32 beglückende Buch-Geschenke! Das haben wir 2025 am liebsten gelesen
Alle unsere Empfehlungen findet ihr bei Online-Anbietern wie books.ch oder buchhaus.ch. Ebenfalls viel Freude macht ihr natürlich, wenn ihr sie über den lokalen Buchhandel bezieht. With love – euer Team watson
Jüdische «Buddenbrooks» (nur viel unterhaltsamer)
Meine absolute Lieblingslektüre in einem schönen Lesejahr. Zuerst schleppte es ein Freund mit in die Schottlandferien, danach versank ich wochenlang damit, dann kriegte sich mein Liebesleben nicht mehr ein vor Begeisterung. Die jüdische Autorin Gabriele Tergit (1894–1982) erzählt in «Effingers» die unerhört unterhaltsame Saga einer jüdischen Industriellenfamilie zwischen 1880 und 1950. Wir streifen mit ihr durch Berlin, die deutsche Provinz, durch Fabriken, Fabrikantenvillen und die Bohème, erleben zwei Kriege und sind hautnah dabei, wie sich der Faschismus in Deutschland aufbläht. Tergit war hauptamtlich Gerichtsreporterin und kannte sich mit den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Details ihrer Zeit hervorragend aus, was ihr 1951 erschienenes (und danach lange wieder vergessenes) Buch neben der mitreissenden Familientragödie auch zu einem lehrreichen Leckerbissen macht. Ganz, ganz, ganz grossartig!
Simone Meier
Gabriele Tergit: «Effingers». Roman. Btb, München 2020. 912 S., ca. 23 Fr.
Irische Hoffnung
Ein gewaltiges Buch des irischen Schriftstellers Paul Lynch, sprachlich wie inhaltlich. Die Handlung lässt sich sehr gut auf aktuelle politische Verhältnisse und Geschehnisse übertragen: Irland gerät immer mehr in den Würgegriff einer autoritären Regierung, es geht nicht lange, bis die lange Hand auch den heimeligen Schutz der irischen Familie Stack trifft. Was bleibt, ist nicht viel, reicht aber, um nicht aufzugeben: ein Funke Hoffnung. Hoffnung auf eine Besserung, auf neue politische Ausrichtung, auf Wiedervereinigung einer Familie. Kurz: die Hoffnung auf eine Rückkehr zur Normalität. Ein Meisterwerk.
Olivier Meier
Paul Lynch: «Das Lied des Propheten». Roman. Klett Cotta, Stuttgart 2024. 320 S., ca. 35 Fr.
Britisches Flair
Es ist sehr gut! Es gibt britisches Flair und behandelt die Themen Kinderlosigkeit, Wohlstandsverwahrlosung und die Güterabwägung zwischen dem eigenen, religiös verblendeten Willen zu sterben und dem Gewaltmonopol des Staates, der den Freitod seiner Bürgerinnen und Bürger verhindern will. Es ist sehr gut!
Maurice Thiriet
Ian McEwan: «Kindeswohl». Roman. Diogenes, Zürich 2016. 224 S., ca. 22 Fr.
Vietnams Heldinnen
Ein Buch über die Krankenschwestern im Vietnamkrieg. Sie waren unsichtbar, gefeiert wurden nur die Männer, die ihrem Land gedient haben. Hab's geliebt!
Nadine Sommerhalder
Kristin Hannah: «Die Frauen jenseits des Flusses». Roman. Rütten & Loening, Berlin 2024. 542 S., ca. 34 Fr.
Georgische Familiensaga
Eines vorneweg: Ja, es ist ein Riesenschinken. 1275 Seiten. Aber beim Lesen merkt man das gar nicht. Nino Haratischwili begleitet in ihrem Roman «Das achte Leben (Für Brilka)» eine georgische Familie über acht Generationen hinweg. Acht Generationen, die das russische Zarenreich, den Ersten und den Zweiten Weltkrieg, die Diktatur unter Stalin bis hin zum Nachwende-Berlin durchleben. Wunderbar fesselnd beschreibt Haratischwili die Weltpolitik aus der Perspektive jener, die sie nicht beeinflussen können. Und während man mit den Protagonistinnen und Protagonisten mitfiebert, lernt man ganz nebenbei auch noch, das heutige Russland besser zu verstehen. Sich diesen Schinken zu geben, lohnt sich also nur schon deshalb. Aber auch wegen des Feuerwerks, mit dem man am Schluss belohnt wird.
