Heidelbeeren, Trauben, Himbeeren: Im Laden gibt’s auch im Februar, worauf man gerade Lust hat. Ungeachtet der saisonalen und regionalen Verfügbarkeit. Ob das nachhaltig ist, lässt Zweifel aufkommen. Doch wie sieht nachhaltige Ernährung aus? Einer, der das weiss, ist Thomas Nemecek. Der 59-Jährige arbeitet seit 1992 bei Agroscope, seit 20 Jahren erstellt er Ökobilanzen und befasst sich mit den Auswirkungen der Land- und Ernährungswirtschaft auf die Umwelt.
Wie soll ich im Laden entscheiden, was ich kaufen soll, wenn ich nicht weiss, was aus Umweltsicht am besten ist?
Thomas Nemecek: Es gibt einige Regeln, die man befolgen kann: Fleischkonsum reduzieren, generell eher etwas zurückhaltend sein bei tierischen Produkten und eingeflogene Lebensmittel meiden. Saisonalität und Regionalität beim Gemüse und den Früchten ist wichtig. Im Winter sollte man zudem auf Gemüse aus beheizten Gewächshäusern verzichten, weil die Umweltbelastung dieser Produktionsart enorm hoch ist. Da sind Tiefkühlprodukte eine gute Alternative. Beim Einkauf muss man sich auch überlegen, wie viel man braucht. Nur weil etwas Aktion ist, muss man nicht dreimal mehr kaufen. Aber ich gebe zu: Umweltbewusst einkaufen ist schwierig.
Wie kann das vereinfacht werden?
Wir brauchen mehr Transparenz und bessere Informationen über die Umweltwirkungen entlang der ganzen Wertschöpfungskette von der Landwirtschaft über die Verarbeiter, den Handel bis zu den Konsumentinnen. Wenn wir sehen, welches Produkt welche Auswirkungen hat, wird sich auch etwas verändern. Und zwar nicht nur beim Konsum, sondern auch in der Produktion.
Wie wollen Sie das konkret angehen?
Denkbar wäre zum Beispiel eine App, in der man angeben kann, welche Aspekte einem wichtig sind. Zum Beispiel Tierwohl, Klima oder Biodiversität. Aufgrund dieser Prioritäten könnte die App dann aufzeigen, welche Produkte zu bevorzugen sind.
Reicht Information aus, um das Konsumverhalten der Bevölkerung zu verändern?
Vermutlich nicht, aber sie bildet die Voraussetzung für einen nachhaltigen Kaufentscheid. Damit können wir die Eigenverantwortung erhöhen. Den Konsumenten muss auch klar werden, dass eine Ernährung nach der Lebensmittelpyramide meistens gut für die Umwelt und für ihre Gesundheit ist. Eine weitere Rolle spielt die Erziehung. Kinder sollten in der Schule und zu Hause lernen, worauf man bei einer vielseitigen, ausgewogenen Ernährung achten muss. Wichtig ist auch, dass wir nicht den Verzicht in den Vordergrund stellen, sondern die Attraktivität der Alternativen. Wenn ich in die Kantine gehe und dort ein kreatives Vegimenu angeboten wird, bin ich eher bereit, auf Fleisch zu verzichten. Gefragt sind da aber auch alle anderen Akteure wie Landwirtschaft, Verarbeiter, Handel, Gastronomie und Politik.
Müssten wir uns der Umwelt zuliebe vegan ernähren?
Eine vegane Ernährung führt meistens zu einer geringeren Umweltbelastung. Aber hier gilt auch zu beachten: Tierische Nahrungsmittel sind nicht nur einfach umweltbelastend. Sie beinhalten auch sehr viele wichtige Nährstoffe. Man kann diese ersetzen, aber es braucht dazu auch gewisse Supplemente, zum Beispiel Vitamin B12.
Was wäre denn optimal für die Schweiz?
Eine Studie von Agroscope hat gezeigt: Für eine ressourcenschonende, bedarfsdeckende Ernährung müssen wir den Fleischkonsum um etwa 70 Prozent reduzieren, bei den Milchprodukten kann der Konsum auf dem Niveau von heute bleiben. Das Grasland sollte hauptsächlich für die Milchproduktion genutzt werden, weil die Nährstoffe so besser verwertet werden als bei der Fleischproduktion. Man kann eine Kuh täglich zwei Mal melken, aber man kann sie nur einmal schlachten. Die Nebenprodukte aus der Lebensmittelindustrie wie beispielsweise Molke, Schrot oder Kleie kann man dann als Futter für Geflügel und Schweine verwenden. Auf dem Ackerland würde dann hauptsächlich Nahrung für den Menschen angepflanzt und nicht Futtermittel, wie das heute teilweise der Fall ist.
Wir sollten das Rad der Zeit also wieder zurückdrehen?
Nein. Mit neuen Technologien konnten wir die Erträge in den letzten Jahrzehnten massiv steigern. Wir können viele Dinge von früher übernehmen, doch wir können auch einiges noch besser machen. Klar ist: Der hohe Fleischkonsum ist eine Wohlstandserscheinung. Bei uns ist das heute wieder anders, in vielen Ländern aber gilt Fleischkonsum noch immer als Statussymbol.
Was muss sich in der Schweiz ändern, damit unsere Ernährung nachhaltiger wird?
Wir müssen beim Konsum ansetzen und unsere Ernährung anpassen. Hier empfehlen wir, sich an die Ernährungsempfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE zu halten.
Was heisst das konkret?
Wir sollten beispielsweise unseren Fleischkonsum auf 2 bis 3 Portionen pro Woche reduzieren. Wenn sich alle an diese Empfehlung halten würden, hätte das schon einen grossen Effekt.
