International
Wissen

Hunde und Erdbeben: Warum Tiere frühe Signale wirklich spüren könnten

People and dogs dig through the rubble of a home that was damaged by an earthquake, in the village of Tafeghaghte, near Marrakech, Morocco, Monday, Sept. 11, 2023. Rescue crews expanded their efforts  ...
Ein Hund hilft in Tafeghaghte, nahe Marrakesch, bei der Suche nach Verschütteten nach dem verheerenden Erdbeben in Marokko, 11. September 2023. Bild: AP

Wenn Tiere Katastrophen spüren

Es gibt keine sicheren Warnsysteme für Erdbeben oder andere Naturkatastrophen. Immer wieder gibt es aber Berichte von Tieren, die Beben schon vorher spüren. Die Tierverhaltensforschung schlägt vor, das für den Katastrophenschutz nutzbar zu machen.
13.09.2023, 11:3017.09.2023, 17:46
Hanna Hubacher
Hanna Hubacher
Folge mir
Mehr «International»

Marrakesch, am Freitagabend, kurz vor dem verheerenden Erdbeben in Marokko. Gegen 23 Uhr bemerkt Rea Christ Belali, dass ihre Hündin Liza nervös wird. «Wie ich meinte, grundlos», berichtete die gegenüber watson. Liza bellt und lässt sich partout nicht beruhigen.

Kurz darauf bebt in Marokko die Erde. Das Epizentrum ist rund 70 Kilometer südwestlich von Marrakesch entfernt. Tausende Tote und noch mehr Verletzte werden in den Stunden und Tagen darauf geborgen. Das Land ist in einer Schockstarre.

Belali erlebt den Moment des Bebens hautnah:

«Es begann zu schütteln und es ertönte ein tiefes Grollen. Nach wenigen Sekunden war alles vorbei.»

Belali, die seit einem Jahr in einem neuen Mehrfamilienhaus in Marrakesch lebt, informiert sich sofort im Internet. Kurz darauf fällt die Strom- und Wasserversorgung aus. Sie geht auf die Strasse hinaus, um sich ein Bild der Lage zu machen.

Sie beobachtet, wie Menschen schreiend aus ihren Häusern rennen. «Die Situation war unklar». Von Nachbarinnen und Freunden erfährt sie, dass in der Altstadt Häuser beschädigt worden seien und es Todesopfer gegeben habe.

«Erst am Morgen wurde klar, wie schlimm es wirklich ist.»

Am Samstagmorgen scheint Hündin Liza ein Nachbeben zu spüren und gibt an, noch bevor Belali realisiert, was passiert.

Katastrophenwarnung durch Tiere – ein Experiment gibt Aufschluss

Doch können Hunde wirklich Erdbeben spüren, bevor Menschen diese bemerken? Und falls ja – könnten Tiere dabei helfen, frühzeitig vor solchen Katastrophen zu warnen? Martin Wikelski, Direktor am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell, erforscht genau das.

Ob Tiere die Gefahr tatsächlich früher spüren, ist in der Wissenschaft umstritten. Es gebe zwar viele anekdotenhafte Erzählungen von Wild- oder Haustieren, die ihr Verhalten vor einem Erdbeben kurzfristig ändern. Oft halte dies einer wissenschaftlichen Überprüfung aber nicht stand, schreibt die Max-Planck-Gesellschaft.

Ein Kooperationsprojekt des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Radolfzell/Konstanz und des Exzellenzclusters Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour der Universität Konstanz sollte diesbezüglich Klarheit schaffen. Dafür statteten Forschende in den Jahren 2016 und 2017 in einer italienischen Erdbebenregion Kühe, Schafe und Hunde mit Sensoren aus und zeichneten das Verhalten der Tiere während mehrerer Monate auf.

Un helicoptere Super Puma de l'Armee suisse passe au dessus des vaches pour apporter de l'eau dans un reservoir pour abreuver les vaches d'un paysan lors d'un point presse sur le d ...
Unter anderem Kühe wurden mit Sensoren ausgestattet (Symbolbild).Bild: KEYSTONE

In diesen Zeitraum fielen über 18'000 kleinere Beben und zwölf Erdbeben mit einer Stärke von mindestens 4 auf der Richterskala.

Und tatsächlich: Das Resultat der 2020 publizierten Studie besagt, dass bis zu 20 Stunden vor einem Beben «auffällige Verhaltensmuster» bei den Tieren entdeckt worden seien, wie die Max-Planck-Gesellschaft schreibt. Befanden sich die Tiere näher am Epizentrum, änderten sie ihr Verhalten früher. Die Auswirkungen seien aber nur auf kollektiver Ebene beobachtbar, also wenn alle Tiere gemeinsam betrachtet wurden. Bei einzelnen Tieren seien Prognosen bisher nicht zuverlässig machbar.

