Kommentar
US-Wahlen 2016

Die USA sind ein dynamisches Land – die Schweiz stagniert

Die Freiheitsstatue auf einer Scheune in Iowa, wo am Montag der Vorwahlzyklus beginnt.
Die Freiheitsstatue auf einer Scheune in Iowa, wo am Montag der Vorwahlzyklus beginnt.
Bild: JIM YOUNG/REUTERS
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Warum die USA immer noch ein tolles Land sind und die Schweiz nicht vom Fleck kommt

In den USA beginnt die heisse Phase des Wahlkampfs. Trotz mancher Mängel ist Amerika ein dynamisches und kreatives Land. In der «Schwesternrepublik» Schweiz hingegen herrscht seit Jahren Stillstand.
31.01.2016, 15:4901.02.2016, 08:28
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Am Montag geht es endlich los. Im Bundesstaat Iowa beginnt mit der ersten Vorwahl die Kandidatenkür für die US-Präsidentschaft. Nach einem monatelangen heftigen Schlagabtausch vorab unter den Kandidaten der republikanischen Partei wird es zu einer ersten Zäsur kommen: Wer im mittleren Westen unter ferner liefen abschneidet, kann seine Ambitionen begraben.

Der Kampf um das Weisse Haus war stets ein faszinierendes Spektakel. Seit einiger Zeit aber hat er fragwürdige Züge angenommen. Das betrifft nicht nur die beinahe endlose Dauer, zu der auch die Medien ihren Beitrag leisten. Seit der Oberste Gerichtshof 2010 fast alle Barrieren bei der Wahlkampffinanzierung niedergerissen hat, fliessen gigantische Summen in die Kampagnen.

Die Kandidaten für die US-Präsidentschaftswahl

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Die Kandidaten für die US-Präsidentschaftswahl
Am 8. November 2016 wird die Amtszeit von US-Präsident Barack Obama mit der Wahl eines neuen Präsidenten oder einer neuen Präsidentin beendet.
quelle: x00157 / kevin lamarque
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Vizepräsident Joe Biden geht davon aus, dass die Präsidentschaftswahl 2016 mehr als vier Milliarden Dollar verschlingen wird. Er hat unter anderem aus diesem Grund auf eine Kandidatur verzichtet. Für Kritiker bewegen sich die USA zunehmend hin zu einer Plutokratie, in der Milliardäre wie die erzkonservativen Koch-Brüder bei den Republikanern oder der Finanzinvestor George Soros bei den Demokraten darüber entscheiden, wer nominiert wird.

Der wirtschaftliche Aufschwung findet für viele Amerikaner nur auf dem Papier statt. 

Der Einfluss von «Big Money» auf die US-Politik stimmt nachdenklich. Auch sonst liegt manches im Argen im einstigen «Land der unbegrenzten Möglichkeiten». Für die Republikaner befindet sich Amerika ohnehin auf dem direkten Weg in die Apokalypse. Barack Obama hinterlässt aus ihrer Sicht nach seinen bald acht Jahren als Präsident ein nach innen und aussen geschwächtes Land. Der Wahlkampfslogan von Donald Trump lautet nicht umsonst «Make America Great Again».

Der 69-jährige Immobilientycoon aus New York will «Amerika wieder gross machen» und hält sich damit hartnäckig an der Spitze des republikanischen Bewerberfelds. Als er im letzten Sommer seine Kandidatur bekannt gab, galt das Grossmaul mit der bizarren Frisur als Witzfigur, die bald verschwinden wird. Nun erachten es manche Beobachter für möglich, dass er sich die Nomination als Präsidentschaftskandidat sichern wird, zum Schrecken des Partei-Establishments.

Donald Trump trifft den Nerv vieler weisser Amerikaner.
Donald Trump trifft den Nerv vieler weisser Amerikaner.
Bild: Paul Sancya/AP/KEYSTONE

Mit seinen Tiraden gegen Mexikaner und Muslime trifft Trump den Nerv eines weissen Amerika, das um seine vermeintlich gottgegebene Vormachtstellung fürchtet. In wenigen Jahrzehnten werden die Abkömmlinge europäischer Einwanderer eine Minderheit unter vielen sein, während die Zahl der Latinos zunimmt. Das erzeugt Ängste, wie eine CNN-Recherche unter Trump-Fans zeigt. «Niemand sorgt mehr für die Weissen», heisst es etwa. Andere glauben, die Weissen würden diskriminiert – eine wahnwitzige Umkehrung der historischen Fakten.

