So tickt Japans «Eiserne Lady»
Mit Margaret Thatcher verglichen zu werden, dürfte für die meisten Politikerinnen dieser Welt ein zwiespältiges Kompliment sein. Nicht so für Sanae Takaichi. Die 64-Jährige wird mit grösster Wahrscheinlichkeit am 15. Oktober zur ersten japanischen Premierministerin gekürt werden, so wie einst die «Eiserne Lady» von Grossbritannien. Und sie ist begeistert, wenn man sie auf diese streitbare Dame anspricht. Sie «ist mein Schatz», sagt sie.
Zwischen den beiden gibt es tatsächlich eine Reihe von Parallelen. Beide stammen aus kleinbürgerlichen Verhältnissen: Thatcher wurde von ihren Gegnern öfter mal als «Shopkeeper» verspottet, als pingeliger Krämergeist. Takaichi kann sich ebenfalls nicht eines Stammbaums mit klingenden Namen rühmen: Ihre Mutter war Polizistin, ihr Vater Autoarbeiter.
Beide Frauen waren, resp. sind keine Feministinnen. Für weibliche Anliegen hatte Thatcher nie ein offenes Ohr, Takaichis Haltung zum Feminismus ist kompliziert. Sie befürwortete ein Gesetz, das Ehefrauen zwingt, den Namen ihres Mannes zu tragen. Deshalb wurde sie immer wieder dafür kritisiert, dass sie sich zu wenig für ihre Geschlechtsgenossinnen einsetzt. In ihrer Jugend ist sie zudem mit ausgesprochen männlichem Verhalten aufgefallen: Sie war eine leidenschaftliche Motorradfahrerin und liebte Heavy Metal Rock.
Wie Thatcher ist auch Takaichi eine erklärte Nationalistin. Das geht so weit, dass sie die japanischen Kriegsgräuel im Zweiten Weltkrieg verharmlost und regelmässig Denkmäler zu Ehren gefallener Soldaten besucht. Das stösst bei den Opfern des japanischen Imperialismus, bei den Chinesen und den Koreanern, auf wenig Gegenliebe. Auch nicht, dass sie die japanischen Streitkräfte wieder massiv aufrüsten will.
Hingegen verbindet dies Takaichi mit Shinzo Abe, dem Premierminister, der 2022 ermordet wurde. Sie war Teil seiner Regierung und ein grosser Fan. Von ihm hat sie auch ihre Wirtschaftspolitik übernommen, die sogenannten Abenomics. In dieser Beziehung unterscheidet sie sich ganz klar von Thatcher. Diese war eine erklärte Neoliberale und stützte sich auf die Theorien von Friedrich Hayek und Milton Friedman, will heissen: ein ausgeglichenes Staatsbudget und so wenig Regulierung wie möglich.
Bei den Abenomics hingegen lautet die Devise: Schulden sind halb so schlimm, wichtig ist, dass die Wirtschaft wächst. Die Börsen haben deshalb auf die kommende Inthronisierung Takaichis bereits reagiert. Die Aktienkurse machten einen Freudensprung. In der Finanzgemeinde spricht man bereits von einem «Takaichi Trade». Was man darunter versteht, erklärt ein Broker in Tokio der «Financial Times» wie folgt: «Der Takaichi Trade ist eine Wette darauf, dass es in Japan demnächst ein grosses fiskalisches Anreizprogramm geben wird, dass sich der Yen weiter abschwächt und die Renditen der Staatsanleihen steigen.»
Die Nonchalance gegenüber roten Zahlen in der Staatskasse verbindet Takaichi nicht nur mit Abe, sondern auch mit Donald Trump. Übrigens: Abe und Trump konnten gut miteinander. «Über Nacht hat der Trumpismus Asien erreicht», erklärt denn auch Katsuyuki Yakushiji, ein Polit-Analyst in Tokio, gegenüber der «New York Times».
Tatsächlich setzt Takaichi ebenfalls auf «Japan first» und macht Ausländer, vor allem Immigranten, für alle Übel dieser Welt verantwortlich. Ja, sie geht gar so weit, dass sie Touristen beschimpft und behauptet, diese hätten ein heiliges Reh in ihrer Heimatstadt Nara getreten.
Ihre Parolen sind ebenfalls an MAGA angelehnt. «Japan ist zurück» und «Frieden dank Stärke» verkündete sie im Wahlkampf.
Gerade wegen ihrer nationalistischen Haltung ist Takaichi gewählt worden. Ihre Partei, die LDP – vielleicht eine Art Antwort auf unseren Freisinn –, ist seit 70 Jahren ununterbrochen an der Macht, musste jedoch bei den letzten Wahlen die absolute Mehrheit im Parlament abgeben. Takaichi ist deshalb auf die Unterstützung der kleineren Parteien am rechten Rand – die ebenfalls bei den letzten Wahlen zugelegt haben – angewiesen. Hingegen besteht die Gefahr, dass ihr bisheriger Koalitionspartner, die gemässigte Komeito Partei, abspringen wird.
Mit Trump verbindet Takaichi derweil zwar die Weltanschauung, nicht aber die wirtschaftlichen Interessen. Sie ist kein Fan des Deals, den ihr Vorgänger mit den USA abgeschlossen hat. Bald wird sie jedoch Gelegenheit erhalten, sich persönlich mit dem US-Präsidenten darüber zu unterhalten. Trump wird am 27. Oktober in Tokio zu einem Besuch erwartet.
Sollte es dann nicht klappen, erhält Takachi beim ASEAN-Gipfel, der im November in Südkorea stattfinden wird, eine weitere Gelegenheit. Zudem kann sie dort auch die Befürchtungen der Chinesen und der Koreaner besänftigen.
Auf Takaichi wartet viel Arbeit. Als Japanerin schreckt sie das nicht im Geringsten. «Das war’s wohl mit meiner Work-Life-Balance», witzelte sie nach ihrer Wahl zur LDP-Chefin.
Das Schicksal einer anderen britischen Premierministerin hat sie nicht zu befürchten. «Niemand denkt daran, dass sie Japans Liz Truss (die britische Premierministerin, die nur 40 Tage im Amt war, Anm. d. Verf.) wird», heisst es in Tokios Börsenhändler-Kreisen. «Aber ein bisschen holprig dürfte es in nächster Zeit wohl werden.»