Aylin Erol
Nino Haratischwili: «Das achte Leben (Für Brilka)». Roman. Ullstein, Berlin 2017. 1275 S., ca. 30 Fr.
Männer und Frauen
«Die Wahrheit über Eva» von Carel van Schaik und Kai Michel habe ich extrem spannend gefunden. Die beiden zeigen, wie sich die (Un-)Gleichheit zwischen Männern und Frauen im Lauf der Zeit verändert hat. Interessante interdisziplinäre Ansätze und ein Muss für alle, die finden, Frauen hätten schon immer nach dem Mann an zweiter Stelle gestanden, und das sei natürlich bedingt.
Vroni Fehlmann
Carel van Schaik, Kai Michel: «Die Wahrheit über Eva – die Erfindung der Ungleichheit von Frauen und Männern». Sachbuch. Rowohlt, Hamburg 2022. 704 S., ca. 32 Fr.
Einfach nur schön
Die mittlerweile 34-jährige, alles überragende irische Bestsellerautorin Sally Rooney muss man nicht mehr vorstellen, «Normal People» und «Conversations with Friends» wurden auch als Serien zu Strassenfegern. Auch in «Intermezzo» haben attraktive Menschen viel Sex, doch das Buch fühlt sich erwachsener an als die Vorgänger, und Rooneys Stimme ist interessanter geworden, auch ihre eigenen literarischen Ansprüche an sich selbst scheinen über Nacht gereift zu sein. Und so lesen wir denn die Geschichte von zwei Brüdern, vom Schachgenie Ivan (Anfang zwanzig) und vom zehn Jahre älteren Anwalt Peter. Nach dem Tod ihres Vaters versuchen sie, in nicht ganz unkomplizierten Beziehungen zu sehr interessanten Frauen neuen Halt zu finden. Ein Hund spielt auch noch eine herzige Rolle. Klingt wahnsinnig langweilig, ist aber derart intensiv, berührend, ja total ergreifend, dass ich das Buch – das in der Weihnachtszeit endet – nur schluchzend weglegen konnte, der Abschied war zu hart.
Simone Meier
Sally Rooney: «Intermezzo». Roman. Claassen, Berlin 2024. 496 S., ca. 35 Fr.
Neues von der Darm-Chefin
Giulia Enders nimmt dich in «Organisch» mit auf eine unterhaltsame Körperreise – und zwar auf eine, bei der du nie im Stau stehst. Im Vergleich zu ihrem ersten Buch «Darm mit Charme» richtet sie den Blick auf den ganzen Körper. Enders ist die humorvollste Reiseleiterin, die du dir wünschen kannst: Herz, Lunge, Immunsystem & Co. werden mit charmanten Anekdoten, entwaffnender Ehrlichkeit und ohne erschlagendes Medizinerlatein erklärt. «Organisch» ist für dich, wenn du deinen Körper besser verstehen, ihn ein bisschen mehr schätzen willst – und dabei auch feststellen willst, dass Wissen über ihn richtig unterhaltsam sein kann.
Chantal Stäubli
Giulia Enders: «Organisch». Sachbuch. Ullstein, Berlin 2025. 336 S., ca. 39 Fr.
Simi, die Meerjungfrau
Simi ist eine Meerjungfrau und nach einem Deal mit einem Dämon gefangen auf dem Grund des Ozeans. Um die Menschen vor dem Unheil der Dämonen zu bewahren, muss sie einen Weg zurück an die Oberfläche finden. Nur selten ist eine Fortsetzung besser als der erste Band. Bei «Soul of the Deep» (Fortsetzung von «Skin of the Sea») ist es aber definitiv so. Wer sich gerne in Folklore verliert, ist bei diesem abenteuerlichen Fantasy-Buch genau an der richtigen Adresse.
