Selbstzensur unter Trump: Apple TV+ verschiebt Serie über rechtsextreme Gewalt
Es gibt eine schleichende Gewöhnung an den neuen Status quo. Zu ihren Auswüchsen gehören vorauseilender Gehorsam, Unterwerfung, Selbstzensur, Zurückhaltung und die Dinge nicht mehr beim Namen zu nennen, der eben noch an der Tagesordnung war. Vor allem in den USA, aber nicht nur. SRF etwa sagt jetzt statt «rechtsextrem» viel lieber «rechtskonservativ». Eine Verharmlosung, mit der man fast niemanden hässig macht.
Am 26. September hätte auf dem Streaming-Dienst Apple TV+ die Serie «The Savant» anlaufen sollen, ein Prestige-Projekt, an dem fünf Jahre lang getüftelt worden war. Kurzfristig wurde sie verschoben. Ohne Angabe eines Grundes oder eines neuen Startdatums. «Nach reiflicher Überlegung haben wir die Entscheidung getroffen, ‹The Savant› zu verschieben. Wir schätzen Ihr Verständnis und freuen uns darauf, die Serie zu einem späteren Zeitpunkt zu veröffentlichen», lautete die schwammige Erklärung.
«The Savant» beruht auf einer 2019 in der Zeitschrift «Cosmopolitan» erschienenen Reportage mit dem Titel «Is It Possible to Stop a Mass Shooting Before It Happens?». Es ist die Geschichte einer anonymisierten FBI-Informantin namens K, die sich darauf spezialisiert hat, über Online-Recherchen und -Infiltrationen rechts-terroristische Anschläge zu verhindern: «Ihre Arbeitszeit ist unbegrenzt», heisst es da, «Hass hört nicht um 17 Uhr auf.» K ist rund um die Uhr damit beschäftigt, zu analysieren, ob sich unter den Zehntausenden von radikalisierten Männern im Internet einer befindet, bei dem die Fetischisierung von Hass in Aktion umschlagen könnte. Und: «Sie verfolgt Männer, die Frauen hassen. Und diese sind so gefährlich, dass die meisten ihrer Familienmitglieder und Freunde nicht einmal wissen, was sie tut.»
Man nennt K The Savant. Die Wissende. Sie hat schon viele Leben gerettet.
Und nun spielt also Oscar-Preisträgerin Jessica Chastain The Savant. Eine fiktionalisierte, aktualisierte Version von K, die bereits seit Ende der Nullerjahre aktiv ist. Sie spielt eine Frau, die sich in gewaltbereite, rassistische und frauenfeindliche Online-Netzwerke einschleust und versucht, Anschläge auf das Leben anderer zu verhindern. Eine Frau, die ein Doppelleben führt, einerseits ist sie Mutter und Familienmensch, andererseits verschwindet sie allmählich selbst in den Abgründen voller Hass.
Chastain selbst ist unglücklich über die Entscheidung von Apple. In einem diplomatisch formulierten Instagram-Beitrag schreibt sie: «Ich habe mich nie vor schwierigen Themen gescheut, und obwohl ich mir wünschte, diese Serie wäre nicht so aktuell, ist sie es leider doch.» Sie möchte den Achtteiler genau jetzt zeigen, weil er genau jetzt besonders aussagekräftig ist.
Weil genau jetzt die ganzen Tech-Bosse, die die Grundlagen zur Verbreitung von Hass im Internet bereitstellen, mit Donald Trump an einem Tisch sitzen. Weil es genau jetzt Mut und Widerstand braucht. Weil es genau in Krisenzeiten wie diesen die Aufgabe von Fiktion ist, einen fokussierten Blick auf die Realität zu werfen und Geschichten darüber zu schreiben, die weit mehr unter die Haut gehen als all die abgestumpft konsumierten Katastrophenmeldungen. Eskapismus lässt sich durchaus auch mit Sinn füllen.
Eine Entscheidung wie jene von Apple kann aktuell nur politisch gelesen werden. Doch leider werden die Spurenelemente von Protest in den Medien und von Chastain nichts nützen, «The Savant» wird nicht zum nächsten Fall Kimmel: Etwas, das noch gar nicht auf der Welt ist und erst von wenigen Journalistinnen und Journalisten überhaupt gesehen werden konnte, erzeugt keine Welle der Solidarität wie eine seit Jahren existierende Unterhaltungs-Institution. Es bleibt bloss weiterhin unsichtbar. Und niemand hat bis jetzt zu einer kollektiven Kündigung des Apple-TV+-Abos aufgerufen wie bei Kimmel.
Wenigstens ist das Problem erkannt. «In einer schockierenden Entscheidung hat Apple TV+ die Premiere der Jessica-Chastain-Serie ‹The Savant› verschoben und damit ein weiteres erschreckendes Beispiel dafür geliefert, wie Wirtschaftsriesen vor der Trump-Regierung zurückschrecken und sich dem Druck beugen, noch bevor dieser überhaupt existiert», schreibt das Branchenmagazin Variety und betont – nach Sichtung aller Folgen – die Dringlichkeit der (qualitativ offenbar hochwertigen) Serie zum aktuellen Zeitpunkt.
Mit «The Savant» hätte Apple TV+ Haltung zeigen können. Der Streamer hat sich dagegen entschieden. Das ist eine Tragödie.
Chastains ganzes Statement
«Ich möchte sagen, wie sehr ich meine Partnerschaft mit Apple schätze. Sie waren unglaubliche Kooperationspartner und ich habe grossen Respekt vor ihrem Team. Dennoch möchte ich euch mitteilen, dass wir uns nicht einig sind über die Entscheidung, die Veröffentlichung von ‹The Savant› zu verschieben. In den fünf Jahren, in denen wir an dieser Serie gearbeitet haben, haben wir eine bedauerliche Menge an Gewalt in den Vereinigten Staaten erlebt: den Entführungsversuch der Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer; den Angriff auf das Kapitol am 6. Januar; die Attentate auf Präsident Trump; die politischen Morde an demokratischen Abgeordneten in Minnesota; den Angriff auf den Ehemann von Sprecherin Pelosi; die Ermordung des konservativen Kommentators Charlie Kirk; die jüngste Schiesserei in einem ABC-Sender in Kalifornien und über 300 Schiessereien an Schulen im ganzen Land.
Diese Vorfälle umfassen zwar bei weitem nicht die gesamte Bandbreite der Gewalt in den Vereinigten Staaten, veranschaulichen jedoch eine breitere Denkweise, die das gesamte politische Spektrum durchzieht und bekämpft werden muss. Ich habe mich nie vor schwierigen Themen gescheut, und obwohl ich mir wünschte, diese Serie wäre nicht so aktuell, ist sie es leider doch. In ‹The Savant› geht es um Helden, die jeden Tag daran arbeiten, Gewalt zu verhindern, bevor sie geschieht, und es ist dringender denn je, ihren Mut zu würdigen. Ich respektiere die Entscheidung von Apple, die Veröffentlichung vorerst auszusetzen, dennoch hoffe ich, dass die Serie bald ihr Publikum erreichen wird. Bis dahin wünsche ich allen Sicherheit und Kraft und werde euch informieren, wenn ‹The Savant› gezeigt werden wird.»