Die Academy hat also mal wieder keine Frau gefunden. Oder finden wollen. Nämlich in exakt einer Kategorie, über die in der Oscarnacht abgestimmt werden wird. Sie heisst Best Achievement in Directing. Beste Regie. Gut, das kennen wir, das ist normal. War da nicht eben erst eine Frau nominiert? Nämlich 2018 Greta Gerwig für «Lady Bird»? Wär ja verrückt, jetzt schon wieder eine zu berücksichtigen!
Auch 2020 geht's wieder um Greta Gerwig. Ihr «Little Women» kämpft um den Oscar als Best Picture, aber in der Regie-Kategorie finden sich nur Männer. Was vorkommen kann. Schliesslich gibt es 9 Nominierungen für Best Picture, aber nur 5 für Regie. Aber schauen wir uns die Dimension des Ärgers mal an, den sich die Academy mit ihrem kontinuierlichen Ausschluss von Regisseurinnen erneut eingehandelt hat. Er ist riesig. Die Zahlen zeigen's.
Für die beste Regie sind heuer neben dem koreanischen Familienfilm «Parasite» vier ausgemachte Männerfilme nominiert, nämlich «The Irishman» (Mafia forever), «1917» (Erst-Weltkriegs-Schlachtfest), «Once Upon a Time ... in Hollywood» (Brad-&-Leo-&-Männerfantasien-Nostalgie-Festspiele), «Joker» (Genese eines männlichen Psychopathen).
Greta Gerwigs «Little Women» erzählt eine ganz andere Geschichte. Zugrunde liegt dem Film der gleichnamige Roman von Louisa May Alcott aus dem Jahr 1868, ein amerikanischer Bestseller, zwölf Jahre vor unserem «Heidi» publiziert und genauso sehr von einem jungen weiblichen Freiheitsbestreben beseelt.
Doch im Gegensatz zu Heidi zieht es die vier Marsh-Schwestern, die «kleinen Frauen», nicht in die Freiheit der Natur, sondern im Gegenteil in die der Zivilisation, der Bildung, der Kunst und der finanziellen Unabhängigkeit. Jo (Saoirse Ronan) will und wird Schriftstellerin werden, Amy (Florence Pough) Malerin, Beth (Eliza Scanlen) Musikerin, Geld ist keines dafür da. Einzig Meg (Emma Watson) geht als selbstlos Liebende in die Ehe und wird eine bescheidene Hausfrau. Für die kühl kalkulierende Amy hängt die Idee der Ehe eher von materiellen Faktoren ab, Jo tendiert eh zur Sapiosexualität, und die kleine Beth ... ach, ihr Leben ist das schwerste.
Es gibt eine Mutter (Laura Dern), die zu gut für diese Welt ist, einen Vater (Bob Odenkirk), der aus dem Krieg heimkehrt, einen superreichen, superfaulen, superschönen Cousin (Timothée Chalamet), der mindestens zwei Schwestern Leben und Herz schwer macht, und eine bissige alte reiche Tante (Meryl Streep), die ein Erbe zu vergeben hat und mit der Zuneigung der Mädchen berechnende Spiele spielt.
«Little Women» ist ein Schüttelbecher junger Gefühle, da ist so viel Offenes, Hoffendes, zart Aufkeimendes, blindwütig Enttäuschtes, Furioses und irgendwann – nach harten Kämpfen – Gelingendes. Coming-of-Age eben. Kann man nachvollziehen, sieht man immer gern. Und die Fernsehprogramme dieser Welt haben ihren Weihnachtshit für die nächsten zwanzig Jahre gefunden.
Aber – wenn der Film schon für grosse Weihe eines Best Picture vorgeschlagen ist, wieso ist es dann so ärgerlich, dass die 36-jährige Greta Gerwig nicht auch für die Regie nominiert ist? Ist sie etwa noch zu jung? Muss sie sich erst hochdienen, wie ein SRF-Reporter in der «Tagesschau» vorschlug? Quatsch!
Greta Gerwig ist im potentesten Alter. Woran kann es also liegen? Schliesslich wurde die Academy in den letzten Jahren leicht verjüngt, leicht verweiblicht, ist allgemein leicht diverser geworden. Aber offenbar nicht genug. Die Oscars sind die ultimative Festung des weissen Mannes, da können noch so viele Weinsteins fallen und sich auf allen Streaming-Kanälen noch viele prominente Frauenkollektive um neue Stoffe kümmern.
Oder wie es Florence Pugh, die in der Kategorie Nebendarstellerin nominiert ist, formulierte: «Sie (Gerwig) hat exakt darüber einen Film gemacht. Über arbeitende Frauen und ihre Beziehung zu Geld und ihre Beziehung zur Arbeit in einer Männerwelt. Genau davon handelt ‹Little Women›, und das hier (die Nicht-Nominierung) unterstreicht nur, wie wichtig der Film ist.»
Ärgerlich ist Gerwigs Nicht-Berücksichtigung aber weniger aus statistischen Gründen, sondern weil sie wirklich ein kleines Wunder vollbracht hat. Spätestens nach fünf Minuten wollte ich im Kino nur noch weinen. Nicht, weil es gerade so traurig gewesen wäre – im Gegenteil, Jos Suche nach einem Verleger war todeslustig –, aber weil es so gut ist! So lebendig, flirrend, die Dialoge schnell, präzis, witzig (auch das Drehbuch ist von Gerwig), die jungen Schauspielerinnen fiebrig strahlend vor lauter Spielfreude, selbst Emma Watson, die immer so zum Blümchenhaften neigt, ist plötzlich angeknipst.
Das Erwachen des Erwachsenwerdens wird grosszügig oft mit Kindheitsszenen gegen geschnitten. Verrückt, dass es dabei nicht nötig ist, das Ensemble ähnlich aufwändig zu verjüngen wie das mit Robert De Niro in «The Irishman» geschieht. Aber das ist ja die Kunst in Kino und Theater: Man muss etwas nur überzeugend genug spielen, dann glauben es alle.
Und ganz selten geschieht es, dass sich nicht nur die Jahre auf der Leinwand oder der Bühne, sondern auch jedes Gefühl für Raum und Zeit im Zuschauerraum auflösen. Dass wir mit drin sind. Teilhaben. Die Hitze einer Wange, das Krachen von Eis, das Prasseln des Regens, das irre Weh der ersten Liebe spüren. «Little Women» kann das. Und nicht etwa, weil sich der Film von selbst gedreht hat. Sondern weil da eine Regisseurin mit einem Können, einer Vision und einer Handschrift am Werk war.
«Little Women» gibt es ab dem 30. Januar im Kino zu sehen.
Aber spannend für diesen Artikel wäre gewesen, welche weiblichen Alternativen wieso besser wären als die nominierten Männer. Ansonsten sind es einfach ein weiteres Mal leere Zahlen ohne Hintergrund.