Du hast vor 8 Jahren begonnen, für den «Bestatter» zu arbeiten. Damals warst du 24. Hattest du irgendeine Ahnung, wie gross das mal werden würde?
Überhaupt nicht. Ich ging zum Casting und hatte keine Ahnung, dass Mike Müller die Hauptrolle spielt. Die Stimmung war strange, der Regisseur und Produzent stritten sich die ganze Zeit über, ich ging nach Hause und dachte, okay, das war verlorene Zeit. Dann kam der Anruf und ich wusste: Ich bin dabei. Und ich sah endlich die Besetzungsliste, und da stand der Mike drauf.
Da ahntest du: Das wird amtlich. Hat dich das beruhigt?
Im Sinne von: Jetzt funktioniert's? Nein, im Gegenteil. Am Anfang war auch noch vieles recht chaotisch: Wir drehten die Pilotfolge, danach gabs etliche Umbesetzungen, das ganze Projekt war zunächst auf vorsichtige vier Folgen angesetzt. Damals war alles etwas verschämt. Dazu passte auch unsere erste Premiere: Wir sassen in einer Beiz in Oerlikon und wollten uns Folge eins live per Beamer anschauen, aber der funktionierte nicht. Langsam tröpfelten bei mir die SMS rein: «Ich seh dich gerade im Fernsehen!» Wir sahen nichts. Jedenfalls eine Viertelstunde lang. Dann holte jemand die DVD.
Dabei war der Erfolg sofort durchschlagend.
Was wir aber auch nicht so schnell wussten. Ausgerechnet da wurde das Messsystem für die Einschaltquoten umgestellt, und wir mussten ewig warten. Und plötzlich hiess es: «Wow, ein Supererfolg!»
War Fabio deine erste Fernsehrolle?
Ich hatte mit knapp 20 einen Einsatz bei «Tag und Nacht». Aber dann hiess es, in der Serie passiere zuviel und sie sei zu schnell fürs hiesige Fernsehpublikum, weshalb ganze Hadlungsstränge rausgeschnitten wurden. Meine Rolle fiel dem zum Opfer.
Ein absurder Vorwurf, den man sich bei den heutigen Seh- und Seriengewohnheiten kaum mehr vorstellen kann. Ich fand das damals super, cooler Look, hervorragender Cast, endlich mal was Anderes. Doch es floppte brutal.
Für mich war es trotzdem toll, meine Schauspielausbildung in Bern war sehr theaterlastig, bei «Tag und Nacht» merkte ich, oh, da gibt ja noch was Anderes, das genau so interessant ist.
Wo kommst du eigentlich her?
Ich bin in Jegenstorf aufgewachsen, das ist keine Stadt, aber auch kein richtiges Dorf und liegt zwischen Bern und Solothurn. Mein Vater ist gelernter Schreiner, meine Mutter arbeitet für die Spitex, ich selbst begann eine Lehre als Konstrukteur. Dann probierte ich es mal mit der Schauspielschule. Und es klappte. Meine Mutter unterstützte mich, mein Vater war irritiert.
Aber spätestens seit dem «Bestatter» sicher auch stolz.
Enorm. Alles war gut. Er konnte gar nicht genug Leuten davon erzählen, dass ich dort mitspiele. Er war jetzt «der Vater von Fabio».
Plötzlich hattest du Fans. Wie haben sich die bemerkbar gemacht?
Als wir anfingen, waren Social Media noch nicht so in. Da schickten die Fans ihre Liebeserklärungen noch per Post. Einmal erhielt ich ein Gipsherz mit kleinen Totenköpfen drauf. Jetzt hat sich das sehr viel mehr ins Internet verlagert, da sind die Botschaften kürzer.
Und von wem? Von Frauen oder von Männern?
Von beiden. Etwas mehr Frauen.
Deine Figur ist ja sehr ambivalent, und letzten Dienstag dachte ich: Jetzt sind wir in der letzten Staffel und Fabio hat immer noch kein Coming-out!
