Eine grosse Gruppe von Leuten – mehrheitlich Frauen –, ganz in Weiss gekleidet, voran ein Mann, der stark an ein Bildnis von Jesus erinnert; weisse Robe, lange braune Haare.
Bei dem Möchtegern-Jesus handelt es sich um Film- und Popstar Jared Leto. Seinen Hollywood-Durchbruch feierte Leto Mitte der 90er-Jahre mit der Serie «My So-Called Life». Danach folgten Rollen in Kult-Klassikern wie «Fight Club» und «American Psycho». Doch die Schauspielerei war ihm nicht genug und er gründete mit seinem Bruder Shannon die Alternative-Rock-Band Thirty Seconds To Mars (30STM).
Während 20 Jahren hat Leto eine treue Anhängerschaft, die sich selbst «The Echelon» nennt, aufgebaut. Und für diese veranstaltete die Band die dreitägige Retraite «Mars Island» auf einer Privatinsel in Kroatien. Zum ersten Mal wurde diese 2019 durchgeführt, wobei die Band seit 2015 eine Art Summer Camp in Malibu organisiert. Doch in Kroatien nahm das Ganze eine unheimliche Wendung: Leto trat im Messias-Look auf, umgeben von Hunderten von Fans, alle komplett in Weiss.
Drei Tage lang machten die Fans gemeinsam Yoga, gingen klettern, schwimmen und stand-up-paddeln, drängten sich ums Lagerfeuer und lauschten Letos Stimme. All das für ein Schnäppchen von 995 US-Dollar (936 Schweizer Franken) – Anreise nicht inklusive. Wem die spirituelle Reise wirklich am Herzen lag, zahlte allerdings bis zu 6499 Dollar (6118 Franken). Für diesen Betrag gab's Glamping und eine private Unterhaltung mit Leto. Nach eigenen Angaben versammelten sich rund 600 Fans auf «Mars Island».
Dieses Jahr erhöhte 30STM die Preise, Fans zahlten zwischen 1699 (1599 Franken) und 7199 Dollar (6776 Franken). Das Wochenende hätte dieses Jahr im August wieder stattfinden sollen, wurde jedoch wegen Covid und dem Krieg in der Ukraine abgesagt. Die Fans erhalten ihr Geld zurück.
Die offizielle Beschreibung von «Mars Island» lautet wie folgt:
Die Band postete auf Twitter Bilder des Wochenendes mit der Überschrift: «Yes, this is a cult» (Deutsch: «Ja, das ist eine Sekte»). Sie spielen seit Jahren mit dem Wort «Kult». Leto sagte in einem Interview mit der «New York Times», dass ein Journalist mal die Bemerkung machte, dass er eine «Sekten-Anhängerschaft» habe. Und weiter: «Ich hasse das Wort ‹Fan›; es wirkt so abwertend. Weil wir diese Sekte haben, diese Familie, diese Gläubigen, die verstehen, scheint es passend, dass es einen Namen gibt, der auf sie zutrifft.»
Was als netter Spruch fürs Merchandise und PR startete, wurde schliesslich Wirklichkeit, schreibt das «Blend Magazine». Denn wer so viel Einfluss wie Leto habe (auf Instagram folgen ihm 10,9 Millionen Menschen), könne auch aus Versehen eine Sekte gründen. Ob Absicht oder nicht: «Wenn es wie eine Sekte aussieht und sich wie eine Sekte verhält, könnte es eine Sekte sein», schreibt «Blend».
Yes, this is a cult 🔺 #MarsIsland pic.twitter.com/4I7JROg90w
— THIRTY SECONDS TO MARS (@30SECONDSTOMARS) August 15, 2019
Fans springen auf das Sekten-Image der Band auf. Auf Social Media bezeichnen sie Leto als Guru, Jesus, Messias und Propheten. Sie sind stolz darauf, Teil dieser «Sekte» zu sein. Ein Fan schreibt sogar, dass sie so erschöpft vom stundenlangen Warten in der Hitze war, dass sie an der Fotosession nicht teilnahm, nur um Letos kreative Vision nicht zu ruinieren.
a cult but a family and he’s our father, the prophet, all we need is a little faith pic.twitter.com/1D2mCEX7Ts
— Colin 🪬 (@Cfc_Hendrix) May 5, 2022
Yes this is a cult and here’s the prophet pic.twitter.com/xVcTj2CYVF
— EchelonRiodeJaneiro (@Rio_To_Mars) August 15, 2019
what the actual fuck,
— my dad calls me a antifa terrorist🕷 (@_roxra) March 30, 2020
used to love this band now i am honestly disgusted.
WHY ARE WE ACTING LIKE THIS IS OK
— ethan (@ethan_lloyd_) April 5, 2020
Wer online nach Informationen zu «Mars Island» sucht, stösst auf passwortgeschützte Webseiten und geschlossene Facebook-Gruppen. Von den Geschehnissen auf «Mars Island» dringen, ausser Fan-Fotos, nicht viele Informationen nach aussen. Eines ist jedoch klar: 30STM-Fans sind betört von Jared Letos Auftreten, seinem Wesen und seiner Musik. Sie beten ihn an und scheuen nicht davor zurück, mehrere Tausend Franken zu bezahlen, um den «Walk On Water»-Sänger auf einer isolierten Insel im Mittelmeer zu treffen.
Leto ist nicht der einzige 90er-Jahre-Star, der seine eigene Sekte hat. Andrew Keegan, der in Filmen wie «10 Dinge, die ich an Dir hasse» und «Clueless» zu sehen ist, gründete vor einigen Jahren eine spirituelle Organisation namens Full Circle.
2015 mietete Keegan eine Kirche in Kalifornien, um seine Botschaft von Licht und Liebe zu verbreiten – und für den Verkauf von illegalem Kombucha. Dieser wurde jedoch eingestellt, und sie hatten Probleme, die Miete der Kirche zu zahlen. Sie wurde 2017 geschlossen – ob die Religion weiterbesteht, ist nicht bekannt.