Taylor Swift als Wasserleiche – und ihre Fans stürmen deutsches Museum
Oops, die Königin der Nylonstrümpfe hat es wieder getan. Taylor Swift schreibt die Geschichte um. Nicht die Musikgeschichte allerdings, nicht dieses Mal, Miss Swift knöpft sich neuerdings die Kunstgeschichte vor. Und die Literaturgeschichte mit dazu.
Wäre das alles weit weg, in Amerika gerne oder noch weiter, man würde gelassen nicken. Doch in diesem Fall schwappt das Skandälchen nach Europa, vor unserer Haustüre wird unsere Kulturgeschichte neu erfunden: Swifts Tatort ist das Hessische Landesmuseum in Wiesbaden.
Swifties erobern das Museum, für ein Selfie mit einer Leiche
Dort drängeln sich Swifties aus aller Welt seit ein paar Tagen um eine Wasserleiche, eher schwebend als schwimmend, der Tümpel ist brackig: «Ophelia». Das Jugendstilbild, so sagt man, soll Swift in ihrem Musikvideo für ihren Nummer-eins-Hit «The Fate of Ophelia» benutzt haben. Zu finden auf ihrem neuen Album, «Life of a Showgirl».
Selbstverständlich ist «Ophelia» keine Erfindung von Swift, sondern von William Shakespeare. Und möglicherweise aberhundert weiteren männlichen Mythenbildnern und Geschichtenerzählern. Das arme Mädchen, die Selbstmörderin, wie wir sie kennen, zählt zu den am häufigsten zitierten Frauenfiguren in der europäischen Literatur.
Shakespeare hat sie eingeführt als Geliebte des manipulativen Dänenprinzen Hamlet und Tochter des Königs. Wenn Hamlet den Vater von Ophela umbringt, sie hin und her gezerrt wird zwischen männlichen Ansprüchen und eigenen Gefühlen, verliert sie den Verstand – oder gibt vor, ihn zu verlieren und geht beim Blumenpflücken ins Wasser.
Die Hollywoodisierung eines indirekten Femizids
In der Neuzeit hat sich das Bild der passiven Opfergestalt Ophelia geändert. Berühmte, feministische Autorinnen wie Margaret Atwood und Joyce Carol Oates haben dafür gesorgt: Die Figur wird gelesen als Metapher für den Konflikt junger Frauen im Patriarchat. Der Tod oder das Irrewerden als letzte Möglichkeit von Autonomie.
Swifts Ode an Ophelia eröffnet tatsächlich mit eben jener Szene des Gemäldes des deutschen Historienmalers Friedrich Wilhelm Theodor Heyser. Er war zwar bloss ein kleiner Fisch zu seiner Zeit, und seine Wasserleiche ist bis heute jenen der wirklichen Meister unterlegen. Das macht aber nichts, Ophelia interessiert die Popsängerin nicht die Bohne.
Im Video ist die schöne Leiche, natürlich, Taylor Swift selbst. Sie ist die tragische, poetische Heldin, die wegen Fame und durch falsche Liebe fast verrückt wurde. In der Eröffnungsszene liegt sie im weissen Abendkleid hübsch drapiert in der Ophelia-Pfütze, der Bilderrahmen rahmt sie golden, doch schon aufersteht sie – und befindet sich wo? In einem Museum, einem Casino in Las Vegas? Auch das ist bedeutungslos. Das Showgirl will bloss die Show.
Was dann im Musikvideo folgt, scheint das Werk eines fetten KI-Algorithmus’ zu sein: Eine faul gesponnene Geschichte aus verschiedenen Alter Egos von Swift, wechselnden Perücken und weggeworfenen Beinen, aus «Fluch der Karibik», Moulin Rouge und dem erschossenen Uwe Barschel in der Badewanne.
Ohne Mann geht ein Frauenleben scheinbar nicht
Ophelia? Bleibt wie bei Shakespeare auch hier auf der Strecke. Denn Swift ist zwar die Frau, die aus Liebeskummer fast ertrinkt, aber eben nur fast: Im richtigen Moment kommt in ihrem Song der Richtige, ein ritterliches «Du». Durch ihn und seine Liebe wird Taylor geheilt und gerettet. Am Ende des Videos dümpelt sie in ihrer luxuriösen Badewanne, und man stellt sich vor, wie am Wannenrand weiter unten ihr Verlobter, Football-Star Travis Kelce, mit einem vorgewärmten Badetuch wartet.
Die erfolgreichste Frau der Welt ist ohne Mann dem Ertrinken in ihren Gefühlen geweiht. Wäre das nicht zum Heulen, man könnte lachen. Oder wie Shakespeare es weit besser gesagt hat: Der Rest ist Schweigen.
