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Paris Fashion Week 2023: So war es, als Normalo in der Front Row zu sein

Wie ich als Normalo die Fashion Week Paris erlebte

Die Modeschauen der Fashion Week Paris bekommt man als Normalsterbliche in der Regel nur in Form von Fotos zu Gesicht. Dieses Mal durfte watson ganz vorn (und ziemlich underdressed) in der ersten Reihe sitzen. Einblicke in eine ganz eigene Welt.
29.09.2023, 20:0329.09.2023, 22:41
Anna Böhler
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Paris ist die Stadt der Liebe. Und der Mode. Ganz besonders jetzt, denn es ist Fashion Week. Designer mit Rang und Namen stellen zwischen dem 25. September und dem 3. Oktober ihre Kollektionen für den nächsten Frühling und Sommer vor. watson wurde eingeladen, die Show des Schweizer Designers Kévin Germanier zu besuchen. So viel sei gesagt: Von Champagner und Canapés gab es keine Spur. Dafür Einblicke in eine dystopische Parallelwelt.

Angekommen in der leerstehenden Renault-Garage, die zum Showcase-Etablissement umgenutzt wurde, schallt uns bereits die Musik entgegen. Düstere, wummernde Bässe erinnern gerade in Kombination mit der Ortswahl entfernt an einen Besuch im Berliner Szene-Klub Berghain. Man führt uns die spiralförmige Ausfahrt hoch, bis in die Haupthalle. Dort sind eine für die Autorin unmöglich abschätzbare Menge von Germaniers fleissigen Bienchen (wie der Designer sie selbst nennt) bereits am Werk.

Das war die Location:

Video: watson/anna böhler

Letzte Vorbereitungen

Auch in der Modeindustrie gibt es eine Hauptprobe: Die Models marschieren in strammen Schritten über den Laufsteg. Nur wenige von ihnen tragen bereits die teuren Designer-Stücke – die meisten sind noch leger in Jeans und Shirt gekleidet. Dies ganz zur Verwirrung einiger früher Gäste, die die Outfits als «super strassentauglich» beurteilen.

Einen Stock weiter oben setzen sich Mannequins reihenweise vor die Spiegel und lassen sich geduldig die Augen und Lippen schminken sowie die Haare zurechtmachen. Wo zwei Hände nicht reichen, eilt ein weiteres Paar zu Hilfe.

Fashion Week Paris 2023 Germanier
Zu einem guten Look gehört auch Make-Up und Frisur.Bild: watson

Und auch an den Laufsteg-Outfits werden noch letzte Änderungen vorgenommen: Ein Model in Sweatshirt und überdimensionalem Rüschenrock wird von drei «Bienchen» umzingelt. Sie nähen ihr am unteren Saum des Rocks weitere Stofffetzen an, um den Look komplett zu machen. Das sah dann so aus:

Fashion Week Paris Germanier Show
Voller Einsatz der Schneiderinnen. Das Sweatshirt gehört übrigens zum Look. Bild: watson

Wenige Meter entfernt steht ein Bügeleisen. Nicht etwa aus praktischen, kleidertechnischen Gründen, sondern zu Werbezwecken. Denn die Kollektion, die der Walliser Kévin Germanier hier vorstellt, entstand in Kollaboration mit dem Schweizer Dampfbügeleisen-Hersteller Laurastar. Deshalb wird uns nun die neue Bügelstation gezeigt, deren Bezug den gleichen Print trägt, wie eines der Kleider, die heute gezeigt werden.

Fashion Week Paris 2023, Germanier
Hausarbeit, but make it Fashion.Bild: zvg

(Sehen und) Gesehen werden

Wie es sich für Frankreich gehört, so hat sich die Autorin sagen lassen, verspätet sich der Start der Modeschau um eine halbe Stunde. Dafür dürfen wir uns schon mal in die erste Reihe setzen. Ebenfalls in den Sitzreihen platziert werden die anderen geladenen Gäste: Journalistinnen, Influencer, Fashionistas. Sie alle sind der Einladung Germaniers gefolgt, um die neuste Kreation des Modemachers als allererste zu Gesicht zu bekommen.

Ein grosser Teil der Besuchenden scheint aber auch noch eine andere Absichten zu haben: Zu zeigen, dass man hier ist. Vor der Modeschau werden mindestens gleich viele Fotos geknipst, wie währenddessen. Die Autorin fühlt sich, als wäre sie in einer dystopischen Parallelwelt angekommen: Gut gekleidete Menschen, die sich zuvor noch nie begegnet sind, posieren im Blitzlichtgewitter vor grossen Objektiven. Influencer platzieren sich geschickt im richtigen Licht, an der richtigen Stelle, bis der Fotograf sie bemerkt und ihnen ihren Wunsch erfüllt.

Abgesehen von einigen wenigen Augenpaaren, die ebenfalls das Geschehen beobachten, sind alle in ihr Handy vertieft. Sehen scheint an der Fashion Week Paris weitaus unwichtiger zu sein als das Gesehenwerden.