Corina Mühle
Natasha Bowen: «Soul of the Deep» (englisch). Roman. Penguin Books, 2022. 304 S., ca. 32 Fr.
Endlich Fussball verstehen
Es ist die Story, wie die Datenrevolution den Fussball erfasst und verändert hat. Autor Ian Graham ist dafür mitentscheidend, denn er war schon in einer frühen Phase dabei und arbeitete später jahrelang für den FC Liverpool, als der Klub unter Jürgen Klopp Titel gewann. Graham gibt Einblicke, weshalb die «Reds» Spieler X verpflichtet haben – und Spieler Y nicht –, was Klopp mit seinen Erkenntnissen anstellte und auch, wen er mit Blick auf die vielen, vielen Daten im ewigen Vergleich zwischen Messi und Ronaldo vorne sieht. Phasenweise ermüdend zu lesen, aber eine sehr spannende Lektüre für alle, die den Fussball verstehen wollen.
Ralf Meile
Ian Graham: «Wie man die Premier League gewinnt: Die Inside-Story der Datenrevolution im Fussball». Sachbuch. Die Werkstatt, Bielefeld 2025. 336 S., ca. 45 Fr.
Italienische Raubtiere
Giuliano da Empoli ist einer der wenigen privilegierten Autoren, die tatsächlich Einblick in die Machtzentren erhalten haben. Der Italo-Schweizer gehörte beispielsweise zu den engsten Beratern des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi und war mit einer Delegation des französischen Präsidenten Emmanuel Macron unterwegs. In seinem Buch «Die Stunde der Raubtiere» gibt er einen leider unerfreulichen Einblick, wie hinter den Kulissen verhandelt wird und weshalb Niccolo Machiavelli wieder so aktuell ist wie einst im Florenz des Mittelalters. Trotz des eher deprimierenden Inhalts liest sich das dünne Buch sehr flott.
Philipp Löpfe
Giuliano da Empoli: «Die Stunde der Raubtiere: Macht und Gewalt der neuen Fürsten». Sachbuch. C.H. Beck, München 2025. 127 S., ca. 26 Fr.
Schottisches Fischerdorf-Drama
Dorothy ist eine aus Edinburgh zugezogene Lehrerin im schottischen Fischerdörfchen Skerry. In einer heftigen Sturmnacht verliert sie ihren Sohn ans Meer. Jahre später schwemmt das Meer einen Jungen an. Er sagt kein Wort, und weil das Fischerdörfchen während des Winters von der Aussenwelt abgeschnitten ist, kommt er in die Obhut von Dorothy. Erst über den Jungen beginnt Dorothy, den jahrelang verdrängten Verlust zu bewältigen. Mit ungeahnten Folgen. Gekonnt verwebt Kelly in «Das Geschenk des Meeres» Erzählstränge aus Vergangenheit und Gegenwart. Sie zeichnet das Bild einer Dorfgemeinschaft, die einem mit jeder gelesenen Seite mehr ans Herz wächst – trotz oder vielleicht gerade wegen der Abgründe, die sich im Umgang miteinander auftun. Der Roman thematisiert den gesellschaftlich eingeschränkten Handlungsspielraum von Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts genauso wie Alkoholismus und Homophobie. Und schafft es, dabei doch hoffnungsvoll zu bleiben.
Reto Heimann
Julia R. Kelly: «Das Geschenk des Meeres». Roman. Mareverlag, Hamburg 2025. 352 S., ca. 35 Fr.
Liebe im syrischen Bürgerkrieg
«All die Farben, die ich dir versprach» von Zoulfa Katouh hab ich erst kürzlich gelesen. Die Geschichte handelt vom syrischen Bürgerkrieg und der Verzweiflung der Menschen, die hilflos zusehen müssen, wie die Leute um sie herum sterben. Und doch kann auch an einem so zerstörten Ort Liebe entstehen. Sehr bewegend!
