Ist euch auch schon aufgefallen, wie immer mehr aktuelle Autodesigns gerade Linien und scharfe Kanten aufweisen?
So wie in den Achtzigern, halt.
Einige machen gleich hochoffiziell einen auf Achtziger-Retro:
Was ist da los? Nostalgie? Oder fällt heutigen Autodesignern nichts mehr ein?
Interessanterweise ist dieser Tatbestand nichts Neues. Magst du dich an die Dekade nach der Jahrtausendwende erinnern? Damals wurden Autos wie dieses hier trendy:
Und in den Siebzigerjahren, wiederum, gab es diesen Design-Trend hier:
Retrofuture nennt man diese Design-Herangehensweise. Während das Produkt (in diesem Fall: Autos) moderne Technik vorweist, soll die Optik an die Vergangenheit erinnern.
Aber weshalb eigentlich? Ist nicht das Neue, das Moderne, stets begehrenswerter als das Alte? Steht nicht fortschrittliches Design für die Zukunft? Und die Kundschaft will bekanntlich die Zukunft jetzt, oder?
Nun, man könnte argumentieren, dass Nostalgie ziemlich oberflächlich implementiert wird. Und, dass wenn es um Technologie geht, ist das Neue, Moderne sehr wohl erwünscht. Der Volkswagen New Beetle, der Ende der Neunzigerjahre auf den Markt kam, sollte vielleicht optisch dem VW Käfer von anno dazumal gleichen, mechanisch hatte er indes null und nix mit seinem Designvorbild zu tun.
Und bei aktuellen Elektroautos trifft dies noch mehr zu: Retrodesign hin oder her, ein drehmomentstarker Stromer, der aber ordentlich Gewicht mit sich herumschleppen muss (Stichwort Akku), bietet ein komplett anderes Fahrverhalten im Vergleich zu einem PS-schwachen, dafür aber leichtgewichtigen Benziner aus den Achtzigerjahren.
Aber siehe da: Einige Hersteller arbeiten an Lösungen, um selbst jenes alte Fahrgefühl nachzubilden. Der neue elektrische Dodge Charger (jap, ebenfalls ein Retro-Design) bietet einen künstlichen Auspuffsound, der an den alten V8-Motor erinnern soll. «Fratzonic chambered exhaust» nennen die das (hört auf zu lachen!). Und der Göppel «wackelt» sogar, wenn man den Zündschlüssel dreht. Wiederum beginnen andere Hersteller, als Option eine manuelle Gangschaltung anzubieten – bei einem EV. Geht unsere Sehnsucht nach einer vergangenen Zeit doch tiefer als angenommen?
Natürlich ist die Vergangenheit, auf die jeweils Bezug genommen wird, eine sehr selektiv wahrgenommene, idealisierte Version davon. Jene Sechzigerjahre, an die der anno 2000 lancierte Mini One erinnern sollte? Das waren nicht die dunklen Tage der sozialen Proteste und der Verzweiflung über die Sinnlosigkeit des Vietnamkriegs, sondern vielmehr der heitere Optimismus von Beatlemania und Swinging Sixties.
Bezeichnend ist, dass diese periodisch wiederkehrenden Retro-Trends stets in Zeiten von politischer Instabilität und wirtschaftlicher Unsicherheit auftreten. In den von Ölkrise und Streiks geprägten Siebzigerjahren boten Kleinmanufakturen wie Panther oder Excalibur ihre Neuinterpretationen exotischer Sportwagen aus den 1930ern an. In den Nullerjahren – einer Dekade, die von Terrorismus, Irakkrieg und Unsicherheit geprägt war – kamen die an die Sechzigerjahre angelehnten Designs des Ford Mustang, Fiat 500 oder Dodge Challenger auf den Markt.
Und aktuell? Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, prekäre globale Wirtschaftslage, umstürzlerische Rechtsaussen-Politiker im Aufwind in Europa und ein kleptokratisches Regime im Weissen Haus ... und die Autoindustrie kommt damit:
Indem man der Autoklientel etwas vorsetzt, das sie an ihre Jugend erinnert, erzeugt man etwas Wohlgefühl in einer Zeit, die von Unsicherheit geprägt ist.
Freilich hält ein solcher Zustand nicht ewig an. Mit dem Retrofuture-Boom der 2000er war irgendwann einmal Schluss. Und Designs richteten sich wieder nach technologischen Entwicklungen aus und damit nach der Zukunft. Mit dem Vormarsch von Hybriden und dem Aufkommen von Elektroautos am Horizont konnte die Vision einer elektrischen Zukunft nicht mehr auf der Vergangenheit beruhen ...
... Doch diese Phase scheint bereits wieder vorüber zu sein. Und hey, vielleicht ist der Cybertruck schuld: Ja, das Ding sieht ungemein futuristisch aus – bloss ist dies keine optimistische, grüne Zukunft mehr, in der Technologie unser Verbündeter ist und Elektroautos gar die Klimakrise lösen könnten, sondern ein dystopisches Endzeitszenario, in dem die wenigen Reichen die Habenichtse unterdrücken. Und zwar buchstäblich – mit einem drei Tonnen schweren Metalllaster. Kein Wunder also, wenn sich das Design von Elektroautos immer mehr in Richtung Nostalgie bewegt.
Abschliessend eine Frage: Interessanterweise sind es immer jeweils rund 40 Jahre, die man zurückblickt. Wenn also Autos der 2000er den Designs der Sechzigerjahre nachempfunden waren, und aktuelle Autos die der Achtzigerjahre – was passiert, wenn im Jahr 2045 eine Nullerjahre-Nostalgie aufkommt? Kommen dann Designs, die Designs zitieren, die Designs zitierten? Die Schlange des Retro-Futurismus frisst sich selbst?
Das hat mit Mini, Fiat 500 usw. angefangen.
Alte Designs sind halt doch schön und unvergänglich.