Und was gilt es nebst dem Konsum zu beachten?
Der Lebensmittelverlust und die Umweltwirkungen müssen auf der ganzen Linie verringert werden, angefangen bei der Produktion über die Verarbeitung und den Handel bis zum Konsum.
Klar, wir können keine Hörner oder Hufe essen, aber es gibt viele Innereien oder andere Teile des Rinds, die man durchaus essen kann. Das war für unsere Grosseltern normal. Auch bei den Pflanzen können wir mehr verwerten: Ein Gemüse-Bauer kann das Wetter nicht steuern, er muss immer etwas Reserve haben, damit er genügend liefern kann. Das führt häufig dazu, dass er nicht alles verkaufen kann: Gemüse wird nicht geerntet und bleibt auf dem Feld liegen. Dieses Problem kann der Bauer nicht allein lösen, das muss über eine Abmachung in der Branche sowie eine Sensibilisierung der Konsumenten geschehen. Wir müssen lernen, dass vielleicht einmal eine bestimmte Gemüsesorte im Laden fehlt. Auch könnten wir Früchte und Gemüse mit kleinen Mängeln durchaus essen.
Welche Rolle spielen importierte Produkte?
Oft wird gesagt, lokal oder regional produzierte Lebensmittel seien nachhaltiger, weil der Transport kürzer ist. Der Faktor Transport ist unbestritten, er macht einen Unterschied. Aber der Transport spielt vor allem dann eine grosse Rolle, wenn Gemüse und Früchte importiert werden – zum Beispiel per Lastwagen – oder Nahrungsmittel eingeflogen werden. Bei diesen Produkten hat der Transport anteilsmässig höhere Auswirkungen auf die Ökobilanz als beispielsweise bei Käse oder Fleisch, weil bei letzteren bereits durch die Produktion viel mehr Treibhausgase entstehen. Der Transport fällt also bei einer Gurke viel stärker ins Gewicht als bei Käse oder Fleisch.
Wenn Fleisch, dann Schweizer Fleisch?
Es kommt weniger darauf an, ob das Fleisch aus der Schweiz oder Deutschland oder Frankreich kommt, viel entscheidender für die Umwelt ist die Art der Produktion. Studien zeigen, dass beispielsweise Freilandpoulet punkto Umwelt schlechter abschneidet als Poulet aus Intensivmast. Das liegt daran, dass man beim Freilandpoulet eine Rasse hat, welche langsamer wächst und deshalb mehr Futter braucht, was zu höheren Umweltauswirkungen führt. Das ist ein wichtiger Zielkonflikt: Das eine ist zwar besser aus Sicht des Tierwohls, das andere aus Sicht der Umwelt. Es gibt aber auch andere Aspekte, die wichtig sind.
Welche denn?
Zum Beispiel möchte man die lokale Landwirtschaft unterstützen und wissen wollen, woher das Produkt kommt. Auch solche Aspekte sind legitim und müssen berücksichtigt werden. Aber trotzdem:
Worauf müssen Landwirtinnen und Landwirte achten, wenn sie nachhaltiger produzieren wollen?
Dafür gibt es diverse Möglichkeiten. Agroscope erforscht Methoden und Technologien, mit denen die Ökoeffizienz in der Landwirtschaft gesteigert werden kann. Das heisst, mehr zu produzieren mit weniger Verlust und weniger Ressourcen. Ein Beispiel dafür ist Precision Farming: Dabei kann der Landwirt mit Hilfe von Drohnenaufnahmen herausfinden, ob die Pflanzen einen Nährstoffmangel haben. Andere Beispiele sind die Züchtung widerstandsfähiger Sorten oder die Anpassung der Futtermittel an das Wachstumsstadium der Schweine.
Was halten Sie von pflanzlichen Ersatzprodukten?
In der Regel haben pflanzenbasierte Produkte eine geringere Umweltbelastung als ihre tierischen Pendants. Das gilt aber nicht für alle. So ist zum Beispiel das Zuchtfleisch aus dem Labor punkto Ökobilanz noch nicht konkurrenzfähig. Viele Ersatzprodukte sind stark verarbeitet, das braucht zum Teil sehr viel Energie. Und was wir ebenfalls wissen: Die Milchersatzgetränke sind bei weitem nicht so nährstoffreich wie die herkömmliche Milch. Bei den Ersatzgetränken werden sehr viele synthetische Nährstoffe zugesetzt. Und anstatt Planted Chicken zu konsumieren, könnte man auch einfach gekochte Erbsen essen. Dazu möchte ich noch etwas sagen.
Bitte.
Es gibt in der nachhaltigen Ernährung nicht schwarz und weiss. Ein Produkt ist nicht gut oder schlecht, es ist lediglich mehr oder weniger nachhaltig. Für die Nahrungsproduktion greifen wir in die Natur ein. Das sollte nachhaltig und umweltschonend erfolgen. Die Lösung ist aber nicht, dass wir nur noch extensiv produzieren, denn dann müssten wir noch mehr Nahrungsmittel importieren, weil extensive Landwirtschaft weniger ertragreich ist als intensive. Mit diesen Zielkonflikten müssen wir leben und versuchen, sie so gut wie möglich zu reduzieren. (saw/aargauerzeitung.ch)
Im Text steht dann dazu:
"So ist zum Beispiel das Zuchtfleisch aus dem Labor punkto Ökobilanz noch nicht konkurrenzfähig."
Wo ist jetzt die Erklärung?
Aussage: "Zuchtfleisch aus dem Labor punkto Ökobilanz noch nicht konkurrenzfähig."
So kann man die Wahrnehmung der Leute auch verzerren. Kompliment Watson.