug an.
Inkonsequenter Boykott
Spanien hatte sich bereits bei der diesjährigen Austragung in Basel klar positioniert und sich für einen Ausschluss von Israel stark gemacht. Im spanischen Fernsehen wurden vor der ESC-Live-Übertragung klare politische Pro-Palästina-Voten ausgestrahlt, obwohl der spanische Sender damals von der EBU ermahnt wurde. Trotzdem: Spanien nahm neben Israel am Wettbewerb teil, während der Krieg in Nahost in vollem Gange war.
Dass Spanien nun erst dieses Jahr seinen Rückzug ankündigt, macht wenig Sinn und ist inkonsequent – denn zumindest auf Papier besteht ein Friedens-Deal und eine Waffenruhe in Gaza wurde vereinbart.
Damit nicht genug. Am übernächsten Samstag, dem 13. Dezember, findet der weniger bekannte Junior Eurovision Song Contest statt. Hier treten junge Nachwuchskünstlerinnen und -künstler an. Zwar ohne Israel, dafür aber unter anderem mit Spanien, Irland und den Niederlanden. Drei Länder, die nun den grossen Event mit deutlich mehr Scheinwerferlicht boykottieren, den Junior ESC aber offenbar nicht. Nur ein ganzheitlicher Boykott der ESC-Events hätte Sinn gemacht. Die Veranstalterin ist nämlich auch hier: die EBU.
EBU ohne Handlungsspielraum
Die EBU hatte wenig Spielraum bei der Entscheidung über die zukünftige Teilnahme Israels. Sie hätte sich mit einem Ausschluss von Israel unglaubwürdig gemacht: Die Vorwürfe bleiben dieselben wie bei der Austragung in Basel, die Argumentationslinie und die damit einhergehende Entscheidung der EBU musste darum konsequenterweise dieselbe sein, besonders angesichts der Bemühungen um ein Ende der Kriegsaktivitäten im Gazastreifen. Die EBU begründet ihre Entscheidung weiterhin mit dem Bestreben, die politische Neutralität des ESC schützen zu wollen.
Mit Spanien verliert die EBU jedoch einen der fünf grossen Geldgeber des ESC. Dazu zählen neben Spanien auch Deutschland, Grossbritannien, Italien und Frankreich. Welche Konsequenzen die finanzielle Lücke auf den Contest haben wird, steht noch aus.
Zwei Ebenen
Es gibt noch eine zweite Ebene, auf der diese Diskussion geführt werden muss. Israel wurde nicht nur für seine Teilnahme am ESC kritisiert, sondern auch für die mutmasslich manipulative Einflussnahme der israelischen Regierung auf die Publikumsabstimmung.
Die israelische Künstlerin Yuval Raphael gewann in Basel überraschend das Publikumsvoting und wurde im Finale Zweitplatzierte, obwohl sie im Juryvoting nur Platz 14 belegte. Im Finale zählen das Publikumsvoting und das Juryvoting zu je 50 Prozent, während in den Halbfinals das Publikum alleine über den Finaleinzug entscheidet. Israel wurde beschuldigt, das Voting durch intensive Online-Werbung manipuliert zu haben. In den Halbfinal-Aufzeichnungen des ESC rief Yuval Raphael ausserdem in TV-Spots dazu auf, für sie abzustimmen – als einzige Teilnehmerin. Bezahlt wurden diese Spots von einer staatlichen israelischen Agentur, wie das Portal Eurovision News Spotlight damals aufdeckte. Solche Promotionen seien regelkonform, erklärte die EBU damals, solange sie nicht gegen redaktionelle Standards verstossen.
Keine Halbfinal-Shows?
Beweise für Manipulationen seitens Israel konnten bis heute keine gefunden werden, ein Nachgeschmack blieb trotzdem. Die Europäische Rundfunkunion EBU kündigte darum am Donnerstag Regeländerungen an, um die Rolle der Jurys zu stärken und Werbekampagnen besser zu regulieren. In den beiden Halbfinals wird es künftig neben den Publikumsstimmen darum wieder ein Juryvoting geben.
Offen bleibt, ob es überhaupt eine Durchführung der beiden Halbfinals geben wird, da nicht sicher ist, wie viele Delegationen nach Wien reisen werden. Im Finale treten jeweils 26 Länder an. Sollten also nur 26 oder weniger Länder beim ESC 2026 mitmachen wollen, würde eine Durchführung der Halbfinal-Shows hinfällig werden. Weitere Absagen und Boykott-Ankündigungen dürften folgen.