Vroni Fehlmann
Zoulfa Katouh: «All die Farben, die ich dir versprach». Roman. Dressler, Hamburg 2022. 400 S., ca. 34 Fr.
Berliner Menschengeruch
Warum immer nur Aktuelles, warum nicht wieder mal für Weihnachten einen Klassiker (von 1953) aus dem Regal holen? Falladas Roman erzählt von einem Waisenkind, das nach Berlin kommt, um dorthin zu gelangen, wo alle hinwollen: nach oben. Ulkige, aber auch fragwürdige Figuren, ein Land zwischen Abgrund und Aufbruch und alles verpackt mit einer guten Prise Berliner Humor. Oder wie Robert Musil sagt: «In Falladas Büchern ist Menschengeruch. Das Leben zappelt in ihnen.»
Olivier Meier
Hans Fallada: «Ein Mann will nach oben». Roman. Rowohlt, Hamburg 2018. 832 S., ca. 17 Fr.
Queen of Darkness
Megan Abbott ist eine Spezialistin für Thriller mit viel Psycho-Shit in überschaubaren sozialen Zusammenhängen. Also in Familien («The End of Everything»), Sportvereinen («Dare Me»), Ballettschulen («The Turnout»), Laborgemeinschaften («Give Me Your Hand»). In «El Dorado Drive» entführt sie uns in die amerikanische Provinz während der Finanzkrise von 2008. Drei Schwestern geraten da willig und widerwillig in einen exklusiven Frauen-Club, der mit einem gefährlichen Schneeballsystem versucht, den freien Fall ins finanzielle Nichts aufzuhalten. Und alles wird immer schlimmer. Wie immer hervorragend geschrieben, atmosphärisch betörend und grauenhaft spannend. Nichts für Menschen, die fiktionale Gewalt nicht ertragen.
Simone Meier
Megan Abbott: «El Dorado Drive». Thriller (englisch, die deutsche Übersetzung erscheint im Sommer 2026). Little, Brown and Company, 2025. 368 S., ca. 40 Fr.
Escape Room in Buchform
«Piranesi» von Susanna Clarke hat mir sehr gut gefallen. Es liest sich wie ein Escape Room in Buchform. Super mysteriös und spannend und gleichzeitig schafft es Clarke, ihren magischen Welten auch immer eine skurrile humorvolle Note zu geben. Ihr vorheriges Buch «Jonathan Strange & Mr. Norell» kann ich auch wärmstens empfehlen, eines meiner absoluten Lieblingsbücher.
Michael Shepherd
Susanna Clarke: «Piranesi». Roman. Heyne, München 2022. 272 S., ca. 20 Fr.
Tokyos beste Bibliothekarin
Ich lese gerade «Frau Komachi empfiehlt ein Buch» von Michiko Aoyama. Es spielt in einem Stadtteil des heutigen Tokyos und begleitet völlig unterschiedliche Menschen, die sich zufällig in die Bibliothek von Frau Komachi verirren. Sie alle sind auf der Suche. Wonach, wissen sie selbst nicht. Aber Frau Komachi weiss es und hilft ihnen, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Mit einer Buchempfehlung. Ich habe das Buch zwar noch nicht fertig gelesen, bin aber bereits motiviert, gewisse Vorsätze fürs nächste Jahr zu fassen, was ich noch nie gemacht habe. Danke, Frau Komachi!
Aylin Erol
Michiko Aoyama: «Frau Komachi empfiehlt ein Buch». Roman. Rowohlt, Hamburg 2024. 288 S., ca. 20 Fr.