Er fragte sich ja selbst schon offen, ob er schwul ist oder nicht. Er weiss es einfach nicht. Tendenziell fühlt er sich etwas stärker zu Frauen hingezogen. Aber es ist schwierig!
Da ist es doch praktisch, wenn die Frauen von Anfang an todgeweiht sind wie in der letzten Staffel ...
Oder dreizehn Jahre alt! Prompt kamen unbekannte Menschen zu mir und sagten: «Das sind genau die Fragen, die mich auch beschäftigen!» Mich jetzt eher weniger.
Fabio ist ja eh der empathische Problemversteher, der immerzu Hinterbliebene trösten und Hände halten muss.
Der zuhört ... Andere erzählten mir über ihre Nahtoderlebnisse oder Suizidversuche von Freunden. Solche Situationen ergeben sich übrigens nie übers Internet, sondern immer im Direktkontakt, etwa an einem Filmfestival. Das ist jeweils schon sehr schwierig, ich kann ja nichts tun, als einen ganz kurzen Moment lang für diese Menschen da zu sein. Lustiger ist es, wenn jemand kommt und sagt: «Du bist ja gar nicht so schön angezogen wie im Fernsehen!» Und ich denke: Aha, das findest du schön? Diesen Polyesteranzug, der bei Dreharbeiten im Sommer viel zu heiss ist und stinkt? Und hast du irgendeine Ahnung, wie viel diese Hemden zu bügeln geben?
Was hat die Serie in deinem Leben verändert? Etwa dein Verhältnis zum Tod?
Ich muss zugeben, dass ich am Anfang recht naiv war, ich wusste knapp, dass es den Beruf Bestatter gibt, aber sonst nichts. Dann habe ich gegoogelt und war total fasziniert. Mein Umfeld eher nicht so.
Wieso?
Also: Da gibt es zum Beispiel zwei Methoden, wie man einer Leiche die Augen schliesst: Man leimt sie zu, oder nimmt eine Art Hartplastiklinsen, die mit kleinen Widerhaken versehen sind, die legt man dann aufs Auge, zieht das Lid drüber und es rutscht nicht zurück. Kopfstützen, mit denen man den Kopf einer Leiche arretieren kann, gibt es auch verschiedene, wenn man die als lebendiger Mensch montiert, sind sie grauenhaft unbequem ...
Okay! Verstehe! Hast du den Bestatter-Klassiker «Six Feet Under» gekannt?
Nein. Das habe ich erst geschaut, als wir in der dritten oder vierten Staffel steckten. Ich bin ein Spätzünder in Sachen amerikanische Serien, ich hab lange nur Fernsehen geschaut. Und dann mit skandinavischen Serien begonnen. «Die Brücke» ist meine Lieblingsserie.
Gute Referenz. Als ihr die erste Staffel drehtet, war ich mal bei einem Drehbesuch in Aarau.
Ich erinnere mich. Wir zogen einen Nachmittag lang eine Leiche aus der Aare.
Bei Regen. Alles war sehr trist. Polizist Dörig war wie immer hässig. Und Mike Müller erwähnte, dass Tony Soprano sein Vorbild für Luc Conrad sei.
Ob er das heute auch noch so sagen würde?
Darf ich was Kritisches anmerken? Ich hab mir beim «Bestatter» oft gewünscht, dass die Schauspieler die vorgeschriebenen Texte mehr zu ihren eigenen machen würden. Manchmal klingt das sehr unnatürlich. Wie gehst du damit um?
Ich rede Berndeutsch, die Texte sind oft in einem andern Dialekt geschrieben, ich muss die also für mich übersetzen. Das Problem ist bloss: Wir stehen in den dreieinhalb Monaten, die ein Staffeldreh dauert, unter grossem zeitlichen Druck. Wenn wir jetzt alle immer kommen, und sagen, hier, ich hab noch eine Idee und noch eine Fassung, dann machen wir uns ziemlich unbeliebt.
Und was ist dein Fazit nach so vielen Jahren Arbeit?
