Marrakesch, am Freitagabend, kurz vor dem verheerenden Erdbeben in Marokko. Gegen 23 Uhr bemerkt Rea Christ Belali, dass ihre Hündin Liza nervös wird. «Wie ich meinte, grundlos», berichtete die gegenüber watson. Liza bellt und lässt sich partout nicht beruhigen.
Kurz darauf bebt in Marokko die Erde. Das Epizentrum ist rund 70 Kilometer südwestlich von Marrakesch entfernt. Tausende Tote und noch mehr Verletzte werden in den Stunden und Tagen darauf geborgen. Das Land ist in einer Schockstarre.
Belali erlebt den Moment des Bebens hautnah:
Belali, die seit einem Jahr in einem neuen Mehrfamilienhaus in Marrakesch lebt, informiert sich sofort im Internet. Kurz darauf fällt die Strom- und Wasserversorgung aus. Sie geht auf die Strasse hinaus, um sich ein Bild der Lage zu machen.
Sie beobachtet, wie Menschen schreiend aus ihren Häusern rennen. «Die Situation war unklar». Von Nachbarinnen und Freunden erfährt sie, dass in der Altstadt Häuser beschädigt worden seien und es Todesopfer gegeben habe.
Am Samstagmorgen scheint Hündin Liza ein Nachbeben zu spüren und gibt an, noch bevor Belali realisiert, was passiert.
Doch können Hunde wirklich Erdbeben spüren, bevor Menschen diese bemerken? Und falls ja – könnten Tiere dabei helfen, frühzeitig vor solchen Katastrophen zu warnen? Martin Wikelski, Direktor am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell, erforscht genau das.
Ob Tiere die Gefahr tatsächlich früher spüren, ist in der Wissenschaft umstritten. Es gebe zwar viele anekdotenhafte Erzählungen von Wild- oder Haustieren, die ihr Verhalten vor einem Erdbeben kurzfristig ändern. Oft halte dies einer wissenschaftlichen Überprüfung aber nicht stand, schreibt die Max-Planck-Gesellschaft.
Ein Kooperationsprojekt des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Radolfzell/Konstanz und des Exzellenzclusters Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour der Universität Konstanz sollte diesbezüglich Klarheit schaffen. Dafür statteten Forschende in den Jahren 2016 und 2017 in einer italienischen Erdbebenregion Kühe, Schafe und Hunde mit Sensoren aus und zeichneten das Verhalten der Tiere während mehrerer Monate auf.
In diesen Zeitraum fielen über 18'000 kleinere Beben und zwölf Erdbeben mit einer Stärke von mindestens 4 auf der Richterskala.
Und tatsächlich: Das Resultat der 2020 publizierten Studie besagt, dass bis zu 20 Stunden vor einem Beben «auffällige Verhaltensmuster» bei den Tieren entdeckt worden seien, wie die Max-Planck-Gesellschaft schreibt. Befanden sich die Tiere näher am Epizentrum, änderten sie ihr Verhalten früher. Die Auswirkungen seien aber nur auf kollektiver Ebene beobachtbar, also wenn alle Tiere gemeinsam betrachtet wurden. Bei einzelnen Tieren seien Prognosen bisher nicht zuverlässig machbar.
Wie die Tiere Erdbeben im Voraus erspüren könnten, ist nicht ganz klar. Wie die Max-Planck-Gesellschaft schreibt, ist eine mögliche Erklärung, dass die Tiere Gase riechen, die vor dem Beben aus Quarzkristallen freigesetzt werden. Eine andere Erklärung ist, dass die Tiere über ihr Fell eine Veränderung in der Luft verspüren könnten, ausgelöst durch den Gesteinsdruck in Erdbebenzonen.
Die Max-Planck-Gesellschaft erklärt auch, wie ein Frühwarnsystem für Erdbeben, das auf der Grundlage von auffälligem Tierverhalten funktioniert, aussehen könnte: mithilfe von Halsbändern, die in Echtzeit Bewegungsdaten von Tieren sammeln und diese alle drei Minuten an ein zentrales System schicken. Wird eine kollektiv auftretende erhöhte Aktivität über 45 Minuten festgestellt, wird ein Warnsignal ausgelöst.
Einmal habe das bereits funktioniert, und ein kleines Erdbeben wurde so drei Stunden im Voraus erkannt. Das Epizentrum habe dabei direkt unter dem Stall gelegen, erklärt der Studienautor Wikelski gegenüber der Max-Planck-Gesellschaft weiter. Tierische Warnsysteme stünden aber noch ganz am Anfang, es brauche viel mehr Daten von einer grösseren Anzahl und verschiedenen Arten von Tieren, heisst es weiter.
Das Projekt Icarus soll das ändern. Es handelt sich dabei um eine gross angelegte internationale Kooperation zur Beobachtung von Tieren. Dabei werden die Tiere aus dem Weltraum heraus beobachtet. Nicht nur Naturkatastrophen sollen damit vorhergesagt werden können, auch ein umfassenderes Wissen über das Verhalten und die Wanderrouten von Tieren, sind Ziele des Projekts.
Verschiedene Tierarten werden dafür mit Minisendern ausgestattet, die Daten werden zunächst an eine Empfangsstation im All geschickt und von dort aus an eine Bodenstation übermittelt. Nachdem das Projekt wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine pausiert worden war, wird es nun ohne Russland weitergeführt.
#Icarus has flown back into space 🛰️🛰️✨⭐️🌟💫
— Max Planck Institute of Animal Behavior (@MPI_animalbehav) July 12, 2023
15 months ago, Icarus stopped receiving data due to the Russian war on Ukraine.
Now, it’s begun testing a receiver to continue uninterrupted tracking of animals from space.@animaltracking @maxplanckpresshttps://t.co/LYo6NqHyII
(mit Material der sda)
Auf alle Fälle sehr spannend und irgendetwas wird wohl drann sein, dass Tiere etwas wahrnehmen können vor Erdbeben.