Ich war ja in Paris. An der Fashion Week. Zuvorderst in der Front Row. Ich erlebte die Fashionwelt hautnah und konnte bei dieser Gelegenheit etwas «Upper Class»-Luft schnuppern. Ich war 24 Stunden lang umzingelt von Models, Influencern und allen, die in dieser Branche sonst noch so mitmischen. Es war beeindruckend, überraschend und vor allem: anstrengend.
Anstrengend, weil ich, deren Wortfluss sonst zeitweise aggressiv unterbrochen werden muss, um Worte ringen musste. Nicht etwa, weil meine Gesprächspartnerinnen mich nicht zu Wort kommen liessen, sondern viel mehr, weil ich nicht wusste, was sagen.
Beim Mittagessen mit der amtierenden Miss Polen, einem zwischen Metropolen pendelnden Model, einer Influencerin des älteren Semesters (ja, die gibt's) und mir entsteht kein richtiges Gespräch. Jede erzählt nur von sich, keine fragt nach. Die Stille zwischen einem Monolog und dem nächsten kaum aushaltbar. Versteht mich nicht falsch, Stille ist nicht per se etwas, was ich nicht ausstehen kann. Meines Erachtens gibt es jedoch verschiedene Arten der Stille – und hierbei handelte es sich nicht um die Stille der erfüllenden Sorte, sondern eher um jene, die so schnell wie möglich gefüllt werden muss.
Als ich gerade etwas vom aufgetischten Lachs schöpfen möchte, bemerkt eine Sitznachbarin fast beiläufig, dass sie nur einmal am Tag isst. Und Dessert isst sowieso niemand, wo wir uns doch kurze Zeit später in Schale werfen müssen, um an der Fashionshow umwerfend auszusehen. Dabei liebe ich Dessert.
Ein paar Stunden später sitze ich brav in der vordersten Reihe der Show und lasse die Eindrücke auf mich einprasseln. Je auffälliger, desto besser, scheint die Devise zu lauten – ob sich aus den allem Anschein nach wahllos zusammengewürfelten Kleidungsstücken ein stimmiges, ästhetisch ansprechendes Outfit ergibt, war Nebensache ist Geschmackssache.
Nach der Show wartet schon das Taxi auf uns. Was glamourös klingt, ist in der Praxis schlicht und ergreifend dämlich. Während die Metro für die Strecke zwischen Eventlocation und Aftershowparty maximal eine halbe Stunde gebraucht hätte, dauert die Taxifahrt weit über eine Stunde. Wenig überraschend, dass das Taxi in einer Stadt wie Paris zu vollgepackten Zeiten wie der Fashion Week keinen Meter vorankommt. Zum Glück sind im Taxi einige Journalistinnen, denke ich. Nach dieser verhängnisvollen Höllenfahrt habe ich ein differenzierteres Bild meiner Berufskolleginnen: Denn auch die können mühelos stundenlang nur von sich selbst erzählen.
Angekommen an der Aftershowparty stelle ich mit Bedauern fest, dass ich mir wohl doch besser den Bauch vollgeschlagen hätte beim Mittagessen. Das «Essen» wird uns in solch kleinen Häppchen serviert, dass ich bis ganz zum Schluss noch Hoffnung habe, dass da nochmals etwas nachgelegt werde. Ein Lob an dieser Stelle auf die überaus freundlichen und noch weitaus geduldigeren Kellner, die mit ihren silbernen Tabletts Runde für Runde die gleichen Fragen zum immer noch gleichen Angebot beantworteten. «Ja, das Häppchen enthält Gluten.»
Bis der Typ, dessen Show wir an dieser Party feiern, auftaucht, vergehen Stunden. Stunden, die ich mit Small Talk zu belanglosen Dingen füllen muss. Beispielsweise, dass es jetzt auch auf WhatsApp die Möglichkeit eines Business-Kanals gebe: «So wie bei Instagram, ist das nicht toll?» Die DJane im Innenbereich spielt währenddessen ihre Set-List durch und ist dabei mutterseelenallein, weil niemand tanzen will – da helfen auch die Cüpli nichts. Ein tristes Bild für jemanden, der weibliche Discjockeys sonst besonders laut anfeuert.
Als ich dem Modeschöpfer kurz vor Mitternacht dann doch noch meine Fragen stellen darf, bin ich von seinen Antworten baff. So baff, dass das Interview nie aufgeschrieben, geschweige denn veröffentlicht wird. Was er über seine Person und die soeben vorgestellte Kollektion zu sagen hat, ist noch belangloser als alles andere, was ich an diesem Tag zu Ohren bekomme. Im – zugegebenermassen wunderschönen – Hotel angekommen, falle ich vor lauter sozialer Erschöpfung todmüde ins Bett.
Ich würde vermutlich genauso empfinden.
Diese mehr "Schein" als "Sein" Welt werde ich nie begreifen – und will es auch nicht.