Die Herausforderung war, dass wir immer in Jahreshäppchen denken mussten, weil wir nie wussten, ob es weiter geht oder nicht. Jahr für Jahr haben wir deshalb quasi bei Null begonnen und die Möglichkeit grosser Erzählbögen konnte nicht richtig genutzt werden. Bei Fabio gab es vieles, was nicht mehr aufgegriffen wurde: Mal hatte er eine Band, mal hatte er einen Hund, beides verschwand wieder. Mal siezte er Luc Conrad, mal duzte er ihn, mal war er Vegetarier, mal nicht. Auf dem Vegetarier hab ich allerdings bestanden.
Weil du selbst einer bist?
Ich bin keiner. Auch wenn das jetzt alle glauben, sogar das Catering während der Dreharbeiten. Dafür wurde Vegetarier-Fabio mal nach seinem Lieblingsessen gefragt. Laut Drehbuch war das Spaghetti Bolognese ...
Reden wir mehr über Mike Müller.
Mike ist super. Einer, der sich immer vor das Team stellt und sich für alle einsetzt, der auch mal sagt: Gopfertori, jetzt haben wir schon einen 14-Stunden-Tag hinter uns, jetzt schieben wir sicher keine Extraschicht mehr!
Lass mich rechnen: wenn ein Staffeldreh dreieinhalb Monate dauert und ihr sieben Staffeln gedreht habt, dann macht das ziemlich genau ganze zwei Jahre, die du von deinem Leben schon mit dem «Bestatter» verbracht hast. Da seid ihr zwei euch doch sicher nahe gekommen?
Natürlich kommt man sich nahe, wenn der Hauptteil der Zusammenarbeit darin besteht, dass man nebeneinander im Leichenwagen sitzt und darauf wartet, dass der Regen aufhört, die Wolken gut aussehen, die Sonne scheint oder verschwindet ... Da redet man schon sehr viel miteinander. Über Ferien, Kaffee ...
Und schüttet sich gegenseitig das Herz aus?
Und schüttet sich das Herz aus, ja. Aber nicht unter Tränen. Am Ende kennt man jede Marotte voneinander, mir kam's immer vor wie ein Sommerlager.
Waren dir der Aargau und Aarau vor dem «Bestatter» eigentlich vertraut?
Nein, ich kannte das nur vom Durchfahren. Ich hatte keine Ahnung, dass es dort zum Beispiel Wein gibt! Beim Dreh war es grossartig: Alle Türen standen uns offen, die Leute fragten dauernd, was sie uns helfen könnten, trugen unsere Sachen, liessen uns bei sich duschen. Ganz anders bei den Drehs in Zürich: Da waren die Leute genervt und gaben uns zu verstehen, dass wir nur im Weg stehen.
Gibt's aus der echten Bestatterszene Lob oder Tadel für Fabio?
Beides. Die einen finden es völlig realitätsfremd eine Figur wie ihn auf Trauernde loszulassen, die andern finden es genau richtig, dass einer mal nicht so steif ist.
Und aus der Gothic-Szene?
Die Goths sind begeistert. Endlich ist mal ein Goth positiv besetzt und muss nicht in einer dunklen Kammer Organe in Einmachgläsern anstarren und Verbrechen ausbrüten.
Aktuell spielst du Theater in Zürich.
Ja, einen Banker in der WG-Komödie «Willkommen» im Theater am Hechtplatz. Ich hab dafür viel recherchiert. Vorher hatte ich keine Ahnung von Aktien, jetzt besitze ich welche.
Was wäre dein Lieblingsdrehbuch?
Ich steh schon auf Krimis. Oder Krimielemente. «Die Brücke», «Das Verbrechen», «Bates Motel». «Bodyguard» auf Netflix fand ich recht toll, das war wie Sommerlektüre, wie ein dickes Buch, das man schnell gelesen hat.
Reto Stalder ist aktuell als Fabio Testi auf SRF in der letzten «Bestatter»-Staffel zu sehen. Zudem ab dem 19. Januar auf der Bühne des Theaters am Hechtplatz im Stück «Willkommen».