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Es gibt auch objektive Belege dafür, dass in den USA manches nicht rund läuft. Der wirtschaftliche Aufschwung findet für viele Amerikaner nur auf dem Papier statt. Sie verdienen nicht mehr oder sogar weniger als vor der Finanzkrise 2008, die viele gut bezahlte Jobs vernichtet hat. Hinzu kommt die wieder erstarkte Bedrohung durch den islamistischen Terror, verkörpert durch den «IS». Eine Mehrheit der Amerikaner glaubt, das Land sei auf dem falschen Dampfer.

Für kluge Köpfe aus aller Welt bleiben die USA die Destination ihrer Träume.

Dabei zeigt gerade der demographische Wandel, dass die USA ein sehr dynamisches Land sind, das sich immer wieder neu erfindet. In den Obama-Jahren sind die Amerikaner, die sich einst für den unbestrittenen Nabel der Welt hielten, offener geworden. Bestes Beispiel ist die Akzeptanz der Homo-Ehe. Vor rund zehn Jahren war eine klare Mehrheit der Amerikaner in Umfragen dagegen, heute ist sie dafür. Das Oberste Gericht hat sie 2015 offiziell für verfassungskonform erklärt.

Und wo befindet sich das kreative Epizentrum der Weltwirtschaft? Sicher nicht im vermeintlichen Wunderland China, sondern im Silicon Valley in Kalifornien. Dort wird die digitale Zukunft entworfen. Die virtuelle Welt wird von amerikanischen Firmen und Risikokapital dominiert. Man muss das nicht gut finden, doch es zeigt eindrücklich, welche kreativen Energien dieses Land freizusetzen vermag. Für kluge Köpfe aus aller Welt bleiben die USA die Destination ihrer Träume.

In den Neunzigern sagte das Volk zweimal Ja zur Neat.
In den Neunzigern sagte das Volk zweimal Ja zur Neat.
Bild: KEYSTONE

Es ist eine Realität, die notorische Amerika-Hasser gerne ignorieren oder bewusst ausblenden, auch bei uns. Dabei könnte sich die Schweiz einiges von der amerikanischen Dynamik abschauen. Das Verhältnis der beiden «Schwesternrepubliken» hat sich abgekühlt, seit die USA uns wiederholt in den Schwitzkasten genommen haben: In der Kontroverse um die nachrichtenlosen Vermögen, beim Bankgeheimnis oder zuletzt im Fifa-Skandal.

«Jetzt kiffen!» titelte das längst verblichene Nachrichtenmagazin «Facts». Bald 20 Jahre danach bewegen sich die Kiffer noch immer in der Illegalität.

Im Gegensatz zu den USA aber stagniert die Schweiz gesellschaftspolitisch seit Jahren. Grosse Würfe wie die Gesundheitsreform Obamacare sind bei uns kaum noch realisierbar. Dafür stossen Initiativen mit repressiver Stossrichtung auf Zustimmung. Der Zeitgeist setzt auf Abschottung, nicht auf Öffnung.

Dabei gab es eine Zeit, in der herrschte in der Schweiz so etwas wie Aufbruchstimmung. Es waren die oft gescholtenen 1990er Jahre. Erst kürzlich publizierte der «Tages-Anzeiger» eine «Ehrenrettung» dieses Jahrzehnts. Die Schweiz erlebte damals eine hartnäckige Wirtschaftsflaute mit relativ hoher Arbeitslosigkeit, doch das Ende des Kalten Krieges führte auch dazu, dass gesellschaftliche Verkrustungen aufbrachen und bahnbrechende Reformen möglich waren.

In den Neunzigern sagte das Volk Ja zur Alpeninitiative und zweimal Ja zum «Jahrhundertbauwerk» Neat. Das Gesetz zur Gleichstellung von Mann und Frau wurde beschlossen und die veraltete Warenumsatzsteuer (WUST) durch die Mehrwertsteuer ersetzt. Damals unterstützte das Volk letztmals Reformen bei der Altersversorgung (mit Rentenalter 64 für die Frauen) und in der Gesundheitspolitik (mit Versicherungsobligatorium und Prämienverbilligungen).

Das Nein zum EWR konnte mit den bilateralen Verträgen zumindest teilweise kompensiert werden. In der Drogenpolitik setzte die Schweiz mit ihrem 4-Säulen-Modell, das unter anderem die kontrollierte Heroinabgabe beinhaltet, sogar weltweit Massstäbe. Es brauchte dafür die traumatische Erfahrung mit den offenen Drogenszenen auf dem Platzspitz und am Letten in Zürich, aber die Schweiz bewies, dass sie zu unkonventionellen Lösungen fähig war.