Kurdisches Geschwister-Drama
Ava Homa erzählt die Geschichte von Leila und ihrem Bruder Chia, die im kurdischen Teil des Irans in Armut aufwachsen. Die beiden leben mit ihrem Vater, der durch seinen politischen Widerstand zu einem Staatsfeind erklärt worden ist und nicht arbeiten darf. Während Leila davon träumt, Filme über Kurdinnen und Kurden im Iran zu drehen, politisiert sich ihr Bruder immer stärker, bis er schliesslich in Teheran verschwindet. Auf der Suche nach seinen Spuren wird Leila mit Fragen zu ihrer eigenen Identität als Frau, als Kurdin und als Aktivistin konfrontiert – in einem Staat und einer Gesellschaft, die beide nicht weniger von ihr fordern als stille Assimilation. Ava Homa erzählt Leilas Auseinandersetzung mit ihrer Identität wunderschön und vielschichtig. Das Gefühl, von allen Seiten erdrückt zu werden, sei es von ihrer eigenen Familie, der Gesellschaft, dem Staat oder sich selbst, ist allgegenwärtig. Und doch verlässt uns Leilas und Chias ermutigendes Streben nach Freiheit während der ganzen Geschichte nie.
Carlo Natter
Ava Homa: «Daughters of Smoke and Fire» (englisch). Roman. Abrams & Chronicle, 2020. 320 S., ca. 20 Fr.
Schreibmaschinen und Götter
Eines meiner Lieblingsbücher der letzten Jahre war «Divine Rivals», dies ist die Fortsetzung. Der Fantasy-Zweiteiler von Rebecca Ross steht bei mir ganz oben. Zwei Reporter finden sich auf dem Schlachtfeld eines Kriegs zwischen zwei Göttern wieder. Und dann sind da noch diese mysteriösen Schreibmaschinen. Wunderschön geschrieben und eine einzigartige Geschichte.
Corina Mühle
Rebecca Ross: «Ruthless Vows» (deutsch). Roman. LYX, Köln 2025. 576 S., ca. 26 Fr.
Pompejanische Abenteuer
Ein persönliches Highlight des Jahres war der Besuch in Pompeji. Seit 2021 ist der deutsche Archäologe Gabriel Zuchtriegel Direktor der Anlage bei Neapel. Sein neuestes Buch schildert anhand der unzähligen Fundstücke, wie es in der antiken Stadt schon vor dem Ausbruch des Vesuvs im Oktober des Jahres 79 brodelte. Es geht um Sex, Sklaverei und eine obskure jüdische Sekte, die einen Siegeszug um den ganzen Erdball antreten sollte.
Peter Blunschi
Gabriel Zuchtriegel: «Pompejis letzter Sommer». Sachbuch. Propyläen, Berlin 2025. 320 S., ca. 49 Fr.
Russische Bedrohung
Carlo Masala skizziert in seinem Buch, welche geopolitischen Folgen ein russischer Sieg in der Ukraine nach sich ziehen könnte. Das Zukunftsszenario liest sich beunruhigend realistisch und dient als eindringliche Mahnung an die politischen Entscheidungsträger des Westens. Dieses Buch ist nicht nur empfehlenswert, sondern nahezu Pflichtlektüre. Auch in der besinnlichen Weihnachtszeit.
Seline Meier
Carlo Masala: «Wenn Russland gewinnt. Ein Szenario». Sachbuch. C.H. Beck, München 2025. 119 S., ca. 22 Fr.
In Bombays Unterwelt
Ich lese aktuell nach vielen Jahren wieder einmal «Shantaram» von Gregory David Roberts und es hat mich total in seinen Bann gezogen. Der Roman begleitet den Hauptcharakter Lindsay im abenteuerlichen Bombay der Achtzigerjahre. Vor seiner Ankunft flüchtet Lindsay aus dem Gefängnis in Australien und knüpft auch in Bombay schnell Kontakte zur Unterwelt. Genau wie der Autor im echten Leben. Der Roman ist nämlich von realen Ereignissen aus Gregory David Roberts' Leben inspiriert. Die lebendigen und packenden Erzählungen sind deshalb meine Empfehlung für gekonnte Unterhaltung und Flucht in die Wärme über die Festtage. Und das auch über 1088 Seiten.
Amber Vetter
Gregory David Roberts: «Shantaram». Roman. Goldmann, München 2010. 1088 S., ca. 25 Fr.
