Wie du mir, so ich dir. Oder Actio gleich Reactio. Es gibt verschiedene Redewendungen, mit denen man die Eskalation der letzten Tage zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Volksrepublik China umschreiben könnte. Die beiden Rivalen auf der politischen Weltbühne liefern sich einen heftigen Schlagabtausch, mit unabsehbaren Folgen.
Am Freitag liess die Regierung in Peking das US-Konsulat in der südwestchinesischen Stadt Chengdu dicht machen. Es war eine Vergeltungsmassnahme für die von Washington verordnete Schliessung der chinesischen Vertretung in der texanischen Metropole Houston. China sprach von einer «legitimen und notwendigen Reaktion».
Die USA wiederum warfen China «massive Spionage» vor. Die Chinesen taten wenig, um dies zu entkräften. Im Innenhof des Konsulats in Houston verbrannten sie Dokumente. Zwischen rivalisierenden Mächten sind solche Vorgänge nicht unüblich. Das Verhältnis zwischen den beiden weltgrössten Volkswirtschaften aber ist auf einem Tiefpunkt.
Schon vor der gegenseitigen Schliessung von diplomatischen Vertretungen standen die Zeichen auf Sturm. Die USA sandten zwei Flugzeugträger ins südchinesische Meer, auf das die Volksrepublik einen höchst umstrittenen Anspruch erhebt. Sie stationierte Kampfjets auf Inseln. Schon vor Monaten haben die USA zudem Strafzölle auf chinesische Importe eingeführt.
Ausserdem verhängten sie Sanktionen gegen China wegen dessen harschem Vorgehen in Xinjiang und in Hongkong. US-Aussenminister Mike Pompeo traf sich diese Woche in London demonstrativ mit dem geflüchteten Demokratie-Aktivisten Nathan Law. Am Donnerstag hielt er eine Grundsatzrede zu den amerikanisch-chinesischen Beziehungen.
Pompeo beschuldigte die Volksrepublik, Angehörige muslimischer Minderheiten in «Konzentrationslagern» zu internieren – ein Begriff, den selbst US-Politiker eher gemieden hatten. Ausserdem warf er China vor, «unser wertvolles geistiges Eigentum und unsere Geschäftsgeheimnisse» gestohlen zu haben und sich der «Sklavenarbeit» zu bedienen.
1. THREAD: Amid a series of strong UK responses — the Huawei ban and the suspension of its extradition treaty
— Nathan Law 羅冠聰 😷 (@nathanlawkc) July 22, 2020
with #HongKong among them — to growing signs of Chinese imperialism, @SecPompeo paid an important visit to London, where he and I had a great conversation yesterday. pic.twitter.com/LN00Q0b4XC
Seine Rede hielt Mike Pompeo in der Richard-Nixon-Präsidentenbibliothek im kalifornischen Yorba Linda. Das ist bemerkenswert, denn Nixon hatte 1972 mit seiner als sensationell empfundenen Reise nach Peking das Tauwetter zwischen den Grossmächten eingeleitet, das 1979 zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen führte.
Seither sei das Verhältnis nie so schlecht gewesen wie heute, klagen die Chinesen. Das Coronavirus trägt seinen Anteil dazu bei. Präsident Donald Trump bezeichnet es konsequent als «China-Virus» oder «Wuhan-Virus». Damit versucht er, von seinem Missmanagement in der Krise abzulenken. Und natürlich geht es um den Wahlkampf.
China eignet sich perfekt als Feindbild. Eine kritische Haltung gegenüber der Volksrepublik ist einer der wenigen Bereiche, in denen sich Demokraten und Republikaner weitgehend einig sind. Die von Präsident Barack Obama vereinbarte Transpazifische Partnerschaft (TPP) mit elf weiteren Ländern war als Gegengewicht zu Chinas Einfluss gedacht.
Donald Trump jagte das Abkommen als eine seiner ersten Amtshandlungen durch den Shredder. Seine Einstellung gegenüber China ist wie so vieles nicht durch eine klare Linie, sondern durch einen Zickzackkurs geprägt. Mal biederte er sich bei Chinas Präsident Xi Jinping an, dessen Machtfülle er bewundert. Nun setzt Trump voll auf Konfrontation.
Bereits ist die Rede von einem «neuen Kalten Krieg», in Anlehnung an die einstige Rivalität zwischen den USA und der Sowjetunion. Aber trifft diese Analogie zu? Die Experten sind sich nicht einig. Die einen halten sie für vollkommen berechtigt. Andere verweisen darauf, dass sich die heutige Situation erheblich von der damaligen unterscheidet.
