Es ist 5 Uhr und die Clips für Best Picture laufen. Wieso jetzt? Wird der wichtigste Oscar etwa jetzt schon vergeben? Nach nur drei Stunden? Ja! An «Nomadland». Damit hat der Film von Chloé Zhao die beiden wichtigsten Preise gewonnen. Regie und Film. Produzentin Frances McDormand kommt auch auf die Bühne und mehrere Darstellerinnen und Darsteller der nomadischen Community. Der Dank ist kurz, McDormand ruft dazu auf, den Film in einem Kino anzuschauen. Und dann heult sie noch schnell wie ein Wolf, was zum Film passt.
Wenn man nach 1 Jahr Pandemie eine Dankesrede halten muss. #Oscars
— Mathias Herwix (@mathiasherwix) April 26, 2021
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Danach gewinnt sie auch gleich noch den Award als beste Hauptdarstellerin. Das ist unerwartet. Wir hatten ganz auf Andra Day gesetzt. Aber natürlich auch nicht falsch. Wann könnte ein Oscar für McDormand schon falsch sein? Sie hat halt bloss vor drei Jahren für «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» einen in einer sehr ähnlichen Rolle gewonnen. Aber sowas kennen wir ja auch von Christoph Waltz. Schon wieder sagt sie knapp danke. Nach «Fargo» und «Three Billboards» ist dies ihr dritter Oscar als Hauptdarstellerin. Und einen als Produzentin von «Nomadland» gibts noch obendrein.
Aber dann: Anthony Hopkins! Gewann seinen ersten Oscar vor 29 Jahren als Dr. Hannibal Lecter und jetzt den zweiten für seine Meisterleistung als dementer alter Mann in «The Father»! Wie wundergrossartig ist das denn. Und mit seinen 83 Jahren ist er der älteste Gewinner in seiner Kategorie ever. Leider ist er nicht da und hält auch keine Rede. Schade. Aber verständlich und trotzdem Filmgeschichte.
Und das Fazit? Na ja, es war schlank, es war entschlackt, es gab keine peinlichen Showelemente, es war irgendwie würdig und den Feiern in Zeiten der Pandemie angemessen ... aber auch sehr brav ... bis langweilig ... also fad ... Die Emotionen so mittel, die Verteilung der Oscars fair, aber hey, es gab wenigstens wirklich keine Zoom-Schaltung. Den Rest über uneingelöste Versprechen, Flirten mit Brad Pitt und die Tränen reizender Dänen könnt ihr hier lesen.
Mit «Tenet» gewinnt der einzige Film, der 2020 so richtig im Kino und erst noch erfolgreich war, jedenfalls ein paar Wochen zwischen den Lockdowns, eine Trophäe. Für Visual Effects.
Brad Pitt verleiht mit seiner üblichen Nonchalance (an dieser Stelle sei gesagt: Es ist schon verdammt schön, den ganzen verehrten Haufen mal wieder zusammen und live und hübsch angezogen zu sehen, dieser Zoom-Trainerhosen-Style ziemt sich einfach nicht so ganz für Superstars) den Nebendarstellerinnen-Oscar an die Koreanerin Yuh-Jung Youn aus «Minari». Sie flirtet: «Oh, Mr. Brad Pitt, I finally meet you!», verzeiht heute, aber nur heute allen, die ihren Namen falsch aussprechen, und weiter: «Ich bedanke mich bei meinen beiden Söhnen, die machten, dass ich arbeiten gehen musste. Das kommt dabei heraus, wenn Mommy hart arbeitet.»
Ausstattung geht an «Mank». Super. Definitiv der «schönste» Film, wenn es ums Aussehen geht, in dieser Auswahl. Kann es sein, dass ausser Makeup-Haar-und-Kostüm für «Ma Rainey's Black Bottom» noch kein anderer Film mehr als einen Oscar erhalten hat? Ja. Nein, stop! Erik Messerschmidt legt mit seinem Kamera-Oscar gleich noch nach für «Mank»! Verdient! Und wo sind eigentlich die Verstorbenen?