Menschheits-Geschichten
Die zwei Historiker Richard Hemmer und Daniel Messner sind im deutschsprachigen Raum eigentlich für ihren Podcast «Geschichten aus der Geschichte» bekannt. Doch 2023 haben sie sich dazu entschlossen, auch ein Buch zu veröffentlichen. In 20 historischen Erzählungen fesseln die Autoren die Leserschaft und führen sie quer durch Epochen und Schauplätze. Das Buch zeichnet sich durch eine prägnante und kohärente Erzählweise aus, die gleichzeitig amüsiert und fasziniert.
Nils Rechberger
Richard Hemmer, Daniel Messner: «Geschichten aus der Geschichte». Piper, München 2023. 256 S., ca. 28 Fr.
Spass mit Sternen
Als rabiate Anti-Esoterikerin war ich angesichts eines Romans, dessen Heldin Astrologin ist, sehr, sehr skeptisch. Doch dann begann ich zu lesen und war begeistert: Was für ein irrsinnig erfrischendes Buch! So ganz anders als alles, was gerade so herumschwirrt, da gibt’s keine schmerzhafte Kindheit, kein verquältes Coming-of-Age, keine unglückliche Ehe, keinen Missbrauch, keine Nazivergangenheit der Grosseltern, keine Identitätsfindungsprobleme – sondern einfach eine Frau, die Horoskope schreibt, sich damit in die Lebensgeschichten anderer Menschen einmischt und ähnlich erfolgreich wird wie unsere Elizabeth Teissier. Geschrieben mit einem soziologisch geschulten, scharfen Blick und ironischem Biss, ein Riesenvergnügen.
Simone Meier
Katja Kullmann: «Stars». Roman. Hanser Berlin, Berlin 2025. 256 S., ca. 35 Fr.
Schweizer Bundeskanzler
Viele Leute wissen nicht, dass es auch in der Schweiz einen Bundeskanzler gibt. Und dass er ziemlich viel Macht besitzt. Der Aargauer Walter Thurnherr bekleidete das Amt von 2016 bis 2023 und hat nun ein Buch über unser nicht nur in dieser Hinsicht sehr spezielles Regierungssystem verfasst. Es liest sich flott und zeigt die vielen Facetten des Bundesrats. Einziger Wermutstropfen: Man hätte sich ein paar süffige Anekdoten gewünscht.
Peter Blunschi
Walter Thurnherr: «Wie der Bundesrat die Schweiz regiert – und weshalb es trotzdem funktioniert». Sachbuch. Kein & Aber, Zürich 2025. 400 S., ca. 45 Fr.
Knochenschreier-Mond
Ailesse lebt in einem Matriarchat und zaubert mit Tierknochen. Ihr Schicksal ist es, den Mann töten zu müssen, in den sie sich verlieben wird. Eine extrem fesselnde Fantasy-Geschichte zwischen Leben und Tod.
Corina Mühle
Kathryn Purdie: «Bone Crier's Moon» (englisch). Roman. Harper Collins Publ. USA, 2021. 480 S., ca. 16 Fr.
Bissige Komödie
Marc-Uwe Kling ist nicht nur der Autor der Känguru-Chroniken, sondern stellt auch in Band eins und zwei von «Qualityland» seine gewohnt gesellschaftskritische Satire zur Schau. Eine bissige Komödie über die Verheissungen und Fallstricke der Digitalisierung. Dystopisch, aber aktueller denn je. Und einfach zum Totlachen.
Olivier Meier
Marc-Uwe Kling: «Qualityland» (Band 1, 384 S., ca. 20 Fr.) und «Qualityland 2.0» (Band 2, 432 S., ca. 18 Fr.). Romane. Ullstein, Berlin.