Die offene Drogenszene am Letten führte zum Umdenken in der Drogenpolitik.
Die offene Drogenszene am Letten führte zum Umdenken in der Drogenpolitik.
Bild: KEYSTONE

Der nächste Schritt, die Freigabe des Cannabis-Konsums, schien Ende der Neunziger nur noch eine Frage der Zeit zu sein. «Jetzt kiffen!» titelte das längst verblichene Nachrichtenmagazin «Facts». Bald 20 Jahre danach bewegen sich die Kiffer noch immer in der Illegalität, auch wenn die Strafe zu einer Ordnungsbusse abgemildert wurde. Überhaupt hat sich wenig bewegt. 2005 stimmte das Volk der eingetragenen Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare zu, doch nicht nur die USA haben uns bei diesem Thema überholt. Die stark katholisch geprägten Iren sagten letztes Jahr klar Ja zur Homo-Ehe.

Selbst die seichte Spassgesellschaft, über die man sich so schön mokieren konnte, erscheint in einem milderen Licht.

Bei uns existiert im Parlament ein Vorstoss für eine «Ehe für alle». Ob es ihm besser ergehen wird als den Bestrebungen für eine Hanflegalisierung, wird sich zeigen. Zuletzt gab es auch wieder Anläufe zu grösseren Reformprojekten. Die Energiewende und die Reform der Altersversorgung hatten im Parlament einen guten Start. Mit der neuen rechtslastigen Mehrheit im Nationalrat aber ist ungewiss, wie es weitergeht. Bei der Energiestrategie droht bereits die Verwässerung.

Im Umweltschutz hat die Schweiz ihre einstige Vorreiterrolle längst eingebüsst. Selbst als Wirtschaftsstandort ist sie nicht mehr über alle Zweifel erhaben. Unsere Hochschulen gehören zur Weltspitze, allen voran die beiden ETHs. Sie bringen viele Startups hervor. Nach der Gründungsphase aber ziehen diese häufig weiter, weil sie hierzulande nicht die passenden Rahmenbedingungen vorfinden. Bevorzugte Destination sind – wen wundert's – die USA.

Es seit nicht verschwiegen, dass in den Neunzigern auch der unaufhaltsame Aufstieg der Blocher-SVP begann. Dennoch neigt man aus der Warte des weltoffenen Schweizers angesichts des heutigen Stillstands zu einem nostalgischen Blick zurück. Selbst die seichte Spassgesellschaft, über die man sich so schön mokieren konnte, erscheint in einem milderen Licht.

Das gilt auch und erst recht für die USA. Sie mögen längst nicht mehr das Land der unbegrenzten Möglichkeiten sein. Und sie sind in allem gross, auch in ihren Fehlern. Doch wie kein anderes Land sind sie fähig, diese Fehler zu korrigieren. Dafür muss man sie bewundern, trotz Trump, NSA oder Guantanamo. Man darf davon ausgehen, dass sich bei der Präsidentschaftswahl spätestens am 8. November der Pragmatismus gegenüber der Ideologie durchsetzen wird.

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88 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Noach
31.01.2016 18:34registriert Juli 2015
Die USA ist für mich in keiner Weise ein Vorbild.In der Schweiz zu leben ist ein tolles Privileg.Gute Schulen,gute Infrastruktur.Man sollte schätzen hier zu sein.Habe 10 Jahre im Ausland,Naher Osten gelebt!Ihr wisst einfach nicht was für ein tolles Land Ihr habt!Amerika ist gut für Reiche,aber nicht für den Mittelstand und Arme Leute!
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Serge Künzli
31.01.2016 19:48registriert November 2015
Ich bin fassungslos. Ist das ein Fasnachtsartikel? In ein Land, das sich im Stillstand befindet, ziehen järlich circa 80 000 Personen aus dem Ausland. Funktionierende Krankenkassen. Funktionierende hochstehende medizinische Versorgung. Funktionierender öffentlicher Verkehr. Kein Alfabetismus. Keine Todesstrafe. Keine Kriege. Keine Armut. Keine hire and fire...
Wie kann man nur solch einen Schwachsinn schreiben.
Mal einen Blick in dieses Buch werfen: http://www.dtv.de/buecher/die_bessermacher_605604.html
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NWO Schwanzus Longus
31.01.2016 16:33registriert November 2015
Die USA sind so gespalten wie noch nie, 50 Millionen US-Amerikaner leben Arm im Vergleich, sie brauchen Essensmarken. Sie geben mehr als eine Halbe Billion für das Militär aus und hinterlassen verbrannte Erde. Die USA kann kein Vorbild sein.
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