Grosse Studios halten ihre Blockbuster momentan in Scharen zurück, um dem Risiko eines finanziellen Flops in diesen unsicheren Zeiten entgegenzuwirken. Die Kinos, beileibe nicht die Boom-Branche der letzten Jahre, spüren dies. Die Coronapandemie setzt der Kinobranche das Messer an den Hals. Auftritt Christopher Nolan, seines Zeichens Hausnummer in Hollywood.
Sein auf seinem Renommee gründendes Gewicht in der Filmbranche ermöglichte es ihm, von Warner Bros. zu verlangen, dass der Film trotz Unsicherheiten und Risiken in die Kinos kommen soll. Während der Pandemie. Für die Kinos. Denn sowohl das Studio als auch Nolan wissen: «Nolan sells». Und so soll «Tenet» als Held aus Zelluloid das Kino retten, wie es die Helden und Heldinnen darin gerne mal mit der Welt tun. Schon das ist ziemlich meta.
Nolan und komplexe Dramaturgie – das passt. Wenige vermögen es, vielschichtige und komplizierte Handlungen so attraktiv zu erzählen wie der 50-jährige Brite. Dabei ist er beim Drehbuch zudem selbst oft federführend. So auch bei «Memento» (2000), «Inception» (2010) und «Interstellar» (2014), und nun eben «Tenet».
Über die genaue Handlung wurde im Vorfeld so wenig wie nötig publik gemacht. Mythen sollten sich öffentlichkeitswirksam um das Projekt ranken. Die Coronapandemie tat ihr Übriges, um die Aura des Films zu konstruieren. Das Einzige, was man dem kryptischen Trailer entnehmen konnte, war, dass das Konzept von Zeit eine Rolle spielt und es folglich kompliziert werden dürfte.
Und das wird es. Denn es geht – anders bei reguläreren Blockbustern – nicht um Zeitreisen per se, sondern um die Inversionen. Die Idee gemäss Nolan ist, dass die Entropie von Objekten umgekehrt werden kann, weshalb sie dann relativ zu unserer Zeit rückwärts reisen. Das ist in etwa so kompliziert und vor allem verwirrend, wie es klingt.
Zeitmanipulation und (filmische) Erzählung mögen sich in der Regel nicht wirklich. Zu komplex der Sachverhalt, zu kurz die Zeit, zu mannigfaltig die Logiklöcher. Doch anstatt die Finger davon zu lassen, greift Nolan mit beiden Händen rein. Leider.
Die Idee, dass einzelne Objekte rückwärts in der Zeit reisen, hat definitiv seinen Reiz. Gerade zu Beginn des Films, als der Protagonist selbst in die Geheimnisse der Inversion eingeweiht wird, schleicht sich eine poetische Note in den Film. Zeit als Konzept, Zeit als Konstruktion – und mit dem wird nun vorsätzlich gebrochen, verkrustete Muster aufgebrochen. So können einzelne Objekte mittels einer Apparatur invertiert werden, während alles andere linear weiter läuft.
Je länger «Tenet» jedoch anhält, desto verworrener wird dieses Konstrukt. Nachdem sich der Film anfangs den Ranzen mit einer schmissigen Prämisse und unorthodoxen Konzepten voll geschlagen hat, folgen in der zweiten Hälfte die absehbaren Bauchschmerzen. Die klassischen Inkonsistenzen von Zeitspielereien machen sich breit und breiter, wobei das Tempo des Films dem hadernden Zuschauer keinen Gefallen erweist.
Als Zuschauer ist man während dem Film eher damit beschäftigt, sich zu fragen, wie diese Inversion denn in diesem und jenem Fall funktionieren würde, wieso der eine oder andere Aspekt nicht thematisiert wird oder was das alles in einem gesamtheitlichen Kontext bedeuten würde. So verliert man zusehends den Draht zum Film.
Es ist in jeder Sequenz des Filmes zu spüren, dass Nolan unbedingt einen Action-Thriller mit Ansprüchen anstrebt. Das spiegelt sich auch im Cast wider. Dieser harmoniert makellos und ist bestrebt, die Charaktere nuancierter wiederzugeben, als dies bei herkömmlichen Action-Thrillern der Fall ist, was mehrheitlich ganz gut gelingt.
Leider tappt aber auch «Tenet» in einige Klischees: Der Antagonist Andrei Stor (Kenneth Branagh) ist ein reicher russischer Waffenhändler, wie ihn jeder James-Bond-Fan schon hundertmal gesehen hat. Seine Frau Kat (Elizabeth Debicki) ist unglücklich, findet im Protagonisten aber ihren Retter (wer hätt's gedacht?). Der Protagonist selbst ist von eisenhartem Willen, Rationalität und Disziplin geprägt – es sei denn, es geht um ebendiese eine Frau.
Neben dem zu ambitionierten Plot und den bedienten Klischees haftet dem Film leider noch ein dritter Makel an, der einer Metamorphose der ersten beiden gleichkommt: Um was es so wirklich, wirklich geht, war nicht nur ein gut gehütetes Geheimnis, sondern auch tatsächlich schwer zu sagen. Der rote Faden geht irgendwo zwischen Explosionen, Klischees und Zeitumkehrungen verloren. Wieso jetzt wer wen in welcher Zeitabfolge eliminiert und was denn genau die Gefahr der Inversion ist, bleibt oftmals verschleiert.
Der Film spielt punkto gestalterischer Sorgfalt in der obersten Liga mit. Für «Tenet» hat Nolan gar einen Jumbo in einen Hangar fahren lassen, anstatt dies branchenüblich mittels CGI zu bewerkstelligen. Ebenso gelingt es Kameramann Hoyte van Hoytema immer wieder, Licht- und Bildkonzepte zu schaffen, die dem Film eine zusätzliche Ebene verleihen.
Auch das erzählerische Konzept an und für sich ist in seiner Ausgangslage ansprechend, denn es ermöglicht Unvorhergesehenes und zuweilen Unvorstellbares. Und wie man Nolan kennt, ist der Anspruch auch da, dem Zuschauer die Idee verständlich zu vermitteln. Die Thematik Zeit ist womöglich aber nicht nur zu kompliziert, sondern in diesem Falle auch zu verkompliziert. Gut möglich also, dass Nolans Idee in sich schon aufgeht, wenn man nach dem Kinobesuch Bücher wälzt, Zeitlinien nachzeichnet und Charts gestaltet.
Und da liegt der Unterschied zu anderen komplexeren Nolan-Filmen wie «Inception» oder «Interstellar»: Sie behandeln Thematiken, die bis zu einem gewissen Grad in sich selber schlüssig sind. Ein Traum ist ein Traum – an dem kann man basteln. Und das All und die Relativität sind auch Dinge, die wir nachvollziehen können. Aber Zeit? Was ist Zeit?
Anders ausgedrückt: Wenn Neil zum Protagonisten irgendwann im Film sagt, er solle die Linearität der Zeit einfach vergessen, dann kann dies der Protagonist annehmen und verstehen – von einem Zuschauer im Kinosaal ist dies zwischen Schlägereien und Explosionen aber ein wenig gar viel verlangt. Vielleicht werden wir es aber irgendwann einmal verstehen ...