Okay, Boomer
Was wird nicht alles über die Generation der 68er geschnödet. Was die Boomer wirklich bewegte und wie sie handelten, schildert Urs Buess in seinem Buch über Andreas Herczog. Dieser war einst ein prägender Kopf der politischen Bewegung dieser Generation und ein Aushängeschild der POCH. Für die etwas Jüngeren unter euch: Die POCH war eine linke Partei, die für einen humanen Sozialismus eintrat. Sie hatte ihre Hochburg in Basel. Herczog ist in Ungarn geboren und am Rheinknie aufgewachsen. Als Nationalrat vertrat er in Bern zwischen 1979 und 1999 jedoch den Kanton Zürich. Das verbindet ihn mit Buess, der ebenfalls aus Basel stammt, allerdings vom Land, und seine Karriere als Journalist grösstenteils beim Zürcher «Tages-Anzeiger» absolvierte. Wer mehr über die Boomer erfahren oder in Erinnerungen schwelgen will, kommt hier auf seine Rechnung.
Philipp Löpfe
Urs Buess: «Der 68er im Aussendienst». Sachbuch. Chronos, Zürich 2025. 232 S., ca. 43 Fr.
Hochstaplerin im Gym
Ich habe «Gym» von Verena Kessler gelesen verschlungen. Es ist absurd und mitreissend, da stellt sich das gleiche Gefühl wie beim Bingewatchen ein. Zwei Freundinnen haben mir den Roman über eine Hochstaplerin im Gym unabhängig voneinander empfohlen und damit richtig ins Schwarze getroffen. Sehr amüsant für Gym-Geher, aber auch für nicht so Sportliche.
Hanna Dedial
Verena Kessler: «Gym». Roman. Hanser Berlin, Berlin 2025. 192 S., ca. 35 Fr.
Zeit ist besser als Geld
Eigentlich ist es trivial, doch nicht jeder handelt danach. Ein Hedgefonds-Manager fordert in «Die With Zero» dazu auf, das Leben in vollem Umfang auszuschöpfen. Er zeigt, wie wir unser Geld und unsere Zeit nutzen könnten, um wertvolle Lebensmomente statt brach liegenden Reichtum zu sammeln. Seine Tipps: Gib dein Geld aus, bevor du zu alt bist. Nutze die aktiven Jahre für Erfahrungen, die später schwieriger zu realisieren sind. Vererbe dein Vermögen früh etc.
Cyrill Treptow
Bill Perkins: «Die With Zero – Getting All You Can from Your Money and Your Life» (englisch). Sachbuch. Harper Collins, 2021. 240 S., ca. 20 Fr.
Ein stures Dorf in Österreich
Dunkelblum ist der Name eines fiktionalen Dorfs im nicht so fiktionalen Österreich. In fast grausamem Detail beschreibt Eva Menasse den Sommer 1989 in einer Geschichte über die ländliche Verdrängung der eigenen Vergangenheit. Das Buch beinhaltet gefühlt 100 Charaktere, die alle in verschiedene Intrigen untereinander verwickelt sind und selten das Gleiche wollen – wie eine grosse dysfunktionale Familie. Doch schweigen sie fast alle gemeinsam, wenn es um ihre Nazivergangenheit geht, aber eben nur fast. Eine sehr gut geschriebene Geschichte über das Dorfleben und seine Generationen überschreitenden Verstrickungen und Sturheiten, aber eben auch über seine schönen, einfachen und gemeinschaftlichen Seiten.
Carlo Natter
Eva Menasse: «Dunkelblum». Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 528 S., ca. 39 Fr.
China-Schock 2.0
Frank Sieren gehört zu den führenden deutschen China-Experten und versteht viel von Autos. Beides kombiniert er in seinem Buch «Der Auto-Schock». Schonungslos zeigt er auf, wie die ehemaligen deutschen Platzhirsche VW, BMW und Mercedes im Elektro-Zeitalter von den Chinesen nicht nur eingeholt, sondern überholt wurden. Innert Jahren hat sich das Verhältnis um 180 Grad gedreht. Nach wie vor spricht man in der Autoindustrie zwar von einem «Reverse Joint Venture». Doch gemeint ist heute damit: «Nicht mehr die Chinesen lernen von den Deutschen, sondern die Deutschen von den Chinesen.»
Philipp Löpfe
Frank Sieren: «Der Auto-Schock». Sachbuch. Penguin Verlag, München 2025. 272 S., ca. 32 Fr.