Früher standen sich zwei klar definierte Machtblöcke gegenüber, die politisch und wirtschaftlich gegensätzlich waren. Das heutige Verhältnis ist viel komplizierter. Die USA und China sind wirtschaftlich stark miteinander verflochten. China ist der grösste Gläubiger der USA, diese sind aber auch der wichtigste Absatzmarkt der Volksrepublik.
Der Machtanspruch Chinas aber hat sich fundamental gewandelt. Lange setzte man auf wirtschaftliche Entwicklung und hielt sich aussenpolitisch zurück. Unter Xi Jinping, der seine Gegner innerhalb der Kommunistischen Partei weitgehend ausgeschaltet hat, will China nicht nur die wirtschaftliche Nummer eins werden. Man tritt auch politisch selbstbewusst auf.
Die USA dagegen sind ein dysfunktionales, politisch zerrissenes Land, das von einem Wirrkopf regiert wird. Das Versagen in der Coronakrise zeigt, wie kaputt ihr System in manchen Bereichen ist. Während China die Pandemie mit seinem harten Durchgreifen (scheinbar) besiegt hat und auf den wirtschaftlichen Wachstumskurs zurückgekehrt ist.
Damit lenkt China von seinem Versagen beim Ausbruch der Pandemie in Wuhan ab, aber innenpolitisch scheint die Story zu verfangen. Auch im Ausland blicken manche mit Bewunderung auf die vermeintliche Effizienz eines autoritären Systems, das den langsamen Demokratien überlegen scheint. Hat China den Kalten Krieg schon gewonnen?
So einfach ist das nicht. Im Westen durchschauen viele das Doppelspiel in der Coronakrise. Das Image der Volksrepublik hat sich trotz «Maskendiplomatie» tendenziell verschlechtert. Vor einer voreiligen Schlussfolgerung zum «neuen Kalten Krieg» warnt auch Bilahari Kausikan, ein pensionierter Diplomat aus Singapur, einer Art «milden» Autokratie.
In einem lesenswerten Essay verweist er auf die Widersprüche des vermeintlichen chinesischen Erfolgsmodells. Dieses versucht, ein totalitäres Politsystem (Kausikan bezeichnet es konsequent als leninistisch) mit einer Marktwirtschaft zu verbinden, einem per Definition freiheitlichen Konzept. Das führt fast notgedrungen zu Spannungen.
So geht China weltweit auf «Einkaufstour», tut sich aber schwer damit, seine Wirtschaft für ausländische Investoren zu öffnen. «Kontrollwahn» ist ein Begriff, der in Zusammenhang mit Xi Jinpings China häufig verwendet wird. Kausikan verweist darauf, dass viele Chinesen ihr Land verlassen, nicht obwohl, «sondern gerade weil es wirtschaftlich erfolgreich ist».
Mit seiner teilweise aggressiven Aussenpolitik macht sich China zudem keine Freunde. Ihm komme kaum ein grösseres Land in den Sinn, «mit dem China mehr verbindet als eine vertragliche Beziehung». Das gelte auch für Länder wie Russland und Iran. «China leidet unter einem anhaltenden Defizit in Sachen Soft Power», meint der frühere Diplomat.
Die USA hingegen faszinieren trotz Trump viele Menschen rund um den Globus. Bilahari Kausikan schreibt, dass Demokratien oft langsam auf Entwicklungen reagieren. «Aber ihre Antworten können wirkungsvoll und selbst dann nachhaltig sein, wenn sie suboptimal sind.» Die Europäische Union ist dafür ein fast schon perfektes Beispiel.
Für die Europäer ist der «neue Kalte Krieg» eine Zwickmühle. Auf den ersten Blick wirken sie hilflos, denn mit den USA sind sie politisch und mit China wirtschaftlich eng verbunden. Allerdings betrachtet die EU die Volksrepublik nun als «Systemrivalen». Sie wehrt sich vermehrt gegen deren Praktiken, während das Bündnis mit den USA trotz Trump hält.
Wer China als Sieger im Kalten Krieg betrachtet, könnte sich täuschen. Das gilt auch, falls Donald Trump abgewählt wird. Unter einem Präsidenten Joe Biden werden die USA gegenüber China kaum weniger hart, dafür berechenbarer auftreten. Das mindert die Gefahr, dass die «Thukydides-Falle» zuschnappt und aus dem kalten ein heisser Krieg wird.
Vielleicht greift Biden das Abkommen wieder auf.
Xi Jinping hingegen treibt ein viel undursichtigeres Spiel...