Die Plätze sind eher knapp berechnet worden. Vielleicht, weil die Franzosen an der Fashion Week schmaler sind als der Rest der Menschheit. Vielleicht, weil sie ein geringeres Bedürfnis nach Distanz verspüren als ihre Mitmenschen. Die Autorin wagte es deshalb nicht, für eine Zigarette ihren Platz aufzugeben und bleibt stattdessen auf ihrem zugewiesenen Bänkli-Platz sitzen. Dabei wird sie irgendwann durstig vor lauter Staunen – es ist aber weit und breit kein Getränkeangebot in Sicht. Sowieso hat sie sich das Catering eines doch sehr exklusiven Anlasses etwas ausgiebiger vorgestellt – von Champagner und Canapés aber keine Spur. Zum Glück erhört bald ein heiligzusprechendes «Bienchen» ihre Gebete und macht mit einer Flasche Wasser und Pappbechern (die vor der Show wieder sorgfältig eingesammelt werden) die Runde.

Fashion Week Paris Germanier
Der Dresscode lautete «casual-chic» und weil sich niemand daran halten wollte, war ich masslos underdressed.Bild: watson

Let the Show begin

In der Minute, bevor die Modeschau losgeht, wird es plötzlich still im vierten Stock der Garage. Kein Huschen. Kein Flüstern. Sondern perfekt getimtes Schweigen. Die eingangs erwähnte elektronische Musik sticht durch die Stille wie ein Schwert und lässt erahnen, dass bald das erste Model auf dem Laufsteg erscheinen wird. Eine nach der anderen schreitet in grossen, forschen Schritten über den hallenden Boden der Werkstatt.

Und die Leute machen das, wofür sie eingeladen wurden: Fotos schiessen, entzückt den Trägerinnen ihrer künftig vielleicht eigenen Haute-Couture nachschauen und mit den Sitznachbarn darüber tuscheln, was sich zu welchem Anlass tragen lässt.

Hier sind alle Looks zu sehen:

Video: watson/anna böhler

Und was die Models da leisten, ist beeindruckend. Denn Germaniers Kleider sind nicht ganz einfach zu tragen: Sie wirken oft schwer und umständlich. Und auch die ausgefallenen Masken machen den Anschein von wenig Tragekomfort. Letzteres hat an einer Haute-Couture Show in Paris aber sowieso keinen Vorrang.

Kévin Germanier hat sich in der Branche einen Namen gemacht mit seiner Mode aus recycelten Materialien. Seine Entwürfe glitzern und schillern. Neonfarben, Pailletten, Federn und ungewöhnliche Silhouetten sind sein Markenzeichen. Das Motto seiner Frühlingskollektion lautet «Les Venimeuses», also «die Giftigen». Sie ist inspiriert von einer besonders bunten Tierart: den Nacktkiemern, eine im Meer lebende, oft sehr farbenprächtige Unterart der Nacktschnecken.

Fashion Week 2023 Germanier
Die Menge jubelt Kévin Germanier zu.Bild: zvg

Unangenehmer Applaus

Zum Abschluss betreten alle Mannequins nochmals gemeinsam den Laufsteg. Nun folgt der Teil der Show, den Germanier nach eigenen Angaben als «unangenehm» empfindet: der Applaus. Und dieser fällt wie auch bei vergangenen Kollektionen frenetisch aus.

Kaum ist das Klatschen verstummt, ist die eben noch volle Halle plötzlich wieder fast leer. Alle müssen sie weiter an den nächsten Termin: die Modeschau des Luxusbrands Saint Laurent.

Vor der Renault-Garage reihen sich bereits die Taxis. Und so huschen auch wir in eines der wartenden Fahrzeuge und werden zur Aftershow-Party in ein chices Pariser Lokal kutschiert. Dort gibt es dann doch noch das, worauf wir alle gewartet haben: Cüpli und Canapés.

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Fashion Week Paris 2023 – Kévin Germanier
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Fashion Week Paris 2023 – Kévin Germanier
Fashion Week Paris 2023, Kévin Germanier
quelle: watson
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Fails oder Fashion? Pariser Fashion Week macht online von sich zu reden
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62 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Hallwilerseecruiser
29.09.2023 21:01registriert Juli 2019
Ich habe mich ein bisschen für die nächste Fasnacht inspierieren lassen.
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Chrisbe
29.09.2023 22:41registriert Oktober 2019
.....öhm... Nö!
Nicht meine Welt.
Diese Art Kunst wirkt irgendwie künstlich 😇
Ich geh wieder unter meinen Stein..
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El_Watsono
29.09.2023 21:27registriert August 2023
Mein Gott, ist doch so egal, was man anzieht. Natürlich kleide ich mich anständig und finde es auch schön, wenn sich jemand Zeit nimmt und Mühe gibt, toll auszusehen. Aber die künstliche und oberflächliche Welt, die da für ein paar Tage kultiviert wird, grüslet mich ein bisschen.
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