Dürfen wir auf Reisen gehen, auch wenn wir damit die Welt zerstören?
Ob mit dem Rucksack auf Identitätssuche oder auf Pauschalreise im all-inclusive Bunker: Die Welt bereist zu haben, ist ein Ideal, mit dem sich die breite Masse identifizieren kann. Auslandsreisen füllen unsere Fotoalben, reichern den Lebenslauf mit Weltgewandtheit an und bringen kaufkräftige Kundschaft dazu, ihr Geld in Entwicklungsländern auszugeben. Bis heute gilt, wer reist, tut sich und den Leuten vor Ort Gutes.
Denn fast kein anderer Wirtschaftssektor schliesst so viele Menschen mit ein, wie es der Tourismus tut. Er macht zehn Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts aus und gilt in vielen Entwicklungsländern als wichtigster Wirtschaftszweig. Global gesehen geht jeder elfte Arbeitsplatz auf die Kappe des Tourismus.
Und dennoch bleibt bei vielen Urlaubern ein fader Nachgeschmack auf dem Gaumen der persönlichen Ethik zurück. Zu Recht! 3,4 Tonen CO2 pro Passagier schleudert es beispielsweise auf der Flugstrecke Zürich-Bangkok retour in die Atmosphäre hinaus. Und das Essen dort: so sündhaft billig! Preise, die fast genauso tief sind, wie die oft nicht eingehaltenen Mindestlöhne des Hotelpersonals.
Wachstum allein ist noch kein Nachhaltigkeitsprogramm
Bis zum Ende der nächsten Dekade wollen die Vereinten Nationen (UNO) den Klimawandel dämpfen und die Armut überwinden. Das wurde 2015 mit der Verabschiedung der «Agenda 2030» so entschieden. Doch ohne Neugestaltung der Tourismus-Branche bleibt diese Vision reine Zukunftsmusik. Aus diesem Grund stellt die Weltorganisation für Tourismus (UNWTO) im Auftrag der UNO das Jahr 2017 unters Licht des «nachhaltigen Tourismus».
breiter Kreise aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft
wurde die Agenda 2030 als internationaler Zukunftsvertrag im September 2015 von Staats- und Regierungschefs
verabschiedet. Mit den Worten: «Wir sind entschlossen, die kühnen und transformativen
Schritte zu unternehmen, die dringend notwendig sind,
um die Welt auf den Pfad der Nachhaltigkeit und der
Widerstandsfähigkeit zu bringen», verpflichtete sich die UNO in den folgenden 15 Jahren eine sozial gerechtere und nachhaltigere Welt zu verwirklichen.
In ihrem Positionspapier zum «Jahr des nachhaltigen Tourismus» schreibt die UNWTO:
Der Tourismus sei ein Entwicklungsmotor, der im Stande sei, «Armut zu bekämpfen, Biodiversität und kulturelle Traditionen zu bewahren und der es vermag, Brücken zwischen Gastgebern und Besuchern zu bilden» – so hoch romantisch propagiert die UNWTO die Bedeutung des Fremdenverkehrs und stützt sich dabei nur auf eins: Zahlen.
Zahlen, die wirtschaftlich rentieren und deshalb rechtfertigen sollen, dass ein reiner Wachstum an sich bereits als nachhaltige Entwicklungshilfe verkauft werden kann.
Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung, Basel
Das schöne Wort «Entwicklung» ist schliesslich aber nicht nur der Wirtschaft vorenthalten. Mit den steigenden BIPs der Feriendestinationen schnellen auch Umweltverschmutzung, Wasserknappheit und die Vermögensschere in die Höhe. «Soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz ist dann eben eine Rechnung, die rein numerisch nicht aufgehen kann», meint Christine Plüss, Geschäftsführerin des Arbeitskreises «Tourismus & Entwicklung» in Basel gegenüber watson. «Letztlich geht es nicht um das nationale BIP eines Reiselandes, sondern um die einzelnen Löhne und die Lebensumstände der Menschen vor Ort.»
In ihrem «kritischen Kommentar zum UN-Jahr des nachhaltigen Tourismus für Entwicklung» schreibt sie:
Faktisch will die UNWTO bis 2030 die Zahl der der jährlich verbuchten Reisen gegenüber den 900 Millionen von 2010 auf 1,8 Milliarden aufblasen. Die Gefahren, welche dies gerade für das Klima, aber auch bezüglich sozialer Gerechtigkeit birgt, werden grosszügig ignoriert.
Türkei oder Balkonien?
«Um die Welt nicht weiter zu zerstören, müsste man konsequenterweise auf der Stelle aufhören zu existieren. Aber dann hätte man nichts mehr von dieser ‹verbesserten› Welt», scherzt Plüss im Interview.
arbeitskreis tourismus & entwicklung, basel
Den Urlaub in der Türkei beispielsweise einfach zu streichen, sei aber genauso ignorant, wie Luxusferien mitten im Krisengebieten zu buchen, pointiert die Tourismusexpertin und Historikerin deutlich. «Obwohl ich die autokratische Erdogan-Regierung zu hundert Prozent missbillige, wäre das für mich kein Grund, nicht in der Türkei zu urlauben», führt sie aus. Den Türkinnen und Türken sei viel mehr geholfen, wenn die Nachfrage nach fairem und nachhaltigem Tourismus im Land steigt.
Die Angebote, die ich in den Ferien in Anspruch nehme, halten die Menschenrechte ein, auch wenn das der Staat an sich nicht tut. Hier können Tourismus-Labels für Klarheit sorgen.
2. Die lokale Bevölkerung profitiert
Pension vor Hilton: Kleinere Hotels und Pensionen tendieren dazu, lokale Produkte und Arbeitskräfte einzusetzen. Kleine Betriebe halten ihre Angestellten tendenziell länger und bezahlen meistens faire Löhne.
3. Umweltschutz
Lässt sich ein Flug nicht vermeiden, ist der Gang zum zeitgenössischen Beichtstuhl der Klimakompensation eine Überlegung wert. Den Flug nach Thailand kann man schon ab 98 Franken kompensieren. Das Geld geht an Klimaprojekte in Schwellenländer, wo Infrastrukturen nachhaltig erneuert werden und die Zivilgesellschaft auf einen nachhaltigeren Energiehaushalt sensibilisiert werden. Wo Trinkwasser knapp ist, sollte man auf üppige Grün- und Poolanlagen verzichten.
4. Preis und Wert
Locken Sonderangebote zu Bedingungen, die fast zu gut sind, um wahr zu sein, dann bleibt unter dem Strich in der Regel kaum mehr Geld für Umweltschutz und faire Löhne.
5. Respekt
Wer weder Respekt gegenüber den Leuten vor Ort, noch vor der Umwelt aufbringen kann, richtet mehr Schaden als Nutzen mit seiner Reise an. Als Tourist sollte man sich seinem Privileg, neue Teile der Welt zu bereisen, bewusst sein. Eine vorhergehende Beschäftigung mit der Kultur, die einen an der Destination erwartet, ist Pflicht.
Auch wenn es sich so bedeutende Organisationen wie die UNO auf die Fahne schreiben, für Gerechtigkeit zu sorgen und sie sich öffentlich für eine Dämpfung des Klimawandels einsetzten, liegt die Verantwortung für einen nachhaltigen Tourismus immer noch in den Händen aller Reisenden – also auch bei dir.