Und gleich noch ein zweiter Oscar für «Sound of Metal»! Und für einen Dänen! Mikkel E.G. Nielsen gewinnt nämlich den Schnitt-Oscar und lobt sein Heimatland Dänemark und seine tolle Filmförderung. «Es war, als wäre ich einem Regenbogen gefolgt und heute habe ich das Gold an seinem Ende gefunden.»
Tyler Perry hält eine ergreifende Rede, als er von Viola Davis den Jean Hersholt Humanitarian Award entgegennimmt. Sie gipfelt in seiner Weigerung zu hassen. «Ich weigere mich, jemanden zu hassen, weil er Polizist ist, weil er LGBTQ ist, weil er Asiate ist.»
Zweiter Oscar auch für den Animationsfilm «Soul» – natürlich für den Soundtrack, klar, sind ja auch die bekanntesten Musiker. «Dieser Moment ist die Kulmination einer Serie aus Wundern», sagt Jon Batiste. Bester Song und damit ebenfalls Oscar Nummer zwei geht an «Judas and the Black Messiah».
Glenn Close, everyone! #Oscars pic.twitter.com/akwOxvRS6s
— The Academy (@TheAcademy) April 26, 2021
Brian Cranston ist jetzt im Dolby Theatre, vergibt einen «Humanitarian Award» und schaltet dann nach Seoul zu Bong Joon-ho. «Wenn du jemandem auf der Strasse in 20 Sekunden Regie erklären müsstest, was würdest du sagen?», hat er die fünf gefragt, die für den Regie-Oscar nominiert sind.
Chloé Zhao schreibt ihm zurück, eine Regisseurin müsse eine Alleskönnerin sein. Und gleichzeitig eine Nichtskönnerin. Für ihr «Nomadland» gewinnt sie in der Kategorie beste Regie. Huch? Jetzt schon? Es ist doch erst 3 Uhr! Wo ist die althergebrachte Ordnung der Oscars? «Der Mensch ist von Natur aus gut», sagt sie, das sei für sie das Wichtigste. Und sie sei in ihren Filmen immer auf der Suche nach diesem Guten.
Ach, ist sie nicht selbst eine wahnsinnig Gute? Und die erste Woman of Color, die diesen Oscar gewonnen hat. Was nicht schwer ist, da sie ja erst die zweite Frau überhaupt ist und die erste Kathryn Bigelow war.
She nailed it. The whole thing. Like I said, a class act. Congratulations Chloe Zhao, a most deserving winner. Let's go!
— Lulu Wang (@thumbelulu) April 26, 2021
Travon Free nimmt den Kurzfilm-Oscar entgegen, sagt, dass in den USA jährlich tausend Menschen durch Polizeigewalt sterben, die meisten davon Schwarze: «James Baldwin hat gesagt: Das Schlimmste, was es gibt, ist dem Schmerz anderer gegenüber gleichgültig zu sein. Bitte, seid unserem Schmerz gegenüber nicht gleichgültig.»
Diese kleinen blauen Sitzgruppensofas sehen aus wie das Inventar des "Eiscafé Italia" im Örtchen meiner Kindheit und Jugend.
— Prinzessin Julia von & zu Klunkerburg-Gallenstein (@JuliaK_W) April 26, 2021
Voll 80er/90er.#Oscars2021 #Oscars pic.twitter.com/GBdvXMektB
Halten wir hier doch mal inne. Was wurde genau vom Oscar-Tätschmeister Steven Soderbergh versprochen? Dass wir beim Dreh eines Films dabei wären und alle Nominierten eine Rolle spielen würden und eher so nebenbei noch Oscars vergeben würden? Dass die Rollen rätselhaft scheinen und erst am Ende entschlüsselt würden? Quatsch! Das ist eine runtergetunte, sympathische, ansonsten total konventionelle Awardshow. Zudem ohne Showelemente, denn die Nominierten für den besten Song traten alle in der Pre-Show auf und hatten sich dafür draussen und bei Nacht filmen lassen. Auffallen taten bloss die Wollpullis des isländischen Kinderchors in «Husavik» aus «Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga».
