Gewaltige Brände wüten derzeit im Amazonas-Regenwald in Brasilien, Paraguay und Bolivien. Bilder aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zeigen das Ausmass des Waldbrandes. Wie schlimm die Situation tatsächlich ist und was dagegen getan wird, erfährst du hier:
Die Brände wüten nicht nur in Brasilien, sondern auch in anderen Staaten Südamerikas, allen voran Venezuela, Bolivien und Kolumbien.
Gleichwohl liegt das Epizentrum der gegenwärtigen Katastrophe im grössten Staat Südamerikas, namentlich in dessen Bundesstaaten Mato Grosso, Pará und Amazonas.
Satellitenbilder zeigten, dass der Bundesstaat Roraima zeitweise fast gänzlich von Rauchschwaden bedeckt war. Selbst in der Megalopolis São Paulo im Süden des Landes war der Himmel zeitweise von Rauchwolken bedeckt. Allerdings ist eher unwahrscheinlich, dass diese aus dem Amazonasgebiet stammten – vermutlich hatten sie ihren Ursprung in Waldbränden im näher gelegenen Paraguay.
Die untenstehende Grafik zeigt die Anzahl der Brände seit Anfang Jahr in allen brasilianischen Bundesstaaten. Insgesamt war vornehmlich die südliche Hälfte des Amazonas-Einzugsgebiets betroffen.
Im Amazonasgebiet fängt die Saison der Waldbrände im Juli zu Beginn der Trockenzeit an und erreicht ihren Höhepunkt üblicherweise Anfang September, bevor sie im November endet. Dieses Jahr liegt die gesamte Anzahl der Waldbrände in Brasilien bis zum 22. August fast doppelt so hoch wie im selben Zeitraum des vergangenen Jahres. Das Nationale Institut für Raumforschung (INPE) spricht von einem Anstieg um 82 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Mehr als die Hälfte davon wurden in der Amazonasregion verzeichnet.
Der Ökologe Thomas Lovejoy sagte im Magazin «National Geographic»: «Dies ist ohne Frage einer von nur zwei Fällen, in denen es solche Brände gegeben hat.» Einige Medien, darunter die BBC, weisen darauf hin, dass es doppelt so viele Brände gegeben hat wie 2013:
Allerdings liegen die Zahlen gemäss der US-Weltraumbehörde Nasa etwas unter dem Durchschnitt der letzten 15 Jahre. Dies legen auch die Daten des INPE nahe, die der BBC-Grafik zugrunde liegen. Betrachtet man den gesamten Zeitraum, zu dem Zahlen vorliegen, zeigt sich eine Häufung in der ersten Dekade dieses Jahrhunderts, namentlich in den Jahren 2003 bis 2005, 2007 und 2010:
Beunruhigend ist indes, dass der diesjährige Anstieg eine Trendwende ankündigen könnte, denn nach einem Peak im Jahr 2010 hatte die Anzahl der Brände deutlich abgenommen. Natürliche Waldbrände im Regenwald sind selten; die Mehrzahl der Feuer wird gelegt, etwa um Anbauflächen zu gewinnen. Möglicherweise hat die betont agrarfreundliche Politik von Präsident Bolsonaro, der seit Januar im Amt ist, die Bauern ermutigt, verstärkt Brandrodungen vorzunehmen. Nach INPE-Angaben nahm die abgeholzte Fläche im Juni um 88 Prozent und im Juli sogar um 278 Prozent zu im Vergleich zu den Vorjahresmonaten.
Die Waldbrände setzen kurzfristig grosse Mengen CO2 frei, das in der Atmosphäre als Treibhausgas wirkt. Wenn die abgebrannten Flächen nicht wieder aufgeforstet werden, könnte der Regenwald im Amazonasbecken auf lange Sicht seine Pufferwirkung als eine der grössten Kohlenstoffsenken der Welt verlieren und schliesslich sogar mehr CO2 abgeben, als er aufnimmt.
Die Brände treffen zudem ein Ökosystem, das durch Rodungen und die Auswirkungen des Klimawandels bereits geschwächt ist. Da schon gesunde Regenwald-Ökosysteme nach einem Brand rund hundert Jahre benötigen, um sich komplett wieder zu regenerieren, dürfte es im Amazonasgebiet noch länger dauern.
Die Katastrophe im Amazonasgebiet hat zudem eine innenpolitische Dimension. Für Präsident Bolsonaro sind die Bilder des brennenden Regenwaldes ein Problem – die Waldbrände sind die erste grosse Krise seiner Amtszeit, die im Januar begonnen hat. Zahlreiche Brasilianer, die selber noch nie im dünn besiedelten Amazonasgebiet waren, sind durch die Brandkatastrophe aufgerüttelt; die Kritik an Bolsonaro nimmt zu – in den Sozialen Medien etwa unter dem Hashtag #PrayforAmazonia.