Wie die Tiere Erdbeben im Voraus erspüren könnten, ist nicht ganz klar. Wie die Max-Planck-Gesellschaft schreibt, ist eine mögliche Erklärung, dass die Tiere Gase riechen, die vor dem Beben aus Quarzkristallen freigesetzt werden. Eine andere Erklärung ist, dass die Tiere über ihr Fell eine Veränderung in der Luft verspüren könnten, ausgelöst durch den Gesteinsdruck in Erdbebenzonen.

Die Max-Planck-Gesellschaft erklärt auch, wie ein Frühwarnsystem für Erdbeben, das auf der Grundlage von auffälligem Tierverhalten funktioniert, aussehen könnte: mithilfe von Halsbändern, die in Echtzeit Bewegungsdaten von Tieren sammeln und diese alle drei Minuten an ein zentrales System schicken. Wird eine kollektiv auftretende erhöhte Aktivität über 45 Minuten festgestellt, wird ein Warnsignal ausgelöst.

Einmal habe das bereits funktioniert, und ein kleines Erdbeben wurde so drei Stunden im Voraus erkannt. Das Epizentrum habe dabei direkt unter dem Stall gelegen, erklärt der Studienautor Wikelski gegenüber der Max-Planck-Gesellschaft weiter. Tierische Warnsysteme stünden aber noch ganz am Anfang, es brauche viel mehr Daten von einer grösseren Anzahl und verschiedenen Arten von Tieren, heisst es weiter.

Verhaltensforschung aus dem All

Das Projekt Icarus soll das ändern. Es handelt sich dabei um eine gross angelegte internationale Kooperation zur Beobachtung von Tieren. Dabei werden die Tiere aus dem Weltraum heraus beobachtet. Nicht nur Naturkatastrophen sollen damit vorhergesagt werden können, auch ein umfassenderes Wissen über das Verhalten und die Wanderrouten von Tieren, sind Ziele des Projekts.

Atlantic birdlife in Farne Islands Nature Reserve, England.
Vögel an der atlantischen Küste in England.Bild: iStockphoto

Verschiedene Tierarten werden dafür mit Minisendern ausgestattet, die Daten werden zunächst an eine Empfangsstation im All geschickt und von dort aus an eine Bodenstation übermittelt. Nachdem das Projekt wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine pausiert worden war, wird es nun ohne Russland weitergeführt.

(mit Material der sda)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
So musst du dich bei einem Erdbeben verhalten: Bilder aus aller Welt
1 / 30
So musst du dich bei einem Erdbeben verhalten: Bilder aus aller Welt
Regel Nummer 1: Den Kopf bedecken – mit dem, was du zur Verfügung hast.
Angestellte eines Supermarkts in Kobe, Japan, während einer Erdbeben-Übung am 14. Januar 2016.
quelle: ap/kyodo news / yuta omori
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Das könnte dich auch noch interessieren:
28 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Nummy33
13.09.2023 11:47registriert April 2022
wer selber einen Hund oder Katze hat kann da sicherlich einige Geschichten erzählen, was die Tiere alles spüren
595
Melden
Zum Kommentar
avatar
Schlaf
13.09.2023 11:55registriert Oktober 2019
Ich hab da auch mal was mit der änderung des Magnetfeldes bei einem Erbeben gelesen, welches die Tiere wahrnemen könnten.

Auf alle Fälle sehr spannend und irgendetwas wird wohl drann sein, dass Tiere etwas wahrnehmen können vor Erdbeben.
361
Melden
Zum Kommentar
avatar
keinHeidi
13.09.2023 13:13registriert Januar 2019
Ich habe das selbst erlebt, als vor 10 Jahren Morgens um halb sechs die Erde in St.Gallen bebte (Bohrung Geothermie). Ich war als Betriebshelferin am melken, die Kühe waren aber aussergewöhnlich unruhig und nervös. An normales melken war nicht zu denken.. bis das Erdbeben vorbei war, die Tiere beruhigten sich, fingen an Wiederzukauen, alles ging wieder seinen gewohnten Gang... bis heute unvergessen..
282
Melden
Zum Kommentar
28
Mehr hilft mehr: Olivenöl dürfte vor Tod durch Demenz schützen

Der häufige Konsum von Olivenöl senkt das Risiko, an Demenz zu sterben, um 28 Prozent. Das hat eine grosse US-Studie mit mehr als 92'000 Teilnehmenden während fast dreissig Jahren ergeben.

Zur Story