Bester Dokumentarfilm wird der schöne, aber ultrapathetische Krakenhit «My Octopus Teacher», dank dem wir jetzt wissen, dass der sicherste Ort, um sich vor einem Hai-Angriff in Sicherheit zu bringen, auf dem Rücken eines Hais ist.
Die Schauspielerin Regina King eröffnet die Show. Erklärt die Regeln. Dass alle mehrfach getestet sind, sitzend Social Distancing machen und Masken tragen, wenn keine Kameras laufen. «Wäre es letzte Woche in Minneapolis anders gelaufen», sagt sie und meint den George-Floyd-Prozess, «so hätte ich die High Heels gegen Stiefel eingetauscht und würde marschieren. Ich weiss, viele von euch wollen zur Fernbedienung greifen, wenn Hollywood zu predigen beginnt. Aber als Mutter eines schwarzen Sohnes kenne ich die Angst.»
Und schon haben wir die ersten beiden Oscars: Für zwei tolle Filme! «Promising Young Woman» – Emerald Fennell nimmt ihn so flattrig bunt entgegen, wie ihr Kleid aussieht. Und Florian Zeller für «The Father» mit Anthony Hopkins, er wird aus Paris zugeschaltet und als er seiner Frau dankt, rennt sie ins Bild und küsst ihn auf die Schulter. Fennells Film ist wild, der Trip einer Frau, die eine vergewaltigte Freundin rächt, eine britische Black Comedy. «The Father» ist die ergreifende Abschiedsvorstellung eines dementen alten Mannes. Ich habe danach geweint. Und davon geträumt.
Laura Dern schenkt gleich darauf Vinterberg den Oscar für «Druk». «Das geht über alles hinaus, was ich mir je vorgestellt habe. Obwohl ich mir das schon immer vorgestellt hatte – seit ich fünf war, ich habe mir Reden ausgemalt, in der Schule, im Zug, auf der Toilette.» Wer kennt es nicht? Beim Gedanken an seine tote Tochter, die zwei Wochen vor dem Dreh starb, muss er weinen. «Wir machten diesen Film für sie, ein Denkmal.»
«Danke Gott, danke Gott, ich wäre nicht hier ohne deine Hilfe», sagt Daniel Kaluuya, als er bester Nebendarsteller wird, und: «Meine Mutter, mein Vater, sie hatten Sex, deshalb bin ich hier! Das Leben! Es ist unglaublich!»
Makeup/Hair und Kostüm für «Ma Rainey's Black Bottom»? Ehrlich? Hätte nicht wenigstens hier «Mank» zum Zug kommen können? Na ja, egal, deswegen fällt jetzt auch keine Katze vom Baum.
Okay, wir sind in Zürich. Also Viktoria und Simone. Und wir fanen. Ein bisschen jedenfalls. So wie heuer alles eher «ein bisschen» ist bei den Oscars. Wir sind uns einig, dass «Nomadland» der beste Film werden sollte. Und dass «Ma Rainey's Black Bottom» grottenschlecht und Chadwick Boseman nur nominiert ist, weil er tot ist. Anthony Hopkins wäre die bessere Wahl. Beste Hauptdarstellerin dürfte dagegen Andra Day in «The United States vs. Billie Holiday» werden. Sensationell, die Frau.
Und wir sind in Los Angeles. Vor der Union Station. Dort, wo gleich ein Teil der Verleihung stattfinden wird. Neben dem roten Teppich steht eine Holzbühne, ein «Patio», der aussieht wie ein Stück «Bachelor»-Kulisse (ungefähr aus Folge eins, da, wo Frauen aus Autos steigen und sich dem Bachelor vorstellen). Und auf diesem Holz sagt Carey Mulligan, dass sie nur noch mit Emerald Fennell arbeiten möchte, die Regisseurin von «Promising Young Woman» sei «Heaven!». Und Heaven verrät Steven Gätjen auf ProSieben, dass sie schon wieder schwanger ist.