Eine länger anhaltende Trockenheit hat in der Region günstige Bedingungen für Brände geschaffen. So konnten die Feuer so schnell ausser Kontrolle geraten. Dass es im Amazonas zu dieser Jahreszeit so trocken ist, ist aber nichts Ungewöhnliches. Der Ursprung der Brände ist vielmehr in der illegalen und legalen Rodung zu suchen.
Der Amazonas leidet seit Jahrzehnten unter der Abholzung. Diese wird jedoch weiter vorangetrieben, um einerseits Platz für die landwirtschaftliche Nutzung zu machen und andererseits die weltweit steigende Nachfrage nach Papier zu decken.
Zum Einsatz kommt dabei auch das gefährliche Mittel der Brandrodung. Dabei werden absichtlich Feuer gelegt, um in kurzer Zeit grosse Flächen frei zu machen. Der Mix aus trockenen Verhältnissen und absichtlich gelegten Feuern führt jedes Jahr zu grossen Waldbränden in dieser Region. Dieses Jahr sind sie jedoch schlimmer als in den letzten 7 Jahren.
Es ist äusserst schwierig, die Waldbrände in Brasilien und den angrenzenden Ländern zu bekämpfen. Das liegt vornehmlich daran, dass es sich um eine enorme Anzahl von Bränden handelt, die an weit auseinander liegenden Orten wüten. Denn nur schon Brasilien ist riesig – allein der grösste Bundesstaat Amazonas ist mit gut 1,5 Millionen km2 fast 40 Mal grösser als die Schweiz. Viele Brände wüten zudem in unwegsamem, abgelegenem Gebiet, so dass die Feuerwehr auf Booten entlang der Flüsse zu diesen Feuern vordringen muss und sie kaum bekämpfen kann.
Zwar haben einige brasilianische Bundesstaaten wie Amazonas oder Acre den Notstand ausgerufen. Doch die Zentralregierung in Brasília hat bisher keinen Notfallplan ausgearbeitet und erweckt eher einen untätigen, überforderten Eindruck. Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro wies Kritik an der Untätigkeit mit dem Argument zurück, sein Land verfüge nicht über die Ressourcen, das Feuer zu bekämpfen, da der Amazonas-Regenwald grösser sei als Europa.
Das grüne Amazonasbecken erfüllt mehrere Aufgaben für das lokale, aber auch für das globale Klima. So produziert der grösste tropische Regenwald der Welt etwa einen Fünftel des weltweit verfügbaren Sauerstoffs. Von enormer Bedeutung ist auch die Speicherung grosser Mengen CO2. Laut Schätzungen des WWFs speichert die «Lunge der Erde» über 100 Milliarden Tonnen des Treibhausgases. Die Reduktion von CO2 und die Einhaltung der Klimaziele sind ohne den Amazonas-Regenwald kaum zu bewältigen.
Hinzu kommt, dass im Amazonasbecken unzählige Tierarten leben. Manche Schätzungen gehen sogar davon aus, dass eine von zehn bekannten Tierarten im Amazonas heimisch ist. Verlieren diese Tiere ihre Heimat, droht das Ökosystem zu kippen. Aus einem belebten Regenwald wird eine Wüste.
Solche Entwicklungen wurden schon an ganz unterschiedlichen Orten der Erde beobachtet. Bäume und Buschgewächs stabilisieren den Boden und schützen die niedrige Vegetation vor Wind. Fällt dieser Schutz weg, droht Erosion und es bilden sich Wüsten.
Unstrittig ist, dass dass seit Beginn der Industrialisierung um 1850 die menschgemachte Zerstörung von sogenanntem Primärwald massiv zugenommen hat. Grosse Rückgangsraten sind auch beim tropischen Regenwald zu beobachten. Schätzungen gehen davon aus, dass von den 16 Millionen Quadratkilomentern Regenwald, die 1947 in Südamerika, Südostasien und Afrika noch existiert haben, inzwischen nur noch zwischen sieben und acht Millionen Quadratkilometer übrig sind.
Der grösste Teil dieses Regenwaldverlustes bis 2010 ist allerdings in den Jahren zwischen 1960 und 1990 angefallen. In diesen 30 Jahren sind 20 Prozent der gesamten vorhandenen Regenwaldfläche der Rodung zum Opfer gefallen. Diese Schätzungen von Forschung und Naturschutz-NGOs gehen für den Zeitraum bis Anfang dieses Jahrhunderts teilweise weit auseinander und sind mit Vorsicht zu geniessen.
Eine Studie unter Einsatz von Satelliten-Technologie legte 2002 den Schluss nahe, dass die jährlichen Rodungsraten von gewissen Akteuren um bis zu 23 Prozent zu hoch geschätzt beziehungsweise dargestellt worden sind. Für die jüngste Geschichte streiten Umweltschutzorganisationen und die Vereinten Nationen bezüglich der Rodungsraten.
Gemäss einer regelmässigen Erhebung der Vereinten Nationen seit 2005 geht die Zerstörungsrate des Primärwaldes weltweit jährlich in absoluten Zahlen um 3,3 Millionen Hektaren zurück. Die Umweltschutzorganisation Rainforest Foundation kritisiert hingegen, dass diese Studie auch Flächen als Primärwald erfasse, die nur zu 10 Prozent von Wald bedeckt seien, während die tatsächlichen Verluste von Waldgebieten im Gegenteil immer schneller zunehmen.
Trotz dieser Differenzen ist unstrittig, dass die Entwaldung auch beim Regenwald, wenn auch in den letzten Jahren langsamer als im vergangenen Jahrhundert, weiter voranschreitet und ein signifikantes Umwelt- und Klimaproblem darstellt. Eine umfassende Karte zur Waldentwicklung weltweit findet sich hier.
Verschiedene Massnahmen auf politischer Ebene zum Schutz des Regenwaldes scheinen gemäss neueren Daten Wirkung zu zeigen. So hat Brasilien die Regenwald-Verlustraten drastisch um drei Viertel senken können, nachdem die Entwaldung zum nationalen Notfall erklärt worden ist. Seit dem Machtantritt von Präsident Bolsonaro hat die Entwaldungsrate in Brasilien zwischen 2017 und 2018 wieder ein Zehnjahreshoch erreicht (8000 km2), sie liegt aber immer noch nicht einmal halb so hoch wie noch 2005 (19000 km2).
Auch die internationalen Verträge zum Klimaschutz beinhalten den Schutz des Regenwaldes und unterstützen Regierungen betroffener Länder dabei, ihre Regenwälder zu schützen. Eine nützliche, wenn auch nicht ganz aktuelle Chart-Übersicht über die Entwicklung des Bestandes in den vier regenwaldverlustreichsten Ländern Brasilien, Kongo, Indonesien und Malaysia findet sich hier.
Brennt der Regenwald, sind auch die Tiere in Gefahr. Da es immer wieder zu Waldbränden kommt, haben die Tiere sich zumindest zum Teil an einen gewissen Umgang mit dem Feuer gewöhnt. Sie fliehen einfach vor dem Feuer oder suchen sich Schutz in den Flüssen und Seen im Amazonasgebiet.
Kleinere Waldbrände können sogar einen positiven Effekt auf die Vegetation und die Tierwelt haben: Alte Waldteile werden aufgefrischt und es kann sich neue Vegetation bilden. Bei grossen Bränden wie jenen im Amazonas überwiegen jedoch die negativen Einflüsse. Die schiere Grösse erschwert die Rehabilitation der Vegetation gewaltig.
Die Brände verursachen solch hohe Temperaturen, dass auch die unterirdische Vegetation in Mitleidenschaft gezogen wird. Viele Pilze halten den 700 Grad einfach nicht stand. So setzt sich die Spirale immer weiter fort: Stirbt die Vegetation, haben die Tiere nichts mehr zu fressen und die Population verkleinert sich. Vom Aussterben gefährdete Tierarten leiden besonders darunter.
Die Waldbrände im Amazonas sorgen weltweit für heftige Reaktionen. Die Politiker, wie der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, beschuldigen sich gegenseitig, die Katastrophe für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Massnahmen hat Bolsonaro bisher noch keine Angekündigt.
Auf Twitter und Facebook kursieren derweil seit mehreren Tagen Fake-Bilder des Brandes. Die Bilder wie jene in diesem Tweet stammen zum Teil von Bränden, die vor mehreren Jahren stattgefunden haben.
Während sich Rechtspopulisten rund um den Globus noch über Gretas Segeltörn echauffieren, lässt einer ihrer Führer in Brasilien hunderte Quadratkilometer Regenwald abbrennen. #Bolsonaro #SOSAmazonia #AmazonFires pic.twitter.com/oSQ9DLfiBV
— Anselm Schindler (@AnselmSchindler) August 21, 2019
Sowohl der WWF wie auch Rainforest Alliance und andere gemeinnützige Organisationen haben Statements veröffentlicht. Sie versuchen, angeschlossene Organisationen wie CIOCA (die Vertretung der indigenen Bevölkerung im Amazonasbecken) und Imaflora (der Verband für nachhaltige Landwirtschaft in der Region) vor Ort finanziell zu unterstützen und politischen Druck auf den brasilianischen Präsidenten Bolsonaro auszuüben.
Wer Fleisch aus Mastbetrieben isst, der hat also eine Mitverantwortung für die Zerstörung des Regenwaldes.