Swiftie vs. Non-Swiftie: Unsere Meinung zu «The Life of a Showgirl»
Non-Swiftie Michelle findet: Ein einziger Pop-Brei
Wie sehr kann man sich in einem zwölften Album neu erfinden? In einer Zeit, in der immer mehr Menschen durch eigene Homestudios Zugang zu Musikproduktion und ihrer Distribution haben und der gleichzeitigen Ausbreitung von KI-Musik, müssen Artists experimentierfreudiger werden, um überhaupt noch als solche wahrgenommen zu werden. Fans erwarten vielleicht keine 180-Grad-Wendung, sie mögen ja den mit Zucker überzogenen Pop. Gleichzeitig wird erwartet, dass jedes Album als Werk für sich steht. Mit so viel Geld und Brain Power dahinter möchte ich wenigstens Experimentiergeist und eine Handschrift verlangen.
Auch lyrisch haut mich das Album nicht vom Hocker. Bei «Eldest Daughter» bin ich mir sicher, dass er von ChatGPT geschrieben wurde – dank Lyrics wie «The last time I laughed this hard […], I must've been about eight or nine». Man soll ja Kunst vom Künstler trennen, aber wenn sie das letzte Mal mit acht oder neun prustend gelacht hat, dann tut mir die Frau herzlich leid. Der Song enthält Millennial-Cringe-Elemente, die ich gerne vergessen möchte.
Der Lovesong für Travis Kelce («Opalite») schenkt uns die Weisheit «Life is a song, it ends when it ends». Danke, wieder was gelernt.
Für mich als unbeschriebenes Swiftie-Blatt sind die vielen sexuellen Referenzen wie «His love opened my thighs» aus «Wood» (ja, es geht um einen erigierten Penis) traurige Versuche, an Sabrina Carpenters Sex-Idol-Image ranzukommen.
Und dann noch die Songs, die mit ausgelutschten Zitaten über das Leben eines Showgirls erzählen: In «Cancelled» geht es, untermalt von dunklen Klängen, um … Cancel Culture. Weiter zieht Taylor diese Storyline in Songs wie «Honey» und «The Life of a Showgirl». «You don’t know the Life of a Showgirl and you’re never ever gonna.» Also sollten wir noch ihre Texte ernst nehmen, obwohl wir sie sowieso nie verstehen können? Sie kratzt an der Oberfläche ihrer Emotionalität, da man ihr ihre Beschwerden über das harte Leben als Millardärin nicht wirklich abkauft.
Eine Lanze muss ich für den von George Michael inspirierten Song «Father Figure» brechen: Coole Glocken-Synths, keine sappy happy Stimmung und ich interpretiere den Text als kritisches Porträt über einen schützenden Musikmanager – überraschend originell mit vielen musikalischen Ideen, die gut zusammengewebt wurden.
Mein Fazit: Alle Songs sind eher weichgespült und eine klare Handschrift der Produzenten vom Taylor-Album «Reputation» lässt sich nicht erkennen.
Ich sehe euch schon in die Kommentare schreiben «Ja, vielleicht bist du einfach nicht die Zielgruppe!!1!» und zugegeben, «sugarcoated pop» ist nicht mein Lieblingsgenre. Aber bei der grössten Popmusikerin unserer Zeit darf man beleidigt sein, wenn sie ja eigentlich die Mittel hätte, um sich noch mal neu zu erfinden.
Ein Swiftie im Dilemma: Nina findet's ausbaufähig
Taylor ist die Königin des «sich neu Erfindens». Mit jedem neuen Release zeigt sie eine andere Seite von sich und das ohne von traditionellen Pop-Strukturen abzuweichen oder ihr eigenes Flair und ihre Wiedererkennbarkeit zu verlieren. Leider ist aber genau Letzteres der Schwachpunkt ihres neuen Albums «The Life of a Showgirl».
Während ich der Meinung bin, dass ihr neuster Release ein gutes Pop-Album ist – eingängig, unterhaltsam und perfekt für eine Dance-Session mitten im Wohnzimmer – hat es eher wenig mit einem Taylor-Swift-Album zu tun. Das Songwriting, für welches Swifties wie ich sie stets loben und schätzen, hat in diesem Album enttäuschenderweise an Substanz verloren.
Dass Taylor noch immer eine lyrisch sehr begabte Künstlerin ist, will ich ihr gar nicht absprechen, aber als langjähriger Swiftie ist dies definitiv nicht ihr bestes Werk. Ihre unter Fans berühmt-berüchtigten emotionalen und poetischen Bridges sind quasi inexistent und die Lyrics wirken eher flach. Vor allem nach ihrem letzten, tiefgründigen Album «The Tortured Poets Department».
Auf vielen Ebenen steht das neue Album in direktem Kontrast zum letzten. Während «The Tortured Poets Department» klar nicht für die grossen Charts geschrieben wurde, ist «The Life of a Showgirl» genau für ein solch breites Publikum produziert. Was dieses Album definitiv kann, ist eingängiger Pop. Es ist jedoch weitaus weniger poetisch, als das, was man sich von Taylor gewöhnt ist.
Dies zeigt für mich ihre Anpassungsfähigkeit und ihr Verständnis dafür, dass sie sich als Popkünstlerin an die aktuellen Trends in der Popmusik annähern muss, um relevant zu bleiben. Aber ob ihr dies mit diesem Album wirklich gelungen ist, sei dahingestellt.
Ganz verloren ist die altbekannte Taylor jedoch auch nicht. Wenn man über die teils eher cringen Lyrics hinwegsieht (*ahem* «Eldest Daughter», I’m looking at you), besitzen die Songs dennoch Tiefe. Zentrale Themen in Taylors Songwriting, wie Liebe, Herzschmerz und ihr Ringen mit den Höhen und Tiefen des Ruhms, ziehen sich durch das Album.
Mein Favorit des Albums ist «The Fate of Ophelia» – ein Song, welcher die poppige Eingängigkeit von Taylors «1989» besitzt und sich gleichzeitig an die Popkultur von heute anpasst. Ausschlaggebend ist für mich aber, dass dieser Song genau das widerspiegelt, was mir im Rest des Albums ein wenig fehlt: ihr gewohnt literarisches Songwriting.