Amanda Seyfried sagt, sie habe von ihrer Mutter erfahren, dass sie nominiert sei. Am Telefon. Weil sie selbst nach dem Stillen ihres Sohnes eingeschlafen sei. Und überhaupt: Mütter würden einen Superjob machen. Und wooow: «Menschen, überall!» Ja, in grossen Abständen stehen Menschen auf dem «Bachelor»-Boden und zwischen ihnen stehen Plastikbäume. Menschen! In Kleidern! Mit guter Laune!
Riz Ahmed fixes wife Fatima Farheen Mirza’s hair on the #Oscars red carpet. pic.twitter.com/NQxnKCLnYd
— Film Updates (@TheFilmUpdates) April 25, 2021
Alle betonen, dass die Oscars heuer relevanter weil diverser seien. «Die letzten 92 Jahre in der Oscargeschichte sind relativ schwierig gewesen», sagt Gätjen. Relativ schwierig. Eine dezente, knackige Zusammenfassung.
Der dänische Regisseur Thomas Vinterberg, der mit seinem Film «Druk» («Der Rausch») für die beste Regie nominiert ist, sagt: «Ich fiel vom Stuhl, ich war gerührt!», und dass sein Film zuerst eine Feier des Alkohols gewesen sei, dann aber ganz einfach zu einem Film über das Leben geworden sei. Getrunken habe sein Ensemble bloss während der Proben. Und vor dem Dreh, um sich aufzuwärmen. Während der Dreharbeiten kam Vinterbergs 19-jährige Tochter bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Sein Hauptdarsteller Mads Mikkelsen hat ihm dabei geholfen, den Film zu beenden.
«Unsere Kollegen von der ABC sind auch fleissig, sie kriegen natürlich das meiste Fleisch an diesem leckeren Abend!», sagt Gätjen. Und was kriegt dann er? Die Reste?
Film: «Nomadland» von Chloé Zhao, Frances McDormand, Peter Spears, Mollye Asher, Dan Janvey
Regie: Chloé Zhao für «Nomadland»
Hauptdarstellerin: Frances McDormand für «Nomadland»
Hauptdarsteller: Anthony Hopkins für «The Father»
Nebendarstellerin: Yuh-Jung Youn für «Minari»
Nebendarsteller: Daniel Kaluuya für «Judas and the Black Messiah»
Internationaler Film: Thomas Vinterberg für «Druk»
Dokumentarfilm: «My Octopus Teacher» von Pippa Ehrlich und James Reed
Originaldrehbuch: Emerald Fennell für «Promising Young Woman»
Adaptiertes Drehbuch: Christopher Hampton und Florian Zeller für «The Father»
Kamera: Erik Messerschmidt für «Mank»
Ausstattung: Donald Graham Burt und Jan Pascale für «Mank»
Schnitt: Mikkel E.G. Nielsen für «Sound of Metal»
Ton: Nicolas Becker, Jaime Baksht, Michelle Couttolenc, Carlos Cortés Navarrete, Phillip Bladh für «Sound of Metal»
Visual Effects: «Tenet»
Soundtrack: Trent Reznor, Atticus Ross, Jon Batiste für «Soul»
Song: H.E.R. mit «Fight for You» aus «Judas and the Black Messiah»
Animationsfilm: «Soul» von Pete Docter und Kemp Powers
Kurzfilm: «Two Distant Strangers» von Travon Free und Martin Desmond Roe
Kurzer Dokumentarfilm: «Colette» von Anthony Giacchino
Animierter Kurzfilm: «If Anything Happens I Love You» von Michael Govier und Will McCormack
Makeup und Hairstyling: Sergio Lopez-Rivera, Mia Neal, Jamika Wilson für «Ma Rainey's Black Bottom»
Kostüm: Ann Roth für «Ma Rainey's Black Bottom»
Jean Hersholt Humanitarian Award